„Schwarze Löcher wurden lange nicht ernst genommen“
Mit dem diesjährigen Nobelpreis für Physik wurden die Forscher Andrea Ghez, Reinhard Genzel und Roger Penrose für ihre Entdeckungen zu Schwarzen Löchern geehrt. Doch während Schwarze Löcher heutzutage im Fokus zahlreicher Forschungsgruppen und Experimente stehen, wurden die rätselhaften Himmelsobjekte bis vor einigen Jahrzehnten von vielen Wissenschaftlern noch als eine theoretische Spielerei abgetan. Welche Erkenntnisse das schrittweise änderten und welche Rolle die Beiträge der Nobelpreisträger dabei spielten, berichtet die theoretische Physikerin Jutta Kunz von der Universität Oldenburg im Interview mit Welt der Physik.
Welt der Physik: Schwarze Löcher gehören wohl zu den rätselhaftesten Objekten unseres Universums. Wie kamen Forscher überhaupt auf die Idee, dass es Schwarze Löcher geben muss?
Jutta Kunz: Bereits im 18. Jahrhundert überlegten die Forscher John Michell und Pierre-Simon Laplace, was es bedeuten würde, wenn Sterne viel dichter als etwa unsere Sonne wären. Ihrer Vorstellung nach könnte die Schwerkraft dieser Sterne dann so groß werden, dass andere Objekte der starken Anziehung dieser Sterne nur mit enorm hohen Geschwindigkeiten entkommen könnten. Wäre ein Stern kompakt genug, würde dafür selbst die Lichtgeschwindigkeit nicht mehr ausreichen. Die Forscher nannten diese hypothetischen Objekte, von denen wir kein Licht sehen können, Dunkle Sterne. Doch zu der Zeit war noch unklar, ob Licht überhaupt von der Schwerkraft eines Objektes beeinflusst wird. Um das zu beschreiben, brauchte es eine neue Theorie – die Allgemeine Relativitätstheorie.
Was hat sich mit der Allgemeinen Relativitätstheorie verändert?
Als Albert Einstein seine Allgemeine Relativitätstheorie im Jahr 1915 veröffentlichte, revolutionierte er damit unser Verständnis von Raum und Zeit. Denn er beschreibt Raum und Zeit nicht mehr als starren Rahmen, in dem physikalische Prozesse ablaufen. In seiner Theorie fasst Einstein Raum und Zeit zu einem gemeinsamen Gebilde, der sogenannten Raumzeit, zusammen. Diese Raumzeit wird durch Materie gekrümmt. Die Materie bewegt sich wiederum durch die Raumzeit und wird von der Krümmung in ihrer Bewegung beeinflusst. Auch Licht folgt der Geometrie der Raumzeit und wird so durch die Schwerkraft von Himmelskörpern wie etwa der Sonne abgelenkt. Dieses komplexe Zusammenspiel zwischen Raum, Zeit, Materie und Licht wird durch Einsteins Gleichungen beschrieben.
Und diese Gleichungen beschreiben auch Schwarze Löcher?
Genau. Die Möglichkeit, dass Schwarze Löcher existieren, steckt bereits in den Gleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie. Doch die Gleichungen sind sehr komplex. Erstmals entdeckte der Astronom Karl Schwarzschild die Möglichkeit von Schwarzen Löchern in den Gleichungen, bei dem Versuch, die Allgemeine Relativitätstheorie auf unser Sonnensystem anzuwenden: Dazu berechnete er, wie stark unsere Sonne die Raumzeit krümmt und wie diese Krümmung die Bahn der Planeten sowie den Verlauf von Licht beeinflusst. Und tatsächlich konnten Astronomen während einer Sonnenfinsternis im Jahr 1919 beobachten, wie Sternenlicht durch die Schwerkraft der Sonne abgelenkt wurde.
Aber wo taucht in Schwarzschilds Berechnungen nun ein Schwarzes Loch auf?
Um eine Lösung für die komplexen Gleichungen zu finden, vereinfachte Schwarzschild unser Sonnensystem stark: In seinem Modell nahm er an, dass sich die gesamte Masse der Sonne in einem Punkt konzentriert, und berechnete, wie stark diese punktförmige Masse die Raumzeit in ihrer Umgebung krümmt. In der Realität dehnt sich die Sonne allerdings über einen Radius von knapp 700 000 Kilometern aus – und das, was die Gleichungen für einen kleineren Radius ergaben, spielte für das Sonnensystem keine Rolle. In diesem inneren Bereich offenbarten die Berechnungen von Schwarzschild jedoch ein seltsames Verhalten, das sich die Wissenschaftler zunächst nicht erklären konnten. Heute wissen wir: Dieser innere Bereich der Lösung beschreibt gerade ein Schwarzes Loch.
Wie sieht dieser rätselhafte innere Bereich aus?
Je mehr man sich der kompakten Masse nähert, desto stärker krümmt sich die Raumzeit. Irgendwann ist diese Krümmung schließlich so stark, dass selbst Licht nicht schnell genug ist, um noch entkommen zu können. Diese Grenze wird Ereignishorizont genannt und trennt den inneren Bereich von seiner Umgebung ab. Kein Licht und damit auch keinerlei Information kann von dort nach außen gelangen. Mitten im Zentrum wird die Krümmung der Raumzeit schließlich unendlich groß. Doch was diese sogenannte Singularität und der Ereignishorizont bedeuten sollten, wussten die Wissenschaftler damals noch nicht. Viele zweifelten an, dass diese theoretische Lösung überhaupt für unsere physikalische Realität relevant sei. Man konnte sich noch kein Objekt vorstellen, das kompakt genug war, um eine derart starke Krümmung hervorzurufen.
Was hat diese Einstellung verändert?
Entscheidend war eine neue Erkenntnis des Physikers Subrahmanyan Chandrasekhar, der die Entwicklung von Sternen untersuchte. Dabei interessierte er sich vor allem für die möglichen Endstadien von Sternen: Solange ein Stern genügend Brennstoff besitzt, erzeugt er einen thermischen Druck nach außen, der der anziehenden Schwerkraft entgegenwirkt – der Stern ist stabil. Geht dieser Brennstoff aus, wird ein Stern wie etwa unsere Sonne irgendwann zu einem Weißen Zwerg. Chandrasekhar fand jedoch heraus, dass Sterne, die deutlich schwerer als unsere Sonne sind, unter ihrer eigenen Schwerkraft kollabieren können. Damit war zum ersten Mal ein physikalischer Prozess vorstellbar, bei dem ein extrem kompaktes Objekt entstehen könnte. Die theoretischen Physiker Robert Oppenheimer und Hartland Snyder untersuchten den gravitativen Kollaps später genauer, und auch Roger Penrose, einer der diesjährigen Nobelpreisträger für Physik, forschte auf diesem Gebiet.
Wofür hat Roger Penrose den Nobelpreis erhalten?
Die Berechnungen von Chandrasekhar sowie von Oppenheimer und Snyder beruhten noch auf sehr vielen Vereinfachungen. So vermuteten Kritiker, dass der gravitative Kollaps von Sternen zwar in der Theorie möglich sei, in unserer komplexen physikalischen Realität allerdings nie stattfinden würde. Jedoch bewies Penrose in den 1960er-Jahren das Gegenteil: Mit ausgeklügelten mathematischen Methoden zeigte er, dass ein gravitativer Kollaps von Sternen zu Schwarzen Löchern auch ohne die starken Vereinfachungen möglich ist. Bald darauf setzte sich dann auch die Bezeichnung der rätselhaften Objekte als Schwarze Löcher durch.
Und wann beobachteten Astronomen dann zum ersten Mal ein solches Schwarzes Loch?
Anfang der 1970er-Jahre entdeckten die Astronomen Tom Bolton, Louise Webster und Paul Murdin schließlich das erste Schwarze Loch namens Cygnus X-1 mit etwa der fünfzehnfachen Masse der Sonne in unserer Milchstraße. Forscher gehen heute davon aus, dass sich allein in unserer Galaxie mehrere Hundert Millionen dieser sogenannten stellaren Schwarzen Löcher befinden. Neben den stellaren Schwarzen Löchern, die beim gravitativen Kollaps von Sternen entstehen, gibt es auch noch deutlich schwerere, sogenannte supermassereiche Schwarze Löcher, über deren Entstehung wir allerdings noch wenig wissen. Auch im Zentrum unserer Galaxie befindet sich ein supermassereiches Schwarzes Loch, wie Forscher um Andrea Ghez und Reinhard Genzel in den 1990er-Jahren zeigen konnten: Jahrelang verfolgten die Forscher die Position von Sternen in der Nähe unseres galaktischen Zentrums. Dabei beobachteten sie elliptische Umlaufbahnen der Sterne, die sich nur durch ein äußerst massereiches, unsichtbares Objekt im Zentrum der Milchstraße erklären lassen, das die Sterne durch seine enorme Gravitation an sich bindet.
Und für diese Entdeckung erhielten die Forscher nun die Hälfte des diesjährigen Nobelpreises für Physik?
Genau. Die gleichzeitige Auszeichnung von Theorie und experimenteller Beobachtung zeigt auch, wie wichtig dieses Zusammenspiel in der Forschung zu Schwarzen Löchern war. Immer wieder haben sich die beiden Bereiche gegenseitig befruchtet und zu neuen Erkenntnissen angeregt. Mich persönlich hat außerdem besonders gefreut, dass mit Andrea Ghez nun eine weitere Frau zu den Nobelpreisträgern für Physik zählt. So wird jungen Frauen gezeigt, dass auch sie die Forschung in der Physik entscheidend voranbringen können.
Seit diesen Entdeckungen ist bereits einige Zeit vergangen. Wie sieht unser heutiges Verständnis von Schwarzen Löchern aus?
Mittlerweile können wir die Umgebung von Schwarzen Löchern deutlich besser beschreiben. Dort passieren viele spannende Prozesse, denn Schwarze Löcher ziehen Materie aus ihrer Umgebung an sich, wodurch sie wachsen. Die Materie leuchtet dabei hell auf und lässt sich beobachten, wie uns etwa die Aufnahmen des Event Horizon Telescope im Jahr 2019 eindrucksvoll zeigten. Dank unserer enormen Fortschritte in der Datenverarbeitung lässt sich diese Umgebung heutzutage mit großen Computern sehr genau modellieren und stimmt wunderbar mit den Beobachtungen überein. Was allerdings im Inneren von Schwarzen Löchern passiert, wo die Krümmung der Raumzeit laut der Allgemeinen Relativitätstheorie unendlich wird, wissen wir immer noch nicht. Um diesen Bereich zu verstehen, benötigen wir wohl eine neue, umfassendere Theorie – eine Theorie der Quantengravitation.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/schwarze-loecher/schwarze-loecher-wurden-lange-nicht-ernst-genommen/