„Dort wird das interstellare Medium zusammengeschoben“
Dirk Eidemüller
In den letzten Monaten haben Astronomen mit dem Flugzeugobservatorium SOFIA den Nachthimmel über Europa kartiert. Dabei haben sie überraschende Einsichten über die Gebiete gewonnen, in denen schwere Sterne ihre Umgebung beeinflussen. Im Interview mit Welt der Physik berichten Nicola Schneider von der Universität Köln und Bernd Klein vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn über die neuen Ergebnisse, die nun in der Fachzeitschrift „Science Advances“ veröffentlicht wurden.
Welt der Physik: Was haben Sie mit SOFIA untersucht?
Nicola Schneider: Unser Team hat die Regionen um einige schwere Sterne untersucht. Solche Sterne, die mehr als zehnmal massereicher sind als unsere Sonne, leben nur vergleichsweise kurz – zum Teil nur wenige Dutzend Millionen Jahre oder weniger. Unsere Sonne hingegen hat eine Lebensdauer von rund zehn Milliarden Jahren. Da schwere Sterne extrem hell strahlen, haben sie einen großen Einfluss auf ihre kosmische Umgebung.
Was passiert mit der kosmischen Umgebung?
Schwere Sterne drücken durch ihre intensive Strahlung und ihren Sternenwind das interstellare Medium von sich weg und erzeugen so rund um sich herum eine Zone aus sehr heißem, ionisiertem Wasserstoffgas. Wir haben uns nun den Rand dieser Zone angeschaut, wo die Temperaturen stark absinken und dieses heiße Gas mit dem kalten interstellaren Medium in Kontakt tritt. In dieser Kontaktregion wird das interstellare Medium zusammengeschoben, was zur Entstehung neuer Sterne führen kann.
Haben Sie überraschende Ergebnisse erhalten?
In der Tat haben wir festgestellt, dass der Sternenwind der schweren Sterne wohl sehr viel wichtiger ist, als man bislang dachte. Die Sterne schieben über eine Distanz von bis zu zwanzig Lichtjahren das dünne Gas des interstellaren Mediums von sich weg und erzeugen auf diese Weise eine heiße Blase aus ionisiertem Wasserstoff rund um sich. Diese Blasen aus tausende Grad Celsius heißem Plasma werden auch HII-Regionen genannt und sind seit langem gut bekannt. Wir haben nun aber die weiter außen liegende, mit rund minus 170 Grad Celsius deutlich kältere, Grenzschicht untersucht.
Worin unterscheidet sich die Grenzschicht von der restlichen Gasblase?
Diese Schicht muss man sich als eine expandierende Blase aus ionisiertem Kohlenstoff vorstellen. Kohlenstoff ist dort neben Wasserstoff und Helium das häufigste Element, wobei auf rund 10 000 Wasserstoffatome ein Kohlenstoffatom kommt. Es gelang vor rund zwei Jahren erstmals, eine solche Blase anhand der Kohlenstoffatome bei einem schweren Stern nachzuweisen. In der neuen Kampagne haben wir diese Grenzschicht bei mehreren schweren Sternen nun systematisch untersucht.
Wie lassen sich solche expandierenden Blasen in den Tiefen des Alls nachweisen?
Die heißen Blasen rund um schwere Sterne haben ungefähr Kugelform, je nachdem wie turbulent das interstellare Medium im Umfeld dieser Sterne ist. Die Schwierigkeit bestand nun darin, mit unserem Instrument die dünne Kontaktregion zwischen den, mehrere Lichtjahre durchmessenden, HII-Regionen und den gigantischen, eiskalten Gas- und Molekülwolken des interstellaren Mediums zu finden. Diese Schicht ist im Vergleich zur Blase so dünn wie die Haut eines Luftballons. Doch mit dem Spektrometer GREAT war das möglich, indem wir die sogenannte Spektrallinie von ionisiertem Kohlenstoff untersucht haben. Da das Instrument die Spektrallinien extrem fein auflösen kann, konnten wir nicht nur den Durchmesser dieser Blasen rund um schwere Sterne bestimmen, sondern auch Information über die Größe der Grenzschicht gewinnen.
Mussten die Messungen mit GREAT an Bord von SOFIA durchgeführt werden?
Peter Klein: GREAT ist ein hochempfindliches und modulares Spektrometer, das wir für verschiedene Messziele einstellen können. Im Spektralbereich der nun untersuchten Kohlenstoffionen etwa macht der Wasserdampf in der Erdatmosphäre jede Messung unmöglich. Selbst die besten Infrarot- und Submillimeter-Observatorien hoch oben in den chilenischen Anden sind bei diesen Wellenlängen praktisch blind. Nur in sehr großen Höhen, wenn man bei einer Flughöhe von über zehn Kilometern den Großteil des Wasserdampfes unter sich gelassen hat, sind solche Messungen überhaupt möglich.
Wäre für solche Messungen nicht auch eine Satellitenmission interessant?
Im Prinzip wäre das so, weil man dann rund um die Uhr messen könnte. Allerdings haben wir mit unserem Flugzeugobservatorium SOFIA den großen Vorteil, dass wir unser Instrument laufend verbessern können und immer auf dem neuesten Stand der Technik sind. Satelliten haben Vorlaufzeiten von rund zehn Jahren. Wenn so ein Instrument ins All startet, ist es manchmal rein technologisch gesehen schon Technik von gestern. GREAT ist seit den ersten Flügen an Bord und sozusagen schon ein Urgestein von SOFIA. Dank der modularen Bauweise können wir das Instrument aber technisch immer aktuell halten und durch neue Komponenten den Empfangsbereich vergrößern, um neue astronomische Fragestellungen zu untersuchen. Im Bereich der Terahertzstrahlung, in denen etwa die Kohlenstoffionen leuchten, ist unser Instrument weltweit das einzige hochauflösende Spektrometer im Einsatz.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/sterne/dort-wird-das-interstellare-medium-zusammengeschoben/