Blick in die Vergangenheit der Milchstraße
Um die Entwicklungsgeschichte unserer Milchstraße noch besser zu verstehen, bestimmen Astronomen unter anderem das Alter und die Herkunft vieler Sterne. Nun sind zwei Astronomen die bislang genauesten Datierungen der Geschichte unserer Heimatgalaxie gelungen. Dafür verwendeten sie insgesamt 247 104 spezielle Sterne – Unterriesen genannt – als kosmische Uhren. Die Scheibe der Milchstraße ist demnach bereits vor 13 Milliarden Jahren – nur 800 Millionen Jahre nach dem Urknall – entstanden, berichten die Astronomen im Fachblatt „Nature".
Unsere Milchstraße ist eine Spiralgalaxie: Die meisten Sterne befinden sich in einer Scheibe sowie einer zentralen Verdickung – Bulge genannt. Eingehüllt ist diese Scheibe in einen inneren und einen äußeren Halo aus Sternen. Die Entstehung der inneren Hülle fällt mit der Verschmelzung der jungen Milchstraße mit der kleineren Satellitengalaxie Gaia-Enceladus zusammen. Dieses Ereignis löste offenbar auch die Entstehung vieler Sterne in der Scheibe aus. Doch die genaue Entwicklungsgeschichte der Milchstraße und ihrer komplexen Struktur nachzuvollziehen, ist für Astronomen keine leichte Aufgabe. Denn dazu müssen sie das Alter und die Herkunft möglichst vieler Sterne bestimmen.
Besonders geeignet für die Altersbestimmung von Sternen sind sogenannte Unterriesen – eine Entwicklungsstufe von Sternen. Zunächst erzeugen Sterne wie unsere Sonne ihre Energie durch die Kernfusion von Wasserstoff zu Helium. Doch wenn der Vorrat an Wasserstoff im Kern verbraucht ist, dehnt sich der Stern zu einem roten Riesen aus. Davor geht der Stern allerdings noch in die kurze Phase des Unterriesen über, während der Energie durch die Kontraktion des Kerns entsteht. Da diese Phase astronomisch gesehen kurz ist – sie dauert wenige Millionen Jahre – lässt sich das Alter eines Sterns in dieser Phase sehr genau bestimmen.
Doch zugleich ist es für Astronomen, aufgrund der kurzen Dauer, sehr schwierig, überhaupt Unterriesen aufzuspüren. Auf der Suche nach diesen speziellen Sternen nutzten Maosheng Xiang und Hans-Walter Rix vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg deswegen nun zwei große Himmelsdurchmusterungen: Sie analysierten einerseits die Daten des europäischen Satellitenteleskops Gaia, mit dem die Entfernung und die Bewegung von über einer Milliarde Sternen in der Milchstraße gemessen wurden. Andererseits verwendeten sie die Spektren, die das optische Teleskop LAMOST vom Observatorium Xinglong Station in China von mehreren hunderttausend Sternen sammelte.
Durch die Kombination der Daten beider Teleskope identifizierten Xiang und Rix nicht nur insgesamt 247 104 Unterriesen, sondern bestimmten auch ihr genaues Alter und ordneten den Sternen ihren Ursprung zu. Anhand der von LAMOST gemessenen Spektren – also der Verteilung der verschiedenen Wellenlängen im Sternenlicht – ließ sich etwa die chemische Zusammensetzung der Sterne und daraus deren Alter bestimmen. Je mehr schwere Elemente die Atmosphäre eines Sterns enthält, umso später in der galaktischen Geschichte ist er entstanden. Denn die schweren Elemente entstehen erst durch Kernfusion im Inneren von Sternen vorhergehender Generationen.
Insgesamt überdeckt das Alter der untersuchten Sterne einen Bereich von 1,5 bis 13,8 Milliarden Jahren, also nahezu die gesamte Geschichte unserer Milchstraße. Die meisten untersuchten Sterne ließen sich der Entstehungsphase der Scheibe und des inneren Halos der Galaxis zuordnen. „Die Unterriesen sind damit die besten Indikatoren für die galaktische Archäologie, die wir haben", so Xiang und Rix. Für die Zukunft erhoffen sich die beiden Forscher, weitere Unterriesen zu identifizieren. Denn je mehr dieser Sterne die Astronomen untersuchen, desto detailliertere Aussagen lassen sich über die Entwicklungsgeschichte der Milchstraße treffen.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2022/blick-in-die-geschichte-der-milchstrasse/