Wie schnell expandiert das Universum?
Die Hubble-Konstante ist eine zentrale Größe in der Kosmologie: Sie beschreibt, wie schnell die Abstände zwischen den Galaxien im heutigen Weltall zunehmen. Forscher ermittelten diese Expansionsrate nun erstmals anhand der detaillierten Analysen von kollidierenden Neutronensternen in fernen Galaxien. Die Astrophysiker kombinierten dafür verschiedene Messungen von Gravitationswellen, Licht, Radio- und Röntgenstrahlung mit theoretischen Ansätzen der Kernphysik. Wie die Wissenschaftler im Fachblatt „Science“ berichten, lässt sich daraus auch das Verhalten der extrem dichten Materie im Inneren von Neutronensternen so genau wie nie zuvor bestimmen.
Inzwischen gibt es einige Verfahren, um die Hubble-Konstante zu bestimmen. Doch auch wenn jedes für sich recht genaue Ergebnisse liefert, lassen sie sich im Rahmen ihrer jeweiligen Fehlergrenzen nicht in Einklang bringen. Beispielsweise liefern Messungen anhand der kosmischen Hintergrundstrahlung – also des Strahlungsechos des Urknalls – einen Wert um 68, während Analysen von Supernovae einen deutlich höheren Wert um 74 liefern. Die Zahlenwerte geben jeweils an, um wie viele Kilometer der Abstand zweier Objekte, die 3,26 Millionen Lichtjahre auseinander liegen, pro Sekunde zunimmt. Die Diskrepanz zwischen den Messungen im jungen Universum und im lokalen Kosmos versuchen Himmelsforscher schon seit Jahren zu erklären.
In einem weiteren, vielversprechenden Verfahren versuchen Astronomen die Hubble-Konstante aus der Helligkeit von Kilonovae zu bestimmen, also aus der explosiven Verschmelzung von zwei Neutronensternen. Dafür müsste allerdings deren tatsächliche Helligkeit bekannt sein – die sich wiederum aus dem Verhalten der extrem dichten Materie im Inneren der Neutronensterne ergibt. Physiker beschreiben solche Eigenschaften prinzipiell mithilfe von sogenannten Zustandsgleichungen, die jeweils von Volumen, Druck und Temperatur der Materie abhängen. Allerdings war die Zustandsgleichung der Materie im Inneren von Neutronensternen bislang noch nicht genau bekannt.
Doch Tim Dietrich von der Universität Potsdam und seinen Kollegen ist es nun gelungen, diese Zustandsgleichung so genau wie nie zuvor zu ermitteln. Zunächst sammelten sie unterschiedliche Beobachtungen von zwei verschiedenen Neutronensternkollisionen und von Pulsaren – also schnell rotierenden Neutronensternen. Diese Analysen ergänzten sie mit Theorien aus der Kernphysik und schlossen daraus auf die Zustandsgleichung für die Materie im Inneren von Neutronensternen. Anschließend ließ sich die Helligkeit des Strahlungsblitzes bei der Kollision von Neutronensternen berechnen und so schließlich die Hubble-Konstante bestimmen.
„Von dem Ergebnis war ich ehrlich überrascht“, gesteht Dietrich. Denn mit einem Wert von 66 stimmt es zwar gut mit der aus der Hintergrundstrahlung ermittelten Hubble-Konstanten überein. „Die von uns verwendeten Neutronensternkollisionen fanden aber im lokalen Kosmos statt, deshalb hatten wir mit einem höheren Wert gerechnet.“ Noch sei es aber zu früh, um andere lokale Messverfahren zu verwerfen. „Die Fehler unseres Verfahrens sind dazu noch zu groß“, so Dietrich. Um einen genaueren Wert zu erhalten, müssen die Forscher zunächst das Verfahren auf viele weitere Kollisionen von Neutronensternen anwenden. Somit lässt sich die Diskrepanz zwischen den verschiedenen Werten der Expansionsrate bislang noch immer nicht erklären.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/nachrichten/2020/wie-schnell-expandiert-der-kosmos/