„Mittelschwere Schwarze Löcher sind sehr seltene Objekte“

Mittelschwere Schwarze Löcher sind einige hundert bis zehntausend Sonnenmassen schwer, doch bislang sind nur sehr wenige bekannt. Jetzt haben Forschende eines dieser seltenen Objekte nahe am galaktischen Zentrum unserer Milchstraße entdeckt. Im Interview spricht Florian Peißker von der Universität Köln über deren Rolle im Kosmos.

Dirk Eidemüller

Die Aufnahme von Hubble zeigt sehr viele Sterne im Weltall, die unregelmäßig verteilt sind.

ESA/NASA

Welt der Physik: Wie viele mittelschwere Schwarze Löcher sind bereits bekannt?

Der Forscher Florian Peißker vor einer bildlichen Darstellung eines Schwarzen Lochs.

Florian Peißker

Florian Peißker: Wir stehen noch ganz am Anfang der Erforschung mittelschwerer Schwarzer Löcher. Denn bisher konnten nur rund zehn von ihnen klar identifiziert werden, es sind also sehr seltene Objekte. Einige davon hat man in der Milchstraße gefunden, aber auch in weiter entfernten Galaxien. Dazu kommen noch ein paar hundert Kandidaten für mittelschwere Schwarze Löcher, die jedoch noch nicht sicher bestätigt sind. Wir haben nun ein weiteres mittelschweres Schwarzes Loch klar nachweisen können, und zwar im Zentralbereich unserer Galaxie, dem sogenannten galaktischen Zentrum. Das ist eine Region von nur wenigen Lichtjahren Radius rund um das supermassereiche Schwarze Loch namens Sagittarius A*, dessen Bilder vor einigen Jahren um die Welt gingen, als es erstmals im Radiobereich abgelichtet werden konnte.

Neben supermassereichen und mittelschweren Schwarzen Löchern gibt es noch stellare Schwarze Löcher. Was ist der Unterschied zwischen diesen Objekten?

Bislang hat man vor allem stellare und supermassereiche Schwarze Löcher nachgewiesen. Die stellaren Schwarzen Löcher entstehen als Überrest, wenn ein großer Stern von mehreren Dutzend Sonnenmassen am Ende seines Lebens ausgebrannt ist und dann unter seiner eigenen Schwerkraft kollabiert. Ist der kollabierende Stern nicht zu schwer, dann kann auch ein Neutronenstern entstehen. Ab einer gewissen Masse kommt es aber unweigerlich zum Schwarzen Loch. Je nach Masse des Vorgängersterns ist ein solches Objekt dann einige Sonnenmassen, vielleicht auch einige Dutzend Sonnenmassen schwer. Das ist aber sehr viel weniger als die Masse von supermassereichen Schwarzen Löcher im Zentrum von Galaxien, die Millionen bis Milliarden Sonnenmassen aufweisen können. Mittelschwere Schwarze Löcher liegen dazwischen, also grob bei einigen Hundert bis Zehntausend Sonnenmassen.

Wie entstehen mittelschwere Schwarze Löcher und warum sind sie so selten?

Das ist eine gute Frage, die zurzeit noch Gegenstand der Forschung ist. Denn bislang wissen wir nicht, wie diese Schwarzen Löcher entstehen. Sie sind zu schwer, um aus einem einzigen Stern heraus zu entstehen – denn Sterne mit mehr als wenigen hundert Sonnenmassen gibt es nicht. Mittelschwere Schwarze Löcher sind also vermutlich aus Verschmelzungsprozessen hervorgegangen. Zum Beispiel könnten mehrere sehr schwere Sterne kollidieren und dadurch einen instabilen, überschweren Stern mit über tausend Sonnenmassen erzeugen. Dieser würde dann zu einem sehr schweren stellaren Schwarzen Loch kollabieren, welches dann weiterwächst, indem es Gas aus der Umgebung aufsaugt oder sogar ganze Sterne verschlingt. Das funktioniert aber nur, wenn es in der Umgebung genug „Futter“ gibt.

Rötliche Fläche, in der sich verschiedene helle Punkte befinden. In der Mitte befindet sich ein besonders dunkelroter Bereich, der als IRS 13 bezeichnet ist. Links oberhalb gibt ein Kreuz den Standort von Sagittarius A* an..

Karte des Sternenhaufens IRS 13

Welche Art von Umgebung könnte es sein?

Wir vermuten, dass mittelschwere Schwarze Löcher in Kugelsternhaufen entstehen. In diesen befinden sich viele Sterne auf sehr engem Raum. Wenn nun ein stellares Schwarzes Loch entsteht, könnte es Sterne oder auch andere Schwarze Löcher oder Neutronensterne verschlucken und dadurch ungewöhnlich rasch in die Gewichtsklasse von einigen Tausend bis Zehntausend Sonnenmassen aufsteigen. Das wäre die zweite Möglichkeit neben der Bildung eines überschweren Sterns mit anschließendem Kollaps.

Und wo wurde das neue mittelschwere Loch gefunden?

Es liegt in einem Sternhaufen namens IRS 13. Dies ist eine ziemlich ungewöhnliche Struktur, die uns schon früher aufgefallen war. Dieser Sternhaufen befindet sich mitten im galaktischen Zentrum, lediglich ein Zehntel Lichtjahr von Sagittarius A* entfernt. Bis heute hat man schon über 50 Sterne in IRS 13 nachweisen können, vermutlich sind es aber deutlich mehr. Bis jetzt war nicht ganz klar, was diesen Sternhaufen so gut zusammenhält und warum er im Röntgenbereich leuchtet. Wie unsere Messungen ergeben haben, liegt das daran, dass sich in seinem Zentrum ein mittelschweres Schwarzes Loch von rund 30 000 Sonnenmassen befindet.

Wie ist Ihnen dieser Nachweis gelungen?

Wir mussten hierzu eine ganze Reihe unterschiedlicher Beobachtungen kombinieren. Uns kam sehr zugute, dass das galaktische Zentrum schon seit Jahrzehnten von allen möglichen Teleskopen regelmäßig untersucht wird  – insbesondere auch von sehr leistungsstarken wie dem Very Large Telescope, ALMA und natürlich den Weltraumteleskopen wie Hubble, Chandra und dem James Webb Space Telescope. Interessanterweise hat die gemeinsame Auswertung all dieser Daten ergeben, dass sich im Zentrum von IRS 13 ein schweres Objekt befindet, das von seiner Masse her nur ein Schwarzes Loch sein kann. Außerdem sendet es Röntgen- und Radiostrahlung aus, wie sie typischerweise von heißem Gas rund um Schwarze Löcher stammen. All diese Beobachtungen passen gut zusammen und ergeben ein kohärentes Bild, wenn man davon ausgeht, dass sich dort ein etwa 30 000 Sonnenmassen schweres Schwarzes Loch befindet.

Eine röhrenartiges, hell glänzendes Fluggerät im All. Im Hintergrund ist auch die Erdatmosphäre zu sehen.

Hubble-Weltraumteleskop

Welche Rolle spielen mittelschwere Schwarze Löcher im Kosmos?

Auch hier stehen wir mit der Forschung noch ganz am Anfang. Aber sie könnten zwei sehr unterschiedliche Funktionen haben. Einerseits können sich frei bewegende Schwarze Löcher dieser Größe, wenn sie durch eine Galaxie wie unsere Milchstraße fliegen, Gaswolken oder sogar ganze Sternhaufen in ihren Bann ziehen und dadurch stabile Gebilde schaffen. Vermutlich ist das auch bei IRS 13 der Fall. Auf der anderen Seite ist bis heute die Frage unbeantwortet, wie die supermassereichen Schwarzen Löcher in Galaxienzentren so schnell an Masse gewinnen konnten. Vor allem in der Frühzeit des Universums scheinen diese sehr viel schneller gewachsen zu sein, als es nach unseren Berechnungen möglich scheint. Wenn es in ihrer Umgebung genügend mittelschwere Schwarze Löcher gab, die sie sich einverleiben konnten, dann würde dies das rasche Wachstum der supermassereichen Schwarzen Löcher erklären. Bleiben wir gespannt, was die Astrophysik hierzu in einigen Jahren sagen wird!

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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/schwarze-loecher/milchstrasse-mittelschwere-schwarze-loecher-sind-sehr-seltene-objekte/