Die Grenzen eines Schwarzen Lochs
Franziska Konitzer
Wo hört ein Schwarzes Loch auf? Am Ereignishorizont, wäre eine mögliche Antwort. Jene Grenze kann, einmal überquert, weder von Licht noch Materie jemals wieder verlassen werden. Gelänge es Astronomen, den Schatten eines Ereignishorizonts zu beobachten, wäre das der erste direkte Nachweis, dass Schwarze Löcher existieren.
Die Idee von Himmelskörpern mit einer so immensen Anziehungskraft, dass noch nicht einmal Licht entkommen kann, ist bereits einige Hundert Jahre alt. Der britische Naturphilosoph John Michell und der französische Mathematiker Pierre-Simon Laplace schrieben bereits Ende des 18. Jahrhunderts unabhängig voneinander über die Existenz solcher „Dunklen Sterne“. Ihre Ausführungen wurden damals allerdings nicht beachtet. Erst 1915 verlieh Albert Einstein dieser Idee mit seiner Allgemeinen Relativitätstheorie ein solides theoretisches Fundament.
Diese Theorie beschreibt den Kosmos als vierdimensionale Raumzeit, die von massebehafteten Objekten gekrümmt wird. Breitet sich etwa Licht in der Raumzeit aus, so folgt es keiner geraden Linie, sondern der kürzesten Linie in der gekrümmten Raumzeit: Je größer die Masse eines Objekts ist, desto größer wird der Krümmungs- und daher der Ablenkungseffekt auf Licht oder Materie. Eine Lösung der Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie beschreibt ein Schwarzes Loch als Singularität – als Punkt, an dem die Raumzeit nicht mehr definiert ist: Die gesamte Masse des Objekts ist in einem Punkt mit unendlich hoher Masse und unendlich starkem Gravitationsfeld vereint. Je näher man dem Schwarzen Loch kommt, umso stärker ist die Raumzeit gekrümmt.
„Schwarze Löcher sind über die Existenz eines Ereignishorizonts definiert“, sagt Norman Gürlebeck vom Zentrum für angewandte Raumfahrttechnik und Mikrogravitation der Universität Bremen, „ohne die Fläche des Ereignishorizonts hätte man kein Schwarzes Loch.“ Erstmals beschrieben wurden der Ereignishorizont vom deutschen Astrophysiker Karl Schwarzschild im Jahr 1915 – auch wenn weder er noch andere Wissenschaftler, darunter auch Albert Einstein, zum damaligen Zeitpunkt die Relevanz dieser Berechnungen verstanden. Schwarzschild löste Einsteins Gleichungen der Raumzeit, weil er das Gravitationsfeld eines einzelnen Massenpunkts berechnen wollte. Er erhielt so Lösungen für eine symmetrische Raumzeit, die unter anderem auch den nach ihm benannten Schwarzschildradius enthielten.
Theorie und Praxis
Dieser beschreibt das Volumen für die einfachste Art von Schwarzem Loch, das sphärisch ist und nicht rotiert. Wird Materie so komprimiert, dass sie den Schwarzschildradius unterschreitet, kollabiert sie unweigerlich zum Schwarzen Loch. Das gilt beispielsweise für sehr massereiche Sterne, die am Ende ihrer Entwicklung in sich zusammenstürzen. Die Ausdehnung des Ereignishorizonts lässt sich über den Schwarzschildradius berechnen – aber nur für einen speziellen Fall von Schwarzem Loch. „Der Schwarzschildradius beschreibt einen sphärischen Ereignishorizont“, sagt Gürlebeck. „So einen Ereignishorizont würde man erwarten, wenn das Schwarze Loch statisch ist, also nicht rotiert. Wenn aber das Schwarze Loch rotiert, wird die Kugel abgeflacht und er wird zu einem Ellipsoid, ganz ähnlich wie die Erde.“ Derzeit gehen Wissenschaftler davon aus, dass es ausschließlich rotierende Schwarze Löcher gibt, da ihre Vorgängerobjekte ebenfalls rotierten und der Drehimpuls auch beim Kollaps zu einem Schwarzen Loch erhalten bleibt. Der sphärische Ereignishorizont ist somit eher die Ausnahme als die Regel.
„In der Theorie ist der Ereignishorizont klar abgesteckt, es gibt eine scharfe Grenze“, sagt Michael Kramer vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. „Für einen Astronomen hingegen ist diese Grenze weniger eindeutig.“ Der Ereignishorizont verleiht dem Schwarzen Loch seine Größe – hinter ihm verbirgt sich die Singularität. Und er ist umso ausgedehnter, je massereicher das Schwarze Loch ist. Aber auch der Ereignishorizont ist unsichtbar: Wenn Materie oder Licht ihn passiert, gibt es kein Zurück mehr.
„Man kann sich ein Teilchen vorstellen, das in das Schwarze Loch stürzt und auf diesem Weg Lichtimpulse aussendet, also Strahlung, die wir mit Teleskopen auffangen könnten“, sagt Gürlebeck. Da das Schwarze Loch die Raumzeit aufgrund seiner Anziehungskraft bereits außerhalb des Ereignishorizonts krümmt, vergeht auch die Zeit in seiner Nähe verglichen mit Regionen, die weniger gekrümmt sind, langsamer. Deshalb werden diese Lichtpulse umso stärker in den roten Bereich des elektromagnetischen Spektrums verschoben, je näher am Ereignishorizont sie vom Teilchen ausgestrahlt werden: Ihre Frequenz ist kleiner, ihre Wellenlänge also größer. „Dieser Prozess ist eigentlich fließend“, sagt Michael Kramer. „Die Signale werden immer mehr rotverschoben und irgendwann sind sie so langwellig, dass man sie einfach nicht mehr empfangen kann.“ Man wird also nie ein Teilchen beobachten können, dass tatsächlich gerade in das Schwarze Loch fällt – und deshalb gibt es für Astronomen auch keinen festgesteckten Ereignishorizont.
Der Schatten des Ereignishorizonts
Die besten indirekten Hinweise auf Schwarze Löcher gewinnen Astronomen bislang hauptsächlich über deren Akkretionsscheibe. Dabei handelt es sich um Trümmerteile, Staub und Gas, die das Schwarze Loch umkreisen. Dieses Material wird so stark erhitzt, dass es hell leuchtet. So ist das erste beobachtete stellare Schwarze Loch, Cygnus X-1 im Sternbild Schwan, das Astronomen vor rund fünfzig Jahren aufspürten, eine der stärksten Röntgenquellen am Himmel.
In weit entfernten Galaxienkernen gibt es Schwarze Löcher mit Milliarden von Sonnenmassen, die das Material in ihrer Akkretionsscheibe so stark beschleunigen und erhitzen, dass ihre Strahlung noch nach einer Reise von Milliarden von Lichtjahren mit irdischen Teleskopen aufgefangen werden kann. „Die Akkretionsscheibe hört nicht genau am Ereignishorizont auf“, sagt Gürlebeck, „wo genau sie aufhört, sagt etwas darüber aus, wie schnell das Schwarze Loch rotiert. Deshalb gibt es einen Bereich zwischen Ereignishorizont und Akkretionsscheibe, der so gut wie materieleer ist – außer den Teilchen, die gerade hineinfallen.“
Inzwischen geben sich Wissenschaftler allerdings nicht mehr mit indirekten Beobachtungen zufrieden. Sie wollen ein Bild des Ereignishorizonts vom extrem massereichen Schwarzen Loch im Zentrum unserer Galaxie machen, etwa im Rahmen des Projekts „Event Horizon Telescope“ oder dem Projekt „Black Hole Cam“. Das Prinzip ist bei beiden Projekten gleich: Über den Zusammenschluss mehrerer leistungsfähiger Radioteleskope weltweit wollen sie die örtliche Auflösung so verbessern, dass sie direkt bis über den inneren Rand der Akkretionsscheibe blicken können. Denn dort erwarten sie, gewissermaßen den Schatten des Schwarzen Lochs zu sehen, der nur wenig größer als das Schwarze Loch selbst ist.
„Die Auflösung muss kleiner als der Schatten sein“, sagt Kramer. „So ein Bild wäre der endgültige Beweis, dass es Schwarze Löcher gibt.“ Wirkliche Zweifel an der Existenz von Schwarzen Löchern haben die Wissenschaftler aber nicht: „Wir können das Schwarze Loch selbst zwar nicht sehen,“ sagt Gürlebeck, „aber alle Teilchen in der Nähe dieser Himmelskörper verhalten sich so, wie sie sich nahe eines Schwarzen Lochs verhalten sollten. Das stimmt alles mit unseren Vorhersagen überein.“
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/schwarze-loecher/ereignishorizont/