Zwerggalaxien entwickeln sich simultan

Dreißig weit voneinander entfernte Zwerggalaxien haben eine überraschend ähnliche Geschichte – die Entstehung neuer Sterne stoppte und startete nahezu gleichzeitig.

Rainer Kayser

Zwei Reihen mit je vier Abbildungen von hellen Lichtpunkten, umgeben von violettem Licht, im Weltall

Rutgers University-New Brunswick

Galaxien, die mehr als eine Million Lichtjahre voneinander entfernt sind, sollten sich insbesondere hinsichtlich der Entstehung neuer Sterne völlig unabhängig voneinander entwickeln. Doch in mehr als dreißig Zwerggalaxien, deren Abstände sogar bis zu 13 Millionen Lichtjahre betragen, stieg die Rate der Sternentstehung zeitgleich extrem an. Zu diesem überraschenden Befund kommen nun US-amerikanische Forscher. Für eine derartige simultane Entwicklung der Zwerggalaxien gäbe es bislang keine Erklärung, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Astrophysical Journal“.

Um die Entwicklung von Galaxien zu verstehen, müssen Astrophysiker eine Vielzahl von Prozessen berücksichtigen – die sich unter anderem in der Sternentstehungsrate widerspiegeln. So kann die Geburtsrate von Sternen beispielsweise ansteigen, wenn eine andere Galaxie nahe vorbeizieht oder sie sogar miteinander zusammenstoßen und verschmelzen. Und im Gegensatz dazu kann ein Verlust an Gas, etwa durch starke Strahlung, die Entstehung von Sternen stoppen. Um solche Vorgänge genauer zu untersuchen, verglichen Charlotte Olsen von der Rutgers University im US-Bundesstaat New Jersey und ihre Kollegen nun insgesamt 36 Zwerggalaxien aus der Umgebung unserer Milchstraße miteinander. Zwerggalaxien eignen sich dafür besonders gut, da sie sehr empfindlich auf Einflüsse aus ihrer Umgebung reagieren.

Räumliche Darstellung der Lage der untersuchten Zwerggalaxien in der Umgebung der Milchstraße

Zwerggalaxien

Die Astronomen analysierten die zeitliche Entwicklung der Sternentstehungsrate anhand von spektralen Daten der Systeme mit zwei unabhängigen Methoden. Beide Verfahren lieferten identische Ergebnisse: Alle untersuchten Zwerggalaxien zeigten vor drei bis sechs Milliarden Jahren eine ruhige Phase, in der nur wenig neue Sterne entstanden. Doch vor drei Milliarden Jahren setzte eine neue Ära mit hoher Sternentstehungsrate ein, die bis heute anhält. Dieses Ergebnis ist angesichts der Entfernungen zwischen den Zwerggalaxien und ihren damit unterschiedlichen lokalen Einflüssen überraschend. „Scheinbar reagieren diese Galaxien auf eine großräumige Veränderung ihrer Umgebung“, erläutert Olsen.

„Bislang wissen wir nicht, was diese Entdeckung bedeutet“, gesteht ihr Kollege Eric Gawiser. „Wir müssen erst einmal überprüfen, ob und wie wir unsere derzeitigen Modelle der Galaxienentwicklung verändern können, um dieses überraschende Ergebnis zu reproduzieren. Wenn wir jedoch feststellen, dass sich unsere Entdeckung nicht im Rahmen des derzeitigen kosmologischen Standardmodells erklären lässt, hat das natürlich gewaltige Konsequenzen für die Forschung.“ Auf jeden Fall motivieren die neuen Ergebnisse die Astronomen dazu, die Geschichte der Galaxien in der Nähe unserer Milchstraße mit weiteren Methoden noch einmal genauer zu untersuchen.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2021/zwerggalaxien-entwickeln-sich-simultan/