Nukleare Astrophysik: Elementsynthese im Universum

Karlheinz Langanke

Aufnahme einer vielfarbigen, fast kreisrunden Wolke auf schwarzem Hintergrund.

Im Urknall entstanden nur die leichten Elemente Wasserstoff und Helium sowie in geringen Mengen Lithium, Beryllium und Bor. Alle schwereren Stoffe wurden erst danach von Sternen produziert. Die nukleare Astrophysik befasst sich mit den hierfür verantwortlichen kernphysikalischen Prozessen.

Aufnahme einer vielfarbigen, fast kreisrunden Wolke auf schwarzem Hintergrund.

Kepler-Supernova

Kernphysikalische Prozesse spielen eine entscheidende Rolle in der Evolution des Universums. So spiegeln sich Kernstruktureffekte und die Dynamik von Kernreaktionen direkt in den verschiedenen Entwicklungsstufen von Sternen, in dem Verlauf von Sternexplosionen und in der Häufigkeitsverteilung der Elemente im Universum wider. Die nukleare Astrophysik befasst sich heute mit einer Reihe von Schlüsselfragen. Dazu zählt die Entstehung der chemischen Elemente, die Physik stellarer Explosionen, die Kern- und Mischungsprozesse im Innern der Sterne sowie das Verständnis von kompakten Objekten wie Weißen Zwergen und Neutronensternen. Auch thermonukleare Explosionen auf den Oberflächen dieser Objekte, die sich als Novae oder Röntgenausbrüche bemerkbar machen, sind von zentraler Bedeutung für die moderne Astrophysik. In Deutschland arbeiten mehrere experimentelle und theoretische Gruppen an diesen Fragestellungen.

Sternentwicklung und Supernovae

Sterne wie unsere Sonne gewinnen Energie, indem sie Wasserstoff zu Helium fusionieren. In etwa sechs Milliarden Jahren wird sich unser Tagesgestirn zu einem Roten Riesen aufblähen und Helium zu Kohlenstoff und Sauerstoff verbrennen. Um die Entwicklung von Sternen in ihren verschiedenen Entwicklungsphasen zu modellieren, ist es notwendig, die Wirkungsquerschnitte der Kernreaktionen bei den im Sterninneren relevanten Energien zu kennen. Auf diesem Gebiet gelang es in den vergangenen Jahren mit unterschiedlichen Methoden, Kernreaktions-Wirkungsquerschnitte für die relevanten Energien zu bestimmen. Darüber hinaus wurden mikroskopische Modelle für die Beschreibung der astrophysikalisch wichtigen Kernreaktionen entwickelt.

Massereiche Sterne durchlaufen nach dem Wasserstoff- und Heliumbrennen eine Sequenz von weiteren Brennphasen, in denen sie Kohlenstoff, Neon, Sauerstoff und schließlich Silizium verbrennen. Diese Fusion stoppt mit der Produktion von Elementen aus dem Massenbereich von Eisen. Dann kollabiert das Sternzentrum, und es entsteht eine Supernova vom Typ II. Hierbei stößt der Stern seine äußere Hülle ab und schleudert die Nuklide, die während der verschiedenen hydrostatischen Brennphasen produziert worden sind, ins Weltall. Die Dynamik des Kollapses wird weitgehend durch die Elektroneneinfangrate an Kernen bestimmt. Ihre Messung und theoretische Bestimmung gehört heute zu den vorrangigen Aufgaben der nuklearen Astrophysik.

Nukleosynthese im s-, r- und p-Prozess

Darstellung der Wahrscheinlichkeit des r-Prozesses in der Sonne und Milchstraßen Sternen. Für einen großen Bereich stimmen die Werte überein, aber nicht für leichte Elemente.

r-Prozess

Alle Elemente, die schwerer als Eisen sind, entstehen durch den sukzessiven Einfang von Neutronen und anschließende Betazerfälle. Hierbei unterscheidet man zwei Reaktionspfade: s- und r-Prozess. Der s-Prozess (Slow Neutron Capture Process) läuft in Umgebungen mit relativ geringen Neutronendichten ab, beispielsweise in Roten Riesen. Dort sind die Beta-Halbwertszeiten kürzer als die Neutroneneinfangzeiten. Im Prinzip lässt die Beobachtung der hierbei entstehenden relativen Elementhäufigkeiten Schlüsse auf die Eigenschaften der astrophysikalischen Umgebung – wie Temperatur, Neutronendichte oder konvektives Mischen – zu. Solche Analysen scheitern aber oft an unzureichenden experimentellen Wirkungsquerschnitten für den Neutroneneinfang oder an der Unkenntnis von Halbwertszeiten angeregter Kernzustände. Erst in jüngerer Vergangenheit gelang es, viele der wichtigen Neutroneneinfangraten mit ausreichender Genauigkeit zu messen.

Der zweite Reaktionspfad, der r-Prozess (Rapid Neutron Capture Process), läuft in Bereichen mit extremer Neutronendichte, wie in Supernovae vom Typ II, ab. Der Reaktionspfad läuft hierbei durch sehr neutronenreiche Kerne, von denen viele kernphysikalische Eigenschaften experimentell nicht bekannt sind. In letzter Zeit ist es zumindest gelungen, die Halbwertszeit einiger wichtiger r-Prozesskerne in der Massengegend um 130 zu messen und die Massen relevanter Kerne erstmals zu bestimmen.

Es gibt noch einen dritten Prozesspfad, den p-Prozess. In ihm entstehen die protonenreichen Kerne zwischen Selen und Quecksilber. Dieser Prozess ereignet sich in Supernovae vom Typ II, wenn energiereiche Gammaphotonen schwere Kerne aus dem s- und r-Prozess aufbrechen. Das Prozessnetzwerk ist äußerst kompliziert und umfasst etwa 2000 Kerne und mehr als 20.000 Reaktionen. Wegen dieser großen Zahl müssen die notwendigen Reaktionsraten theoretisch, beispielsweise im Rahmen eines statischen Modells, abgeschätzt werden. Deshalb ist es von größter Bedeutung, diese Reaktionsraten durch experimentelle Daten von Schlüsselreaktionen auf eine solide Basis zu stellen. Mit Hilfe von Beschleunigern ist es bereits gelungen, wichtige Wirkungsquerschnitte und Eigenschaften von zumeist stabilen Kernen zu messen.

Neutronensterne und Weiße Zwerge

Nuklidkarte. Alle Isotope sind farbig markiert.

Nuklidkarte

Die nukleare Astrophysik befasst sich auch mit dem Aufbau von Neutronensternen. Das sind kompakte Sternreste mit einem Radius von etwa zehn Kilometern, in dem rund eine Sonnenmasse vereint ist. Der Aufbau dieser exotischen Himmelskörper ist noch ziemlich unbekannt. Das betrifft insbesondere den Zentralbereich. Denkbar ist dort eine neuartige Form von Quarkmaterie. Theoretische Arbeiten zu Neutronensternen und dichter Materie führen verschiedene Gruppen durch.

Ein weiteres aktuelles Gebiet ist das explosive Wasserstoffbrennen auf der Oberfläche von kompakten Objekten. Es wird ausgelöst durch den Massenfluss eines nahen Begleiters auf den kompakten Stern. Ist dies ein Weißer Zwerg, so stößt dieser wiederholt seine äußere Schale ab (Nova), bei einem Neutronenstern kommt es zu wiederholtem Röntgenausbruch (X-Ray Burst). Die Dynamik dieser explosiven Ereignisse wird durch teilweise selbstverstärkende Kernreaktionen und Reaktionsketten (Thermonuclear Run Away) bestimmt. Um diese zu modellieren, ist die Kenntnis von Massen, Halbwertszeiten und insbesondere Reaktionswirkungsquerschnitten von protonenreichen Kernen bis an die Grenze der Stabilität notwendig.

Ausblick

Zukünftig wird es mit der Anlage FAIR an der GSI in Darmstadt möglich sein, mit vielen astrophysikalisch wichtigen, kurzlebigen Kernen zu experimentieren und deren Eigenschaften zu bestimmen. Diese weltweit einzigartigen Möglichkeiten werden auch helfen, Kernmodelle zu entwickeln und zu testen. Sie sind nötig, um vorherzusagen, wie Kernprozesse unter den in astrophysikalischen Objekten häufig anzutreffenden extremen Bedingungen ablaufen. Auch die Fortsetzung der erfolgreichen Arbeit an anderen Forschungseinrichtungen ist unabdingbar. So müssen Schlüsselreaktionen des hydrostatischen Brennens mit größerer Genauigkeit gemessen werden. Hierfür benötigt man Niederenergie-Beschleuniger mit hoher Strahlintensität und -güte. Hierzu können Präzisionsexperimente mit Elektronen und Photonen am SDalinac an der TU Darmstadt indirekt beitragen, die Reaktionen des p-Prozesses besser zu verstehen. Diese Entwicklungen müssen von theoretischen Arbeiten begleitet werden.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/sterne/elemententstehung/