Doch kein außerirdisches Raumschiff

Eine überraschend einfache Erklärung löst das Rätsel, warum der Himmelskörper Oumuamua plötzlich beschleunigte, als er das Sonnensystem durchquerte.

Rainer Kayser und Redaktion

Gesteinsbrocken im All, von dem auf seiner rechten Seite Nebel ausgeht

NASA, ESA and Joseph Olmsted and Frank Summers of STScI

Vor fünf Jahren durchquerte ein Objekt aus ferner Herkunft unser Sonnensystem. Der Himmelskörper namens Oumuamua stellte Astronominnen und Astronomen vor ein Rätsel: Denn er wurde auf seiner Bahn plötzlich etwas schneller – ohne dass eine Ursache zu erkennen war. Selbst in der Wissenschaft spekulierten manche, ob es sich bei Oumuamua nicht um ein künstliches Objekt handeln könnte, eine außerirdische Raumsonde. Doch jetzt haben eine Astrochemikerin und ein Geophysiker eine Erklärung für die mysteriöse Beschleunigung gefunden: Oumuamua habe lediglich Wasserstoff ausgestoßen, der durch kosmische Strahlung im interstellaren Raum entstanden ist, wie sie im Fachblatt „Nature“ berichten.

Am 19. Oktober 2017 spürte das Teleskop Pan-STARRS auf der hawaiianischen Insel Maui ein bemerkenswertes Objekt im All auf. Rasch war klar: Es konnte sich nicht um einen typischen Kometen unseres Sonnensystems handeln. Denn das Objekt bewegte sich mit über 300 000 Kilometern pro Stunde viel zu schnell und nicht in Form einer Ellipse um die Sonne. Stattdessen flog es eine Kurve durch das Sonnensystem und entfernte sich dann wieder. Wie Jennifer Bergner von der University of California in Berkeley und Darryl Seligman, damals an der University of Chicago, erläutern, war es „das erste interstellare Objekt, das im Sonnensystem identifiziert werden konnte“. Somit erhielt es den Namen „Erster Bote aus der Ferne“, hawaiianisch „Oumuamua“.

Auf eine solche Entdeckung hatte man seit langem gehofft. Denn wenn Planetensysteme entstehen, sollten viele kleine Körper – Asteroiden und Kometen – aus ihrem System herausgeschleudert werden und dann für viele Millionen Jahre den Raum zwischen den Sternen durchqueren. Und ab und an sollte ein solches interstellares Objekt dann unser Sonnensystem durchqueren. Doch Oumuamua überraschte mit seinen Eigenschaften – denn er ähnelte keineswegs, wie erwartet, einem Asteroiden oder Kometen. Mit etwa 200 Metern war er recht klein. Zudem schwankte seine Helligkeit stark – sie war zwischenzeitlich zwölfmal höher als zu anderen Zeitpunkten. Aus diesen und weiteren Beobachtungen rekonstruierten Astronominnen und Astronomen eine flache, pfannkuchenartige Form von Oumuamua.

Die größte Überraschung war jedoch, dass nicht nur die Anziehungskraft der Sonne die Bahn von Oumuamua bestimmt, sondern das Objekt seltsamerweise auch ein wenig schneller wurde. Solche Beschleunigungen sind von Kometen bekannt, die Wasserdampf und Staub ausstoßen. Doch bei Oumuamua gab es keine Spur ausströmender Materie. Und damit begannen die Spekulationen. Handelte es sich um eine Art kosmischen Eisberg aus purem gefrorenem Wasserstoff? Wasserstoff könnte verdampfen, ohne sichtbar zu sein und so die Beschleunigung erklären. Doch wie sollten derartige Objekte entstehen? Oder war es gar ein außerirdisches Raumschiff, ausgestattet mit einem Sonnensegel als Antrieb? Überprüfen ließen sich diese Spekulationen jedoch nicht – dafür war das Objekt zu weit entfernt und zu schnell.

Jennifer Bergner hatte eine andere Idee: Vielleicht handelte es sich doch um einen kleinen Kometen aus Geröll und Wassereis – der sich jedoch im Laufe seines langen Flugs durchs All verändert hatte. Diese These überprüfte sie anhand von Beobachtungen der letzten Jahrzehnte. Dabei stieß die Forscherin auf zahlreiche Experimente bis zurück in die 1970er-Jahre, die ihr recht gaben: Demnach kann hochenergetische kosmische Strahlung Wassereis verändern, molekularen Wasserstoff daraus produzieren – und dieser konnte in dem porösen Eis gefangen bleiben. Nähert sich das Objekt der Sonne, verändert sich das Eis und setzt den Wasserstoff frei – und dieser gibt dem kleinen Körper dann einen schwachen Schub.

Wie Bergner und ihr Kollege Seligman feststellten, passt dieses Erklärungsmodell auch zu den Beobachtungen von Oumuamua. Vor allem, weil Oumuamua so klein ist, macht sich der Effekt bemerkbar. Bei einem größeren Kometen wäre er nicht nachweisbar, da dort andere Effekte eine größere Rolle spielen. „Unser Modell ist also in Übereinstimmung mit Kometen in unserem Sonnensystem“, sagt Bergner. Und es erkläre die Eigenschaften von Oumuamua ohne weitere exotische Annahmen: „Es ist ein ganz normaler interstellarer Komet.“

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2023/oumuamua-doch-kein-ausserirdisches-raumschiff/