Wie Sternenzwillinge entstehen

Elliptische Umlaufbahnen fast identischer Sterne deuten auf eine gemeinsame Geschichte hin.

Rainer Kayser

Zwei helle Sterne im All nebeneinander

NASA/Goddard

Von ihnen gibt es zahlreiche Vertreter im All: Doppelsysteme aus zwei nahezu identischen Sternen. Solche Sternenzwillinge sollten, so die Theorie, aus einer gemeinsamen Gaswolke entstanden sein. Doch viele von ihnen sind wesentlich weiter voneinander entfernt als die Gaswolken, in denen sie entstanden sein müssten, groß sind. Diesen Widerspruch scheint ein Forscherteam jetzt aufgelöst zu haben. Ihre Erkenntnis: Die beiden Sterne bewegen sich zumeist auf extrem langgestreckten Umlaufbahnen, müssen sich früher enger beieinander befunden und dann im Lauf der Zeit voneinander entfernt haben, so die Wissenschaftler im Fachblatt „Astrophysical Journal Letters“.

Zwillingspaare von Sternen zeichnen sich dadurch aus, dass die beiden Sterne in Masse und Größe übereinstimmen. Häufig sind sie über hundert Milliarden Kilometer voneinander entfernt. Die Orte, an denen Sterne entstehen – protostellare Scheiben –, haben hingegen Durchmesser von nur etwa 15 Milliarden Kilometer. „Sie sind also viel kleiner als die typischen Abstände solcher Zwillingspaare“, erläutern Hsiang-Chih Hwang vom Institute for Advanced Study in Princeton und seine Kollegen. Das Rätsel, wie die Zwillingssterne entstanden sind, obwohl sie solch immense Distanzen voneinander trennen, wollten die Forscher nun lüften. Vielleicht, so ihre Vermutung, sind die Sterne dicht beieinander entstanden und erst später durch Störungen ihrer Bahnen weiter auseinander gewandert. Solche Störungen führen aber stets zu stark elliptischen Umlaufbahnen.

Diese Vermutung ist jedoch nicht so einfach zu überprüfen. Denn bei solchen weiten Systemen dauert es mitunter viele hundert oder gar tausend Jahre, bis die Sterne sich einmal gegenseitig umrundet haben. Hwang und seine Kollegen griffen daher auf einen umfangreichen Datensatz zurück, der aus Beobachtungen des europäischen Weltraumsatelliten Gaia stammt. Die Daten enthalten fast eine Million Sternenzwillinge mit Abständen von 60 bis 150 Milliarden Kilometer, das entspricht dem 400- bis 1000-Fachen des Abstands der Erde zur Sonne.

Aus diesen Daten ermittelten Hwang und seine Kollegen einerseits die Verbindungslinien zwischen beiden Sternen und andererseits die Bewegungsrichtungen der beiden Sterne relativ zueinander. Bei nahezu kreisförmigen Bahnen sollten diese etwa einen rechten Winkel bilden. Stattdessen stellte sich heraus, dass in den meisten Fällen die Verbindungslinien und die Bewegungsrichtungen nahezu parallel waren – typisch für langgestreckte Ellipsenbahnen.

Ihre stark elliptische Form deute darauf hin, „dass die Bahnen durch dynamische Prozesse während der Entstehungsphase der Sterne stark gestört worden sind“, so Hwang und seine Kollegen. Beide Sterne aus solchen Zwillingssternsystemen scheinen also in einer einzigen Gaswolke entstanden zu sein. Die Frage, welcher Prozess die Bahnen gestört hat, bleibt jedoch bestehen. Infrage kommen sowohl Wechselwirkungen der jungen Sterne mit der rotierenden Gasscheibe, aus der sie entstanden sind, als auch weitere Sterne, die eng an den jungen Sternen vorbeigezogen sein könnten.

Wie die Forscher betonen, ist die Antwort auf diese Frage auch für Einzelsterne von Interesse: Die Störungen könnten nämlich mitunter so groß sein, dass sich die Sternenpaare auflösen – in zwei Einzelsterne, die in entgegengesetzten Richtungen davonfliegen. Weit entfernte Sternenzwillinge können uns also offenbaren, wie sich ganze Gruppen von Sternen entwickeln, so die Astrophysiker.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2022/sternentwicklung-wie-sternenzwillinge-entstehen/