Vermessung des Carinanebels
Franziska Konitzer
Bereits im sichtbaren Licht ist er spektakulär: Der Carinanebel ist einer der hellsten Emissionsnebel am Himmel der südlichen Hemisphäre. Franziska Konitzer sprach für unseren Podcast mit Thomas Preibisch von der LMU München, der die leuchtende Gas- und Staubwolke zusammen mit seinen Kollegen erforscht. Hier finden Sie den Beitrag zum Nachlesen.
Der Carinanebel ist rund 7500 Lichtjahre von der Erde entfernt. Mit einem Alter von fünf bis sechs Millionen Jahren ist die leuchtende Gas- und Staubwolke sehr jung – verglichen zum Beispiel mit dem Alter unserer Sonne, die rund 4,6 Milliarden Jahre alt ist. Ein Team um Thomas Preibisch von der Universitätssternwarte der LMU München erforscht den Carinanebel in allen Wellenlängen. Mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte hat das Team ein detailliertes Infrarotbild des Nebels aufgenommen, zusammengesetzt aus Hunderten von Einzelbildern. In diesem Spektralbereich können die Astronomen tief in den Nebel blicken, weiß Preibisch:
„Im Nebel gibt es jede Menge Staub und der absorbiert und streut das sichtbare Licht sehr stark. Dabei besteht der Staub aus Silikat und Kohlenstoffteilchen – es handelt sich also letztlich um Rußwolken und genauso wie Rußwolken, die hinten aus dem Dieselmotor herauskommen, verschlucken diese das sichtbare Licht. Aus diesem Grund kann man im Optischen kaum in diese Dunkelwolken hineinsehen.“
So hat jeder Beobachtungsbereich seine Vorzüge: von der Gammastrahlung über Röntgenstrahlung bis hin zum optischen und infraroten Bereich. Im optischen Bereich strahlen nur die massereichen Sterne hell genug, um von der Erde aus beobachtet werden zu können. Allerdings gibt es im Carinanebel viel mehr massearme und junge Sterne, die nicht so hell strahlen. Es ist ein Ort aktiver Sternentstehung. Da die Sternentstehung in dichten Molekülwolken stattfindet, ist sie im optischen Bereich nicht zu beobachten. Deshalb nutzen Forscher andere Wellenlängen im elektromagnetischen Spektrum:
„Vor kurzem haben wir auch den Herschel-Satelliten hergenommen, um uns im Ferninfrarot die gesamte Wolkenstruktur genau anzusehen. Für individuelle Wolken, die besonders stark bestrahlt werden, machen wir gerade Radiobeobachtungen. Auf diese Weise können wir sehen, wie sich die Materie bewegt und wie sich die physikalischen Parameter in diesen Wolken – also etwa die Temperatur, die Bestrahlungsstärke, die Dichte und die Geschwindigkeit der turbulenten Bewegungen – verhalten.“
Das gängige Modell für Sternentstehung lautet wie folgt: Eine Gaswolke aus Wasserstoff kollabiert unter ihrer eigenen Schwerkraft. Schließlich wird der Druck im Inneren der Wolke so groß, dass Fusionsreaktionen einsetzen. Vereinfacht dargestellt wandeln sich jeweils vier Wasserstoffkerne in einen Heliumkern um, wobei Energie freigesetzt wird. Gas- und Strahlungsdruck wirken nun einem weiteren Kollaps entgegen – es entsteht ein stabiler Stern. Allerdings ist es wichtig, Haufen der Sternentstehung wie im Carinanebel zu erforschen und nicht das Modell einer einzelnen Gaswolke.
„Es stellt sich immer klarer heraus, dass vermutlich achtzig oder neunzig Prozent der Sterne in unserer Galaxis in solchen Haufen entstehen. Das Modell, in dem man eine Wolke annimmt, aus der sich nur ein einzelner Stern entwickelt, hat natürlich von der Theorie her eine gewisse Attraktivität, weil es der einfachste Fall ist.“
Im Carinanebel befinden sich auch sehr massereiche Sterne mit über hundert Sonnenmassen. Von diesen gehen starke Winde und ultraviolette Strahlung aus. Die Strahlung dieser Sterne kann die Sternentstehung behindern, aber auch den Kollaps der Gaswolken erst anregen.
„Die Bestrahlung fördert die Sternentstehung dadurch, dass sie die Wolken aufheizt: Das aufgeheizte Gas expandiert von der Wolkenoberfläche weg und der resultierende Rückstoß führt zur Komprimierung der Wolke – die Gaswolke wird also verdichtet. Und diese Verdichtung ist der erste Schritt zum Wolkenkollaps, zur Sternentstehung.“
Die sehr hellen, massereichen Sterne im Carinanebel waren schon lange bekannt. Durch die neuen Beobachtungen wurden nun auch viele junge Sterne und Protosterne entdeckt. Protosterne sind bereits verdichtete Regionen in Gas- und Staubwolken, also die Vorstufe zu einem Stern. Preibisch und seine Kollegen haben eine Inventur der Sterne im Carinanebel vorgenommen:
"Wir haben Sterne mit bis zu hundert oder sogar hundertfünfzig Sonnenmassen beobachtet, die vor einigen wenigen Millionen Jahren entstanden sind. Außerdem finden wir in unseren Daten viele sehr, sehr junge Protosterne. Wir haben zwar Hunderte von denen entdeckt, aber es sind keine mit mehr als zehn oder fünfzehn Sonnenmassen dabei. Die Tendenz ist ganz klar: Die sekundäre Generation von Sternen, die jetzt gerade entsteht, bringt nicht mehr so massenreiche Sterne hervor wie die erste Generation."
Ursprünglich hatte man angenommen, dass sich die Sonne als einzelner Stern entwickelt hat. Schließlich befindet sich unser Sonnensystem nicht in einem Sternhaufen. Aber auch ein Sternenhaufen wie der Carinanebel wird sich in zwanzig bis dreißig Millionen Jahren aufgelöst haben: Deshalb ist es durchaus möglich, dass sich auch die Sonne in einem ähnlichen Haufen gebildet hat. Fest steht jedenfalls, dass sie sich in der Nähe eines massereichen Sterns gebildet haben muss, …
"… denn es gibt bestimmte Elemente, die Zerfallsprodukte von kurzlebigen, radioaktiven Elementen wie zum Beispiel Eisen-60 oder Aluminium-26 sind. Diese werden nur von sehr, sehr massereichen Sternen mit mindestens dreißig Sonnenmassen erzeugt. Und wenn diese Elemente in der Entstehungsphase unseres Sonnensystems in den Urnebel, aus dem sich auch unsere Planeten gebildet haben, hineingeraten sind, dann kann der Stern, von dem sie stammen, nicht sehr weit entfernt gewesen sein."
Auch für Planetenforscher ist der Carinanebel interessant. Die kurzlebigen, massereichen Sterne bieten zwar keine geeigneten Voraussetzungen für Planeten. Doch ihre intensive Strahlung kann die Planetenentstehung um massearme Sterne vorantreiben. Planeten bilden sich aus Staubteilchen in der Gas- und Staubscheibe um einen jungen Stern. Wie sich aus diesen winzigen Staubteilchen etwas größere, zentimetergroße Klümpchen bilden, können Forscher theoretisch noch ganz gut erklären. Danach wird es aber schwierig:
"Wie man von zentimetergroßen Körnern zu kilometergroßen Protoplaneten oder Planetesimalen kommt, das ist ein großes Problem für die Theorien der Planetenentstehung. Und gerade hier könnte ein moderates Maß an Turbulenz zum Beispiel durch Bestrahlung von außen sehr gut helfen, diese Grenze zu überschreiten."
Viele Baustellen also – die Erforschung des Nebels wird noch Jahre dauern. Ziel ist es vorerst, eine Karte des Carinanebels in allen Wellenlängen zu erhalten. Neben spektakulären Himmelsansichten dürfte diese dann auch reichlich Informationen über die Stern- und Planetenphysik bereithalten.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/sterne/vermessung-des-carinanebels/