„Durch Zufall einen Stern entdeckt“
Denise Müller-Dum und Jens Kube
Im Zentrum der Milchstraße sind die Bedingungen so unwirtlich, dass dort eigentlich keine Sterne entstehen können. Trotzdem gibt es in dieser Region viele junge Sterne – eine Erklärung dafür steht noch aus. Nun haben Forschende ein weiteres junges Objekt entdeckt: Der Stern X3a ist nur wenige Zehntausend Jahre alt und befindet sich einige Lichtjahre vom Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße entfernt. Wie das möglich ist, erklärt Florian Peißker von der Universität Köln im Interview mit Welt der Physik.
Welt der Physik: Wie sieht es im Zentrum unserer Galaxie aus?
Florian Peißker: Im Zentrum unserer Galaxie befindet sich ein supermassereiches Schwarzes Loch, Sagittarius A* genannt. Die Gegend um dieses Schwarze Loch ist sehr dynamisch und durchsetzt von hochenergetischer Strahlung wie UV- oder Röntgenstrahlung. Es herrschen hohe Temperaturen. Das ist eigentlich keine geeignete Umgebung für die Entstehung von Sternen.
Warum nicht?
Damit Sterne entstehen können, braucht es eine hinreichend dichte Gas- und Staubwolke, in der sich Klumpen formen. Die Klumpen sammeln dann immer mehr Material an und kollabieren schließlich unter dem Einfluss ihrer eigenen Schwerkraft und bilden so Sterne. In der Nähe des Schwarzen Lochs zerren aber massive Gezeitenkräfte an diesen Wolken, sodass sie dort eigentlich gar nicht die benötigte Dichte erreichen können. Zudem werden die Klumpen aufgrund der hohen Temperaturen und der zerstörerischen Strahlung sofort wieder auseinandergerissen. Sterne können in der Umgebung eines supermassereichen Schwarzen Lochs wie Sagittarius A* also gar nicht entstehen. Kurioserweise findet man im Zentrum unserer Galaxie trotzdem viele junge Sterne. Dieser Umstand wird als „Paradox der Jugend“ bezeichnet.
Welche Beobachtungen haben Sie nun im Zentrum unserer Galaxie gemacht?
Das galaktische Zentrum ist schon seit langer Zeit mein Forschungsschwerpunkt. Für diese Region sammle ich Beobachtungsdaten von verschiedenen Teleskopen– unter anderem vom Very Large Telescope der ESO in Chile und dem Keck-Observatorium auf Hawaii – und werte diese mit speziellen Werkzeugen aus. Dabei bin ich quasi durch Zufall auf einen neuen Stern in der Nähe von Sagittarius A* gestoßen.
Können Sie genauer beschreiben, wie Sie den neuen Stern entdeckt haben?
Die Umgebung um den neuen Stern – eine Gas- und Staubwolke mit dem Namen X3 – kennt man schon länger. Das Objekt hat eine spitze Form, die daher kommt, dass es ständig von Sternwinden angeblasen wird. Bis vor kurzem ist man davon ausgegangen, dass dieses Objekt eine diffuse Wolke ohne Kern ist. Bei der Vorbereitung für das Briefing eines Masterstudenten habe ich mir X3 genauer angesehen und dabei gemerkt: Huch, da ist ja eine Struktur innerhalb der Wolke. Daraufhin habe ich mir ihre spektrale Energiedichteverteilung, also die Helligkeit bei verschiedenen Wellenlängen, genauer angesehen. Dadurch findet man nämlich Spuren, die für bestimmte Typen von Strahlungsquellen charakteristisch sind. Und tatsächlich konnte ich damit innerhalb dieser Gaswolke drei kompakte Quellen identifizieren, die Strahlung aussenden. Eine davon war offensichtlich ein Stern, X3a.
Was haben Sie über X3a herausgefunden?
Der Stern X3a strahlt sehr hell im mittleren Infrarotbereich. Die spektrale Verteilung der abgegebenen Strahlung ist typisch für die von jungen Sternen. Unseren Berechnungen zufolge ist X3a wenige Zehntausend Jahre alt – also jünger als die Menschheit – und weniger als ein Lichtjahr vom Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße entfernt. Dabei ist er außergewöhnlich schwer: Er hat die fünfzehnfache Masse unserer Sonne und ist zehnmal so groß wie sie.
Wie erklären Sie sich die Existenz dieses jungen Sterns so dicht am Schwarzen Loch?
Es gibt in der Nähe des Schwarzen Lochs eine Ansammlung von sehr schweren Sternen, IRS-13 genannt. Im Zentrum dieses Sternhaufens befindet sich wahrscheinlich ein mittelschweres Schwarzes Loch. Vermutlich hat sich IRS-13 außerhalb der engeren Umgebung von Sagittarius A* gebildet und sich erst danach auf das Schwarze Loch zubewegt. Die Reibung, die bei diesem Transport entstand, könnte die Entstehung weiterer Sterne ausgelöst haben. Wir gehen davon aus, dass X3a in diesem Sternhaufen entstanden ist. Ob er immer noch dazugehört oder beim Transport von IRS-13 abgetrennt wurde, können wir aber nicht mit Sicherheit sagen.
Was haben Sie über die anderen kompakten Objekte innerhalb der Gaswolke X3 herausgefunden?
Die anderen beiden Quellen – wir haben sie X3b und X3c genannt – waren keine Sterne. X3b stellte sich als heißer Gasklumpen heraus, der um 1995 entstanden ist. Er bewegte sich eine Zeitlang in die gleiche Richtung wie X3a und dann auf ihn zu. Um das Jahr 2012 herum ist er verschwunden. Wir vermuten, dass sich dieser Klumpen innerhalb der Gashülle geformt hat und dann vom Stern X3a aufgesaugt wurde. Ich finde es total faszinierend, dass wir diese Dynamik so direkt beobachten konnten! Bei X3c handelt es sich um einen heißen Klumpen in konstantem Abstand zu X3a. Möglicherweise hat er sich aufgrund des immensen Drucks gebildet, den das umgebende Medium auf die Gaswolke ausübt. In diesem Fall wäre X3c das Ergebnis einer nachlaufenden Stoßwelle. Es ist denkbar, dass unser Babystern auch diesen Klumpen irgendwann aufnimmt.
Und welches Schicksal erwartet X3a?
Die Frage ist: Wie lange kann dieser junge Stern in der Umgebung des supermassereichen Schwarzen Lochs überhaupt überleben? Eine Möglichkeit wäre, dass die Interaktion mit der Umgebung zunimmt und er zerstört wird. Er wird ja ständig von Sternwinden angeblasen und verliert dabei Materie, sodass er in ein paar Tausenden von Jahren nicht mehr existieren könnte. Ein alternatives Szenario wäre, dass er als Teil des Sternhaufens ausreichend abgeschirmt ist und dort seine nächste Entwicklungsstufe erreichen kann.
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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/sterne/durch-zufall-einen-stern-entdeckt/