Atmosphäre verhindert gebundene Rotation

Thermische Gezeiten machen Planeten auf engen Umlaufbahnen lebensfreundlicher.

Rainer Kayser

Stern mit Fleck und Protuberanzen, davor ein Planet.

Ein Planet auf einer engen Umlaufbahn muss seinem Zentralstern nicht, wie bislang angenommen, stets die gleiche Seite zuwenden. Thermische Gezeiten seiner Atmosphäre können eine solche gebundene Rotation verhindern und den Planeten dadurch lebensfreundlicher machen. Wie eine neue Studie zeigt, reicht dazu bereits eine vergleichsweise dünne Atmosphäre aus. Damit könnte auch auf erdgroßen Planeten mit engen Umlaufbahnen um Zwergsterne flüssiges Wasser existieren und die Entstehung von Leben möglich sein, schreiben die Wissenschaftler im Fachblatt „Science“.

„Bislang gingen wir davon aus, dass Planeten in der lebensfreundlichen Zone von Sternen kleiner als unsere Sonne zumeist eine gebundene Rotation zeigen“, so Jérémy Leconte von der University of Toronto und seine Kollegen. „Das hätte einen erheblichen Einfluss auf die Bewohnbarkeit eines solchen Planeten.“ Denn wenn die eine Seite des Planeten stets auf seinen Stern und die andere von diesem weg zeigt, wäre die Tagseite sehr heiß und die Nachtseite sehr kalt – so kalt, dass dort vermutlich alles Wasser, möglicherweise sogar die ganze Atmosphäre ausfrieren würde. Keine guten Aussichten also für etwaige Lebensformen.

Doch so muss es nicht kommen, wie Leconte und seine Kollegen zeigen. Auf einem rotierenden Planeten schwankt die Temperatur durch die Einstrahlung des Zentralsterns im Tagesverlauf. Das führt zu „thermischen Gezeiten“ der Atmosphäre, zu einer Aufheizung und Ausdehnung der Lufthülle im Tagesrhythmus. Durch die thermische Trägheit der Planetenoberfläche sowie der Atmosphäre befindet sich der Gezeitenberg dieses Phänomens aber nicht exakt unter dem Zentralstern, sondern hinkt ein wenig hinterher. Dadurch kann die Anziehungskraft des Zentralsterns an dem thermischen Gezeitenberg ansetzen, ein zwar kleines, aber signifikantes Drehmoment auf den Planeten ausüben und so seine Rotation beeinflussen.

Die Astronomen kennen diesen Effekt von der Venus, die durch die thermischen Gezeiten ihrer sehr dichten Atmosphäre keine gebundene Rotation aufweist. Bislang gingen die Forscher aber davon aus, dass bei dünneren Atmosphären wie jener der Erde der Einfluss des Phänomens vernachlässigbar ist. Ein Irrtum, wie Leconte und seine Kollegen nun zeigen konnten. „Thermische Gezeiten können also einen deutlichen Einfluss auf viele Planeten in der lebensfreundlichen Zone von Sternen mit kleineren Massen haben“, schließen die Forscher.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2015/atmosphaere-verhindert-gebundene-rotation/