AMS sucht Antimaterie und Dunkle Materie
Wim de Boer, Stefan Schael
An Bord der Internationalen Raumstation ISS soll das Experiment AMS-02 (Alpha-Magnet-Spektrometer) schon bald die Zusammensetzung der kosmischen Strahlung mit bisher unerreichter Präzision vermessen. Von besonderem wissenschaftlichen Interesse ist dabei die Suche nach Antimaterie und Dunkler Materie. Das Experiment startete am 16. Mai 2011 mit der Raumfähre Endeavour ins All.
Die meisten Theorien gehen heute davon aus, dass zumindest ein Teil der unsichtbaren Dunklen Materie aus schwach wechselwirkenden Teilchen, so genannten Weakly Interacting Massive Particles (WIMPs) besteht. Da solche Teilchen im Standardmodell nicht vorkommen, muss es sich um eine neue Form der Materie handeln. Wenn WIMPs im heißen frühen Universum entstanden sind, lässt sich die heutige geringe Anzahldichte nur so erklären, dass viele von ihnen durch Annihilation verschwunden sind, wobei unter anderem Elektronen, Positronen, Protonen, Antiprotonen, Gammastrahlen und Neutrinos entstehen. Bei solchen Prozessen gehen die Elektronen und Protonen heute in der gewaltigen Menge dieser Teilchen unter, die ohnehin in der Galaxie vorhanden sind. Aber die Antimaterieteilchen und Gammastrahlen sind womöglich nachweisbar. Sie sollten sich von dem allgemeinen Untergrund abheben, der durch Wechselwirkungen der kosmischen Strahlen mit dem Gas der Galaxie entsteht. Das Experiment AMS-02 (Alpha-Magnet-Spektrometer) soll diese kosmische Strahlung genau vermessen, insbesondere den Anteil der Antimaterie bestimmen und daraus Rückschlüsse auf die Annihilation von Dunkle-Materie-Teilchen erzielen. Da die Antimaterie in der Atmosphäre zerstrahlt, müssen die Messungen im Weltall stattfinden.
Vorläufer erfolgreich getestet
Das von dem amerikanischen Physik-Nobelpreisträger Samuel Ting initiierte Experiment hatte bereits einen Vorläufer, AMS-01. Während eines zehntägigen Fluges mit der Raumfähre Discovery im Jahre 1998 wurde er erfolgreich getestet. Schon bei diesem kurzen Flug ließen sich die Spuren von über hundert Millionen geladener Teilchen der kosmischen Höhenstrahlung vermessen. Die unerwartet reiche Ausbeute an erstklassigen wissenschaftlichen Ergebnissen hat die bisherigen Messungen über die Zusammensetzung der kosmischen Strahlung deutlich verbessert. Hinweise auf Antimaterie wurden nicht gefunden, sodass die bisherigen experimentellen Grenzen für deren Häufigkeit deutlich verbessert werden konnten.
AMS-02 ist ein moderner Teilchendetektor mit ausgezeichneten Identifikationsmöglichkeiten. Er ist in viele Subdetektoren unterteilt. Die Impulse und Ladungsvorzeichen der Teilchen werden in einem Spektrometer, bestehend aus einem Silizium-Tracker in einer supraleitenden Spule, durch die Krümmung der Teilchenspur in einem Magnetfeld bestimmt. Die Teilchenidentifizierung erfolgt durch die Messung der Geschwindigkeiten im Flugzeitdetektor (Time-of-Flight, TOF). Gleichzeitig misst man den Lorentz-Faktor in dem Übergangsstrahlungsdetektor (Transition-Radiation-Detektor, TRD), die Teilchengeschwindigkeiten in den Tscherenkow-Zählern (Ring-Imaging-Cherenkov-Counter, RICH) und die Teilchenenergien in dem elektromagnetischen Kalorimeter (ECAL). Für Gammastrahlen gibt es zwei Nachweismöglichkeiten: entweder durch Paarkonversion im TRD, wobei das Elektron-Positron-Paar im Tracker nachgewiesen wird, oder als elektromagnetischer Schauer. Der Absolutbetrag der elektrischen Ladung wird durch die Ionisationsverluste im Silizium-Tracker und in den RICH-Zählern bestimmt.
Durch die vielen Identifikationsmethoden für verschiedene Teilchen ist AMS-02 in der Lage, individuelle Elemente im Spektrum der kosmischen Strahlung bis zu einer Ladungszahl von 26 (also beispielsweise einfach ionisiertes Eisen) aufzulösen. Der Übergangsstrahlungsdetektor wird von der RWTH Aachen gebaut, die Datenauslese dieser Detektorkomponente mit über 5000 auszulesenden Kanälen übernimmt die Universität Karlsruhe. Das gesamte Projekt wird von einer internationalen Kollaboration aus 41 Forschungsinstituten aus 13 Ländern in enger Zusammenarbeit mit der NASA betrieben.
Hohe Anforderungen an Detektor
Der Betrieb im Weltall stellt harte Anforderungen an einen Detektor. Wegen der begrenzten Stromversorgung darf die Elektronik nur ein Zehntel der Leistung von konventioneller Elektronik verbrauchen. Die Elektronik muss zudem zwischen minus zwanzig und plus fünfzig Grad Celsius funktionieren und Temperaturen zwischen minus vierzig und plus achtzig Grad Celsius dürfen sie nicht beschädigen. Diese Anforderungen sind schwer zu erfüllen, weil die Kühlung im Vakuum des Weltraums nicht über Konvektion erfolgen kann, sondern über Infrarotstrahlung ablaufen muss. Daher muss die Elektronik auf ihre Weltraumtauglichkeit in einer Thermovakuumkammer getestet werden.
Eine weitere technische Herausforderung bildet der supraleitende Magnet, der mit flüssigem Helium bis auf 1,8 Kelvin (minus 271,4 Grad Celsius) gekühlt wird. Und schließlich muss berücksichtigt werden, dass während des Shuttlestarts starke Vibrationen auftreten und die Elektronik in der Erdumlaufbahn einer erheblichen Strahlenbelastung ausgesetzt ist. Zusätzlich muss der Detektor wartungsfrei mindestens drei Jahre im Weltall funktionieren, was eine Redundanz der gesamten Elektronik verlangt.
Der Flug des Prototypen AMS-01 mit dem Space Shuttle Discovery hat erstmals gezeigt, dass es möglich ist, moderne Detektoren der Teilchenphysik erfolgreich im Weltraum zu betreiben. Dabei gilt es eine Reihe von technischen Problemen zu lösen, die durch Start und Landung sowie den Betrieb im Weltraum auftreten. Mit dem AMS-02-Detektor sollen alle Komponenten der kosmischen Strahlung, inklusive einem möglichen Anteil von Antimaterie, genau vermessen und daraus Anzeichen für die Annihilation der Dunklen Materie gewonnen werden.
Kosmische Spurensuche – Astroteilchenphysik in Deutschland (Juli 2006)
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/teleskope-und-satelliten/ams/