Relativistische Jets statt Kokon

Die 2017 beobachtete Verschmelzung von Neutronensternen erzeugte gebündelte Materiestrahlen, die mit nahezu Lichtgeschwindigkeit ins All hinausschossen.

Rainer Kayser

Rote Strudelwolke im Weltall, durch die ein Lichtstrahl hineinreicht

Beabudai Design

Vor 130 Millionen Jahren stießen in der Galaxie NGC 4993 zwei Neutronensterne zusammen und verschmolzen miteinander. Auf der Erde registrierten Astronomen die Kollision am 17. August 2017 als Gammastrahlungsausbruch, als Gravitationswellensignal und auch als Aufleuchten im optischen, Radio- und Röntgenbereich. Beobachtungen eines Forscherteams mit dem Very Long Baseline Interferometer VLBI – einem Zusammenschluss großer Radioteleskope – zeigen jetzt, dass die verschmelzenden Neutronensterne einen Jet produzierten. Dieser eng gebündelte Materiestrahl schießt mit nahezu Lichtgeschwindigkeit ins All hinaus und widerspricht damit bisherigen Modellen, berichten die Wissenschaftler im Fachblatt „Science“.

Neutronensterne sind extrem dichte Überreste massereicher Sterne: Haben diese Sterne ihren nuklearen Brennstoffvorrat verbraucht, so kollabieren sie zu einem Objekt, in dem die Materie so dicht gepackt ist wie in den Kernen von Atomen. Der gewaltige Druck presst die Elektronen in die Protonen und verwandelt diese in Neutronen. In Doppelsternsystemen können zwei Neutronensterne entstehen, die sich langsam einander annähern und schließlich miteinander kollidieren. Aus dem Helligkeitsverlauf des Nachglühens der Explosion in der Galaxie NGC 4993 hatten Astronomen im Jahr 2017 zunächst gefolgert, dass sich um die kollidierenden Neutronensterne ein Kokon – also eine dichte Materiehülle – gebildet habe. Dieser Kokon sollte die Energie eines entstehenden Jets aufgenommen und seine weitere Ausbreitung verhindert haben.

Dieses Modell muss nun revidiert werden. Denn mithilfe des VLBI aus insgesamt 32 über den ganzen Globus verteilten Radioteleskopen erhöhten die Astronomen das Auflösungsvermögen und spürten am Ort der Kollision eine kompakte Radioquelle auf. „Damit können wir das Szenario eines isotropen Materieausstoßes ausschließen“, so Giancarlo Ghirlanda vom Nationalinstitut für Astrophysik in Italien und seine Kollegen. „Denn das würde zu einer wesentlich größeren Radioquelle führen.“ Anhand von weiteren statistischen Überlegungen über die Häufigkeit von doppelten Neutronensternen und beobachteten Gammastrahlungsausbrüchen folgern Ghirlanda und seine Kollegen, dass bei mindestens zehn Prozent aller Kollisionen von Neutronensternen solche gebündelten Materiestrahlen mit nahezu Lichtgeschwindigkeit ins All hinausschießen.

Weltkarte, auf der die Standorte von Radioteleskopen verzeichnet sind

Very Long Baseline Interferometer

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2019/relativistische-jets-statt-kokon/