Das AMS-02-Experiment auf der Internationalen Raumstation
Michael Büker
Mit dem AMS-02-Experiment an Bord der internationalen Raumstation untersuchen Wissenschaftler seit einigen Jahren die Eigenschaften der kosmischen Strahlung – also von Protonen, Elektronen und anderen Teilchen, die aus den Weiten des Weltraums auf die Erde treffen und zuvor teils die gesamte Milchstraße durchquert haben. Die Daten, die AMS-02 über die kosmische Strahlung sammelt, haben eine große Bedeutung für die Astrophysik.
Vor rund einhundert Jahren sorgten physikalische Experimente für Aufsehen, die heute als der Anfang der Astroteilchenphysik gelten. Messgeräte, die mit Heißluftballons mehrere Kilometer über dem Erdboden flogen, registrierten viel mehr ionisierende Strahlung, als dort vermutet wurde. Erst später setzte sich die Erklärung durch, dass geladene Teilchen aus dem All auf die Erde treffen: die sogenannte kosmische Strahlung.
Genau diese kosmische Strahlung wird heute von dem Teilchendetektor AMS-02 in viel größerer Höhe – nämlich auf der Internationalen Raumstation ISS – vermessen. AMS-02 besteht aus verschiedenen Detektorkomponenten, die es gemeinsam erlauben, die verschiedenen Arten von Teilchen, aus denen die kosmische Strahlung besteht, auseinanderzuhalten. An der Auswertung der Daten von AMS-02 arbeitet auch Iris Gebauer vom Karlsruher Institut für Technologie.
„AMS-02 ist ein Teilchendetektor, der ist jetzt seit Sommer 2011 auf der Internationalen Raumstation, und AMS-02 steht für Alphamagnetspektrometer. Dieser Name zielt schon auf den Kern des Experiments, wir haben nämlich einen Permanentmagneten im Zentrum unseres Detektors, der schließt einen Spurdetektor ein. Mit diesem Spurdetektor vermessen wir die Spur von geladenen Teilchen.“
Wenn geladene Teilchen auf den Detektor treffen, wird ihre Flugbahn durch den zentralen Magneten gekrümmt. Diese gekrümmte Flugbahn wird dann vom Spurdetektor, einer Komponente des AMS-02-Experiments, aufgezeichnet. Aus der Form der Spur können die Wissenschaftler auf Impuls und Ladung der einfallenden Teilchen schließen. Andere Detektorkomponenten messen ihre Energie.
So kann AMS-02 die verschiedenen Teilchen der kosmischen Strahlung voneinander unterscheiden. Dazu zählen energiereiche Photonen, leichte geladenen Teilchen wie Elektronen und Positronen, sowie schwerere Protonen, Antiprotonen und sogar ganze Atomkerne. Ein wichtiges Anliegen der Forscher ist dabei, zwischen Materie und Antimaterie zu unterschieden.
Ungewöhnliches Experiment im Weltall
Im Vergleich zu anderen ähnlich vielseitigen Experimenten ist AMS-02 ein kleines Instrument, für ein Experiment im Weltraum allerdings eher groß:
”AMS-02 ist deutlich keiner als der CMS-Detektor am LHC. Wir brauchen natürlich einen Träger, der in der Lage ist, den Detektor in den Weltraum zu bringen, und AMS hat eine Höhe von vier Metern und eine Breite von ungefähr drei Metern. Das bedeutet, einen Detektor von dieser Größe, den kann man nur mit dem Space Shuttle auf die Station bringen.“
Der Vorläufer und Prototyp AMS-01 war im Jahr 1998 für zehn Tage an Bord eines Space Shuttle im All getestet worden. Gleich darauf begann die Konstruktion von AMS-02. Mit dem vorletzten aller Shuttleflüge wurde AMS-02 schließlich im Jahr 2011 zur Internationalen Raumstation gebracht.
Mit dem Start ins All mussten die Entwickler und Forscher ihr Experiment gewissermaßen abgeben: Es musste den enormen Beschleunigungen und Vibrationen des Starts sowie dem Vakuum und den enormen Temperaturunterschieden im All standhalten, ohne dass nachträgliche Reparaturen oder Justierungen eingeplant werden konnten.
”Das glaube ich wirklich spannende für alle und auch für mich hier war gar nicht der Start selbst, sondern es war der Moment, als wir im Orbit waren und das erste Mal den Detektor angeschaltet hatten. Und als man dann die Nachricht hörte, dass wir die Daten haben und dass alles funktioniert wie erwartet, das war glaube ich der Moment wo alle Leute realisiert haben, dass das jetzt losgeht, dass jetzt der Vorhang aufgeht und das Licht angeht.“
Die Internationale Raumstation kann AMS-02 derzeit als einziger Ort im All dank großer Solarpanels die benötigte elektrische Energie von 2000 Watt zur Verfügung stellen. Angesichts der Datenmenge, die das Experiment hervorbringt, profitieren die Forscher auch von der guten Verbindung zur Erde, die eine Datenrate mindestens neun Megabit pro Sekunde für AMS-02 garantiert.
Die Teilchen der kosmischen Strahlung können allerdings nicht nur wie geplant die Detektorkomponenten treffen, sondern auch die Steuerelektronik des Experiments:
”Immer wenn wir den Äquator passieren, das sind alle 45 Minuten, wird unsere Elektronik rekalibriert, um sicherzustellen, dass Bitflips, die über genau solche Events induziert werden, gelöscht werden.“
Als Bitflip wird das unerwünschte Umklappen einzelner Bits im Speicher bezeichnet. Dabei lässt ein kosmischen Teilchen eine null zu einer eins werden oder umgekehrt – ein Fehler, der schwierig zu erkennen sein kann und für alle Elektronik im All ein Problem darstellt. Die elektronischen Komponenten von AMS-02 ist aus diesem Grund mindestens doppelt vorhanden.
Auf der Suche nach Dunkler Materie
Iris Gebauer und ihre Kollegen widmen sich in Karlsruhe der Suche nach Dunkler Materie. Es geht unter anderem um das ungelöste Rätsel der Bewegung von Galaxien, deren Rotation sich völlig anders vollzieht, als es die bekannten Gesetze der Schwerkraft vorgeben. Die meisten Wissenschaftler nehmen an, dass es eine unsichtbare Art von Materie gibt, welche die Rotation von Galaxien beeinflusst.
Ein Beweis für die Existenz dieser Dunklen Materie steht aber noch aus. In Karlsruhe werden deshalb Daten von AMS-02 nach deren Spuren untersucht:
”Alle unsere Messungen sind relevant und interessant. Es hängt natürlich von der Fragestellung ab: Wenn man sich für Dunkle Materie interessiert, dann sind jetzt besonders die Antimateriekanäle, also Positronen und Antiprotonen interessant.“
Antimaterie-Teilchen in der kosmischen Strahlung entstehen laut gängigen theoretischen Erklärungsmodellen vor allem dadurch, dass hochenergetische Materieteilchen wie Elektronen und Protonen durch die Galaxis fliegen und dabei mit Staub, Gas und dem galaktischen Magnetfeld wechselwirken.
Experimente haben aber einen größeren Anteil an Positronen in der kosmischen Strahlung nachweisen, als es diese theoretischen Modelle erlauben – so etwa das kleinere Teilchenexperiment PAMELA, das seit 2006 auf einem russischen Erdbeobachtungssatelliten mitfliegt:
”In unseren herkömmlichen Modellen stammen all unsere lokal beobachteten Positronen aus diesen Proton-Gas-Wechselwirkungen, und es ist unmöglich, über diesen Transportprozess einen solchen Anstieg zu erzeugen in diesem Positronen-Anteil, wie ihn PAMELA beobachtet hat.“
Diese Beobachtung des PAMELA-Experiments konnte AMS-02 inzwischen bestätigen. Die Wissenschaftler gehen nun zwei Vermutungen nach, um den beobachteten Positronen-Überschuss zu erklären: Entweder sind die theoretischen Modelle für die Wechselwirkung von Protonen und Gas in der Galaxis schlicht unvollständig – oder die überschüssigen Positronen stammen aus Zerfällen von Dunkler Materie. Dieser zweiten Theorie liegt die Annahme zugrunde, dass Teilchen der Dunklen Materie zerfallen und dabei Paare gewöhnlicher Materie- und Antimaterie-Teilchen erzeugen können.
Neue Theorien sind gefragt
Um also zwischen unvollständigen theoretischen Modellen und einer tatsächlichen Entdeckung Dunkler Materie unterscheiden zu können, muss die Theorie der Wechselwirkungen von komischer Strahlung mit Staub, Gas und dem Magnetfeld der Galaxis besonders gründlich überprüft werden.
”Das ist jetzt das erste Mal, dass wir in einer Situation sind, in der uns die Daten wirklich, ganz offensichtlich, dazu zwingen, zurück an den Schreibtisch zu gehen und unsere Modelle zu erweitern, und unsere Modellannahmen zu überprüfen und zu sehen, ob wir Unsicherheiten ausmerzen können – bevor man dann sagt: Okay, das ist jetzt genau das Signal, denn: Um teilchenphysikalische Aussagen zu machen, um teilchenphysikalische Kandidaten voneinander unterscheiden zu können, brauchen wir ein sehr genaues Wissen darüber, wie unser Signal aussieht.“
Bisher sind die von AMS-02 gesammelten Daten nur zum Teil mit dem angenommenen Dunkle-Materie-Zerfall vereinbar: Der gemessene Überschuss an Positronen passt zu dieser Hypothese, allerdings wurden bisher zu wenige Antiprotonen gemessen, die es ebenfalls geben müsste.
Die aktuell verfügbaren Daten sind aber ohnehin nur ein Zwischenstand, denn AMS-02 soll noch so lange aktiv bleiben, wie die Internationale Raumstation in Betrieb ist, was nach aktuellem Stand bis mindestens 2024 der Fall sein soll. In der Zwischenzeit müssen vor allem die physikalischen Erklärungsmodelle für die kosmische Strahlung in unserer Galaxis überprüft und ausgebaut werden, um aus den Daten neue Erkenntnisse zu gewinnen.
”Die Tatsache, dass unsere Modelle den Daten hinterherhinken, wurde schon in den letzten Jahren, also auch schon mit PAMELA, deutlicher und deutlicher. Es ist nur so, dass es mit AMS so offensichtlich wird, dass sich niemand mehr dagegen wehren kann, dass dieser Schritt jetzt notwendig ist. Es ist richtig, dass AMS jetzt das Zeitalter der Präzision-Astroteilchenphysik für die galaktische kosmische Strahlung aufmacht.“
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/teleskope-und-satelliten/ams-02-auf-der-iss/