Eine Kamera für Schwarze Löcher
Lisa Leander
Mit dem Projekt Black Hole Cam wollen Forscher um Michael Kramer vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn erstmals das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße abbilden. Lisa Leander sprach mit dem Astrophysiker über die Ziele des Projekts.
Im Zentrum der Milchstraße befindet sich offenbar ein Objekt, das vier Millionen Mal so viel Masse besitzt wie die Sonne. Seine starke Gravitation beeinflusst die Bahnen von Sternen, die um das Zentrum kreisen. Direkt beobachten lässt sich dieses Objekt allerdings nicht. Astronomen gehen davon aus, dass es sich um ein supermassereiches Schwarzes Loch handelt. Obwohl ein Schwarzes Loch selbst kein Licht aussendet, haben Forscher einen Weg gefunden, indirekt ein Bild von dem Objekt aufzunehmen.
Michael Kramer: „Man kann es sich so vorstellen, dass aufgrund der Gravitation das Plasma, also das Gas, das sich im Zentrum befindet, langsam in das Schwarze Loch hineingezogen wird, in Form einer Akkretionsscheibe. Durch diese Akkretion wird Strahlung frei – nicht vom Schwarzen Loch selbst, sondern vom umgebenden Plasma. Man erwartet deshalb, das sich der Schatten oder das Abbild des Schwarzen Lochs vor dem Hintergrund der Plasmascheibe ausmessen lässt.“
Gemeinsam mit anderen Forschern leitet er das Projekt Black Hole Cam, in dem die Radiostrahlung aus der heißen Gasscheibe aufgefangen und untersucht werden soll. Radiowellen haben den Vorteil, dass sie durch die Staubwolken zwischen den Sternen dringen, die den direkten Blick auf das Zentrum der Milchstraße versperren.
„Das Problem ist, dass das interstellare Medium, welches sich zwischen uns und dem Schwarzen Loch befindet, die Strahlung streut. Das heißt, wenn wir es bei niedrigen Radiofrequenzen beobachten, dann sehen wir einen ,Blob‘, einen Punkt von Radiostrahlung. Dieser Blob ist aber nicht das eigentliche Schwarze Loch, sondern einfach die gestreute Strahlung. Diese Streuung nimmt bei höheren Radiofrequenzen ab. Irgendwann, etwa bei 230 Gigahertz, ist die Streustrahlung so gering, dass man tatsächlich die originale Emission vom Schwarzen Loch sehen kann.“
Existiert der Ereignishorizont?
Im Rahmen ihres Projekts nutzen die Wissenschaftler den Teleskopverbund ALMA im Norden Chiles: Sechzig Einzelantennen bilden zusammengeschaltet das weltweit leistungsfähigste Radioteleskop für Wellenlängen im Millimeter- und Submillimeterbereich. Für das Projekt Black Hole Cam werden aber noch mehr Teleskope das Schwarze Loch im Zentrum der Milchstraße beobachten, zum Beispiel auf Hawaii, in Arizona oder am Südpol.
„Das Schöne bei Radiofrequenzen ist, dass wir die Photonen, die wir auffangen, nicht sofort verarbeiten müssen, wie es bei optischen Verfahren der Fall ist. Wir können sie als Spannung aufzeichnen und sozusagen offline nach dem Experiment die Daten vergleichen. Wenn wir uns dann mit zwei Teleskopen ein Objekt im Weltraum anschauen, kommt die Radiostrahlung – je nach Geometrie – zuerst bei dem einen Teleskop an und danach beim anderen. Diesen kleinen Zeitunterschied können wir ausnutzen, um quasi aus verschiedenen Perspektiven das Objekt anzuschauen. So bekommen wir ein sehr hochaufgelöstes Bild.“
Die Daten, die Kramer und seine Kollegen sammeln wollen, sind auch ein Test für die Allgemeine Relativitätstheorie, mit der Albert Einstein vor rund einhundert Jahren das Phänomen der Gravitation beschrieb. Die Theorie sagt unter anderem voraus, dass sich Schwarze Löcher durch wenige Eigenschaften vollständig charakterisieren lassen. Konkret werden sie von Astronomen nur anhand ihrer Masse und ihres Drehimpulses, oder Spins, beschrieben. Außerdem sollen sie einen Ereignishorizont aufweisen, also eine Grenze, ab der die Gravitation so groß ist, dass weder Materie noch Licht das Schwarze Loch verlassen kann.
„Der Ereignishorizont ist eigentlich das, was ein Schwarzes Loch ausmacht. Er trennt das Innere des Schwarzen Lochs vom Rest des Universums. Das ist aber ein sehr theoretisches Gebilde. Es gibt bisher keinen Beleg, dass der Ereignishorizont existiert. Wenn wir jetzt allerdings ein Bild des Schwarzen Lochs machen können, dann hätten wir schon einmal die Existenz des Ereignishorizonts bewiesen. Aber wir wollen noch mehr: Wir wollen nämlich auch herausfinden, ob das Schwarze Loch tatsächlich so einfach ist, wie die Relativitätstheorie vorhersagt, ob man es wirklich nur mit zwei Zahlen – der Masse und dem Spin – beschreiben kann.“
In den vergangenen Jahren haben Wissenschaftler immer wieder die Voraussagen der Allgemeinen Relativitätstheorie getestet – und das mit Erfolg. Trotzdem könnte die Forschung eines Tages auf Phänomene stoßen, die sich nicht mehr mit den von Einstein formulierten Gesetzen beschreiben lassen. Dann müsste eine neue Theorie der Schwerkraft die alte ergänzen oder zumindest teilweise ersetzen.
„Doch alle diese Änderungen, die an der Theorie der Schwerkraft vorgenommen werden, haben auf jeden Fall Auswirkungen darauf, was bei starken Gravitationsfeldern passiert. Und Schwarze Löcher haben nun einmal das stärkste Gravitationsfeld, das wir uns im Universum vorstellen können. Jede Theorie, die aufgestellt wird, muss daher die Beobachtung von Schwarzen Löchern korrekt beschreiben. Wenn das nicht der Fall ist, hat die Theorie den Test nicht bestanden.“
Um die Theorien zu prüfen, suchen Kramer und seine Kollegen nach sogenannten Pulsaren in der Nähe des Galaxienzentrums. Diese Überreste von massereichen Sternen rotieren enorm schnell um ihre eigene Achse und senden dabei gebündelte Radiostrahlen ins All. Streifen solche Strahlen die Erde, können Astronomen sie als regelmäßige Pulse messen. Umkreist ein Pulsar ein Schwarzes Loch, wird sein Orbit von dessen Gravitation beeinflusst.
Suche nach der richtigen Frequenz
„Wenn das Schwarze Loch einen Spin hat, dann kommt es zum sogenannten Spin-Orbit-Coupling, der Orbit fängt dabei an zu präzedieren, er ,wobbelt‘ herum. Das können wir benutzen, um den Spin des Schwarzen Lochs zu bestimmen – nicht nur seine Größe, sondern tatsächlich auch die Richtung. Das ist ganz entscheidend, wenn man die Bilder später interpretieren will.“
Anhand des Spins und mithilfe von theoretischen Modellen können die Forscher vorhersagen, wie das Bild der Black Hole Cam aussehen muss. Bei diesen Berechnungen legen sie unterschiedliche Theorien der Schwerkraft zugrunde.
„Dann machen wir das Experiment, schauen uns das Bild an und können mit dem Vergleich zwischen dem, was wir sehen, und was die verschiedenen Theorien vorhersagen, eine Unterscheidung treffen, welche Theorie korrekt ist.“
Bei der Suche nach den Pulsaren stehen Kramer und sein Team allerdings vor einem Problem: Die Objekte senden schwache Radiostrahlung aus, die sich nur bei niedrigen Frequenzen gut messen lässt. Die Wissenschaftler fangen mit ihren Teleskopen jedoch hochfrequente Strahlung auf, um trotz des Staubs im interstellaren Raum ein klares Bild zu erhalten.
„Man muss deswegen die optimale Suchfrequenz finden: Nicht zu hoch, damit die Pulsare noch stark genug sind, aber auch nicht zu niedrig, weil sonst die Streuung zu groß ist. Die richtige Kombination hat man bis heute noch nicht erreicht. Wir versuchen also, indem wir sehr große Teleskope wie zum Beispiel ALMA bei hohen Frequenzen haben, dieses Dilemma zum ersten Mal zu lösen.“
Das Projekt Black Hole Cam startet im Oktober 2014 und wird von dort an für sechs Jahre laufen. Kramer geht davon aus, dass die eigens entwickelte Elektronik und das Zusammenschalten der Teleskope auch bei anderen Forschungsvorhaben zum Einsatz kommen werden. Auch supermassereiche Schwarze Löcher in den Zentren anderer Galaxien lassen sich auf diese Weise erforschen. Bilder aufzunehmen, auf denen der Schatten der Schwarzen Löcher zu sehen ist, wird bei so weit entfernten Objekten zwar nicht möglich sein. Astronomen erwarten aber, mehr über Prozesse am Ereignishorizont zu erfahren.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/schwarze-loecher/eine-kamera-fuer-schwarze-loecher/