Schwarze Löcher zerstören Kugelsternhaufen

Neue Computersimulationen liefern eine mögliche Erklärung für bislang rätselhafte Ansammlungen von Sternen um unsere Milchstraße.

Rainer Kayser

Anhäufung von Sternen im All

NASA/ESA

In Kugelsternhaufen sind in der Regel mehrere Hunderttausend Sterne dicht gepackt, doch es gibt Ausnahmen: Beispielsweise existieren auch aufgeblähte Kugelsternhaufen mit nur einigen Zehntausend Sternen, oftmals mit zusätzlichen Schweifen aus ausgestoßenen Sternen. Neue Computersimulationen liefern nun eine mögliche Erklärung für diese bislang rätselhaften Sternenansammlungen. Vermutlich werden sie von innen heraus durch eine große Zahl von Schwarzen Löchern zerstört. Dieses Schicksal könnte den meisten Kugelsternhaufen bevorstehen, so Wissenschaftler im Fachblatt „Nature Astronomy“.

Etwa 150 Kugelsternhaufen kennen Astronomen im Halo – dem kugelförmigen Raum um unsere Milchstraße. Davon sind etwa ein Zehntel ungewöhnlich aufgebläht, wie etwa auch Palomar 5. Der Kugelsternhaufen enthält gerade einmal zehntausend Sterne und besitzt zwei Schweife, die sich über 20 Grad am Himmel erstrecken. Bislang vermuteten Astronomen, dass bei Passagen durch das galaktische Zentrum sehr starke Gezeitenkräfte auf den Kugelsternhaufen wirkten. Diese hätten dann dem Kugelsternhaufen den größten Teil seiner Sterne entrissen, wodurch sich ein Teil davon vor und hinter dem Haufen als Schweif verteilte.

Doch diese Erklärung lasse sich nicht länger aufrechterhalten, so Mark Gieles von der Universität Barcelona und seine Kollegen. „Bei mehreren Kugelsternhaufen, die nachweislich durch das starke Gezeitenfeld des galaktischen Zentrums hindurchgeflogen sind, lassen sich nur geringe Störungen und keine Schweife nachweisen“, schreiben die Astrophysiker. Es müsse also eine andere Ursache geben. Um dieser auf die Spur zu kommen, führten Gieles und seine Kollegen nun umfangreiche Simulationen der Bewegung der Sterne in Kugelsternhaufen durch, wobei sie Palomar 5 als Modell verwendeten.

Neben der Dynamik berücksichtigten die Astronomen in ihren Simulationen auch – und das ist das Neue – die Entwicklung der Sterne zu Supernovae und Schwarzen Löchern. Wie sich zeigte, können Schwarze Löcher eine überraschend wichtige Rolle für die Entwicklung der Sternhaufen spielen. Zwar erhalten die meisten Schwarzen Löcher, die sich nach einer Supernova bilden, durch die Asymmetrie der vorrangegangenen Explosion einen „Kick“, der sie aus dem Kugelsternhaufen herausstößt. Dies gilt jedoch nicht für besonders massereiche Sterne. Denn hier reicht der Stoß nicht aus, sodass die Schwarzen Löcher im Sternhaufen bleiben und ihrerseits aufgrund ihrer starken Gravitation permanent Sterne aus dem Haufen katapultieren.

Auf diese Weise verlieren Sternhaufen im Laufe von Jahrmilliarden einen großen Teil ihrer Sterne, blähen sich durch die verringerte Masse auf und bilden zusätzlich Schweife aus ausgestoßenen Sternen. In etwa einer Milliarde Jahren könnte sich Palomar 5, so die Forscher, dadurch ganz aufgelöst haben. Zurück bliebe lediglich ein Haufen aus einigen Tausend Schwarzen Löchern – und ein Sternstrom entlang der früheren Bahn des Sternhaufens durch den galaktischen Halo. Gieles und seine Kollegen schätzen, dass durch den Zerfall von Kugelsternhaufen bereits etwa zwanzig solcher Sternströme entstanden sein müssten. Und tatsächlich kennen Astronomen bereits etwa dreißig Sternströme im galaktischen Halo, deren Herkunft noch unbekannt ist – bei ihnen könnte es sich also um die Überreste von Kugelsternhaufen handeln.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2021/schwarze-loecher-zerstoeren-kugelsternhaufen/