„Gezeitenkräfte wirken tief im Innern der Sonne“

Dirk Eidemüller

Große, leuchtende Kugel auf schwarzem Hintergrund und helleren und dunkleren Flecken und Schlieren am Kugelrand

ESA & NASA/Solar Orbiter/EUI Team

Aufgrund der Nähe lässt sich unsere Sonne im Vergleich zu anderen Sternen besonders gut erforschen. Doch trotzdem gibt sie Astronominnen und Astronomen noch einige Rätsel auf. Dazu zählt zum Beispiel die bislang unerklärte Stabilität des bekanntesten Zyklus der Sonnenaktivität. Dieser Zyklus dauert im Mittel elf Jahre – verursacht durch das sich verändernde Magnetfeld der Sonne, das sich beim Strahlungsmaximum sogar umpolt. In einem neuen Modell haben Forschende nun untersucht, ob die Gezeitenkräfte der Planeten unseres Sonnensystems zur Stabilität des Zyklus beitragen. Im Interview mit Welt der Physik erzählt Frank Stefani vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf, welche Rolle dabei insbesondere Venus, Jupiter und unsere Erde spielen könnten.

Welt der Physik: Welche Aktivitätszyklen hat die Sonne?

Frank Stefani

Frank Stefani

Frank Stefani: Am bekanntesten ist der rund elfjährige Aktivitätszyklus, der mit der Anzahl an Sonnenflecken einhergeht. Im Minimum des Zyklus sehen wir kaum Sonnenflecken und nur wenig magnetische Aktivität. Im Maximum hingegen sind oft große Sonnenflecken sichtbar, und es kommt dann auch zu den stärksten Sonnenstürmen. Auf der Erde können sich diese etwa als Polarlichter bemerkbar machen – bei besonders heftigen Eruptionen sogar bis in unsere Breitengrade. Aber es gibt auch andere, weniger bekannte Zyklen – so etwa den rund 200-jährigen Suess-de-Vries-Zyklus oder schwächere Zyklen von 60 oder 90 Jahren. Auch kürzere Zyklen von etwa 100 bis 300 Tagen treten auf. Sie sind nach ihrem Entdecker als Rieger-Zyklen benannt und zeichnen sich durch periodische Röntgenstrahlung und ähnliches aus. Dagegen sind einige sehr lange Zyklen von beispielsweise 1000 Jahren in der Forschung umstritten.

Was weiß man denn über den Schwabe-Zyklus?

Der Zyklus ist nach Samuel Heinrich Schwabe benannt, der diese Periodizität bereits 1844 erkannte. Das Interessante am Schwabe-Zyklus ist Folgendes: Er ist zwar manchmal etwas kürzer und manchmal etwas länger. Mitunter liegen nur neun Jahre zwischen zwei Minima oder zwei Maxima der solaren Aktivität, manchmal sind es auch 13 Jahre. Im Mittel sind es allerdings sehr stabil gut elf Jahre. Es gibt schon länger die Vermutung, dass ein äußerer Einfluss diesen Zyklus stabilisiert. Denn die turbulente äußere Konvektionszone der Sonne zeigt ein sehr wechselhaftes Verhalten. Es ist daher nicht verständlich, wie sich dort eine solch stabile Periodizität entwickeln kann.

Kreisförmig angelegte leuchtende Kügeln vor schwarzem Hintergrund. Die Kugeln sind mit den Jahreszahlen von 1996 bis 2006 entegegen dem Uhrzeigersinn beschriftet

Schwabe-Zyklus

Welcher äußere Einfluss könnte das sein?

Es wird vermutet, dass manche der Planeten des Sonnensystems die Sonne aufgrund ihrer Schwerkraft beeinflussen. Deswegen haben wir die Gezeitenwirkung mehrerer Planeten auf die Sonne berechnet und verglichen. Denn genauso wie Mond und Sonne auf der Erde für Ebbe und Flut sorgen, so wirken auch die Planeten zurück auf die Sonne und erzeugen dort Gezeitenkräfte. Dieser Effekt ist zwar klein, weil die Sonne viel mehr Masse in sich vereint als die Planeten, aber wir können ihn trotzdem berechnen. Den dominierenden Einfluss üben – aufgrund ihrer Masse und ihres Abstands zur Sonne – die Planeten Venus, Erde und Jupiter aus. Saturn und die anderen Gasriesen sind zu weit weg, um eine nennenswerte Wirkung zu haben.

Und die Gezeitenwirkungen dieser drei Planeten stabilisiert den Schwabe-Zyklus?

Unsere Analysen haben gezeigt, dass jeweils die Kombination von zwei dieser drei Planeten zu einer Art „Springtide“ im Innern der Sonne führt – ähnlich wie es auf der Erde zu besonders starker Ebbe und Flut kommt, wenn Sonne und Mond entlang einer Achse zur Erde stehen. Nach unseren Berechnungen sorgt der gemeinsame Effekt durch die drei Planeten dafür, dass ein für den Sonnendynamo wichtiger Effekt alle elf Jahre ein Maximum erreicht. Diese Periodizität ist quasi deckungsgleich mit der Dauer des Schwabe-Zyklus. Deshalb denken wir, dass die Gezeitenkräfte dieser drei Planeten den Schwabe-Zyklus stabilisiert.

Wie kommt dieser Effekt zustande?

Die Gezeitenkräfte wirken vor allem tief im Sonneninnern, während sie an der turbulenten Sonnenoberfläche vom brodelnden Sonnenplasma sozusagen übertönt werden. Nach unseren Berechnungen können die Gezeitenkräfte durch Venus, Erde und Jupiter genug Energie in tiefere Sonnenschichten übertragen, um sogenannte Rossby-Wellen hervorzurufen. Auf der Erde sind Rossby-Wellen als Hoch- und Tiefdruckgebiete in der Atmosphäre bekannt. Auf der Sonne werden sie zusätzlich vom Magnetfeld beeinflusst und heißen deshalb auch Magneto-Rossby-Wellen. Leider können wir natürlich nicht so tief in die Sonne hineinschauen, um unsere Hypothese genau zu überprüfen. Deshalb wird unsere Vorhersage künftig mit Sicherheit auch kritisch diskutiert werden. Aber wir sind zuversichtlich, dass wir den vermutlich entscheidenden Faktor für die Stabilität des Schwabe-Zyklus gefunden haben.

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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/sterne/sonne/sonnenaktivitaet-gezeitenkraefte-wirken-tief-im-innern-der-sonne/