Doch kein Schwarzes Loch

Der Stern HR 6819 umkreist nicht das bislang erdnächste Schwarze Loch, sondern befindet sich in einem ungewöhnlichen Zustand.

Rainer Kayser

Im Vordergrund befindet sich eine strahlende Kugel, die von einer leuchtenden Scheibe umgeben ist. Im Hintergrund befindet sich eine zweite, kleinere Kugel.

ESO/L. Calçada

Vor zwei Jahren meldeten Astronomen die Entdeckung eines Schwarzen Lochs in der Nähe des etwa tausend Lichtjahre entfernten Sterns HR 6819. Es wäre damit das bislang der Erde nächstgelegene bekannte Schwarze Loch – und sorgte weltweit für Schlagzeilen. Genauere Beobachtungen zeigen nun jedoch, dass es sich zwar um einen ungewöhnlichen Stern handelt, sich dieser allerdings nicht um ein Schwarzes Loch dreht. Zu der Fehlinterpretation sei es gekommen, weil sich der Stern in einer seltenen Entwicklungsphase befinde, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Astronomy & Astrophysics“.

Der Stern HR 6819 ist unter günstigen Bedingungen sogar mit bloßen Augen am Südhimmel zu erkennen. Thomas Rivinius von der Europäischen Südsternwarte ESO und seine Kollegen hatten das Sternenlicht von HR 6819 mit einem Teleskop genau untersucht und analysiert, wie viel Licht welcher Wellenlänge auf ihr Teleskop trifft. Da sich dieses Spektrum sowohl mit der Temperatur als auch mit der Bewegung eines Sterns verändert, erhalten Astronomen auf diese Weise Informationen über ihn. Doch das Spektrum von HR 6819 war ungewöhnlich und konnte nicht von einem einzigen Stern stammen.

Zunächst erklärten die Forscher um Rivinius ihre Entdeckung mit einem Modell, nach dem es sich bei HR 6819 um ein System aus insgesamt drei Objekten handle, von denen eines ein Schwarzes Loch mit etwa der vierfachen Masse der Sonne sei. Um dieses Schwarze Loch wiederum kreise auf einer engen Umlaufbahn ein Stern mit etwa fünf Sonnenmassen. In deutlich größerer Entfernung ziehe laut dem Modell ein weiterer Stern seine Bahn um dieses enge Doppelsystem. Über dessen Masse konnten die Forscher jedoch keine Aussage machen.

Bereits kurz darauf zeigten Wissenschaftler um Julia Bodensteiner, damals an der Universität Löwen in Belgien, jedoch, dass sich das Spektrum von HR 6819 auch anders erklären ließe – und zwar ohne ein Schwarzes Loch. Stattdessen könne das System aus lediglich zwei Sternen bestehen, von denen einer dem anderen einen Teil seiner Materie entrissen habe.

Um zu entscheiden, um was für ein System es sich bei HR 6819 nun tatsächlich handelt, führten beide Forscherteams gemeinsam weitere Beobachtungen mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte durch. „Wir waren uns einig, dass es zwei leuchtende Sterne in dem System gibt“, so Rivinius. „Die Frage war also, ob sie weit voneinander entfernt sind, wie im Szenario des Schwarzen Lochs, oder einander eng umkreisen, wie im alternativen Szenario.“ Das Ergebnis war eindeutig: Die Bilder zeigten zwei eng beieinander liegende Sterne. „Unsere beste Erklärung ist jetzt, dass wir diesen engen Doppelstern kurz nach dem Moment sehen, in dem ein Stern seinem Begleiter die Atmosphäre entrissen hat“, erläutert Bodensteiner.

Die Korrektur eines Ergebnisses sei für die Wissenschaft nicht nur normal, sondern „genau so muss es sein“, erläutert Rivinius, „Ergebnisse müssen von Kollegen kritisch unter die Lupe genommen werden“. Damit enthalte HR 6819 zwar kein Schwarzes Loch, biete den Astronomen aber die seltene Gelegenheit, einen Einblick in eine spannende Phase der Entwicklung eines Doppelsterns zu erhalten.

Künstlerische Darstellung von HR 6819

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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2022/doch-kein-schwarzes-loch/