Auf dem Weg zum größten Radioteleskop der Welt
Maike Pollmann
Mit den Teleskopen APEX und ALMA erforschen Astronomen den Nachthimmel in Submillimeterwellenlängen. In unserem Podcast erklärte Frank Bertoldi vom Argelander-Institut für Astronomie an der Universität Bonn, wie die Antennen funktionieren und was Wissenschaftler mit ihnen im Weltall erforschen wollen. Hier finden Sie den Beitrag zum Nachlesen.
Während sich uns der Himmel nur im sichtbaren Licht zeigt, machen uns Teleskope auch die übrigen Spektralbereiche zugänglich – von Radiowellen bis hin zu Gammastrahlen. Ein bisher eher wenig erforschter Teil des elektromagnetischen Spektrums ist der Submillimeterbereich, dessen Wellenlänge rund tausendmal größer ist als die des sichtbaren Lichts. Während Sterne vor allem im optischen und nahen Infrarotbereich leuchten und die warmen Gas- und Staubwolken zwischen ihnen im fernen Infrarot, liegt die Wärmestrahlung von kalten interstellaren Staubwolken – mit Temperaturen von minus 220 bis 260 Grad Celsius – genau im Submillimeterbereich.
Frank Bertoldi: Das Ferninfrarote kommt nicht durch unsere Atmosphäre durch, da es dort von Wasserdampf absorbiert wird. Im Submillimeterbereich gibt es aber einige Fenster, durch die man – wenn man sehr hoch hinaus geht, also auf einen hohen Berg, und an einen trockenen Ort – beobachten kann.
Einen idealen Standort für die Submillimeterastronomie bietet die chilenische Atacamawüste, einer der trockensten und hoch gelegensten Plätze der Erde. Erst der extrem geringe Wasserdampfgehalt macht die Atmosphäre für die Wellenlängen im Submillimeterbereich durchlässig. Auf einer 5100 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Ebene inmitten der Wüste beobachten Astronomen den Himmel seit 2005 mit dem Atacama Pathfinder Experiment, kurz APEX. In einem Wellenlängenbereich von 0,2 bis 1,4 Millimeter lassen sich mit dem Teleskop neben extrem kalten Wolken aus interstellarem Gas und Staub – den Entstehungsorten von Sternen – auch viele Moleküle im Weltall aufspüren.
Das häufigste Molekül ist molekularer Wasserstoff, der sich allerdings sehr schlecht beobachten lässt. Denn er strahlt nur bei 28 und 17 Mikrometern und diese beiden Übergänge sind sehr schwach. Es braucht sehr hohe Temperaturen, um sie anzuregen. Im normalen interstellaren Medium sind die Dichten und Temperaturen niedriger – das am stärksten strahlende Molekül ist deshalb Kohlenmonoxid. Es gibt noch andere Moleküle bis hin zu sehr großen Kettenmolekülen, wie Alkohol und sogar Zuckerarten, die man detektiert hat. Aber die kommen sehr selten vor.
Ein tiefer Blick ins Weltall
Die Strahlung dieser Moleküle untersuchen die Astromomen mithilfe von Spektrografen, die das Licht in seine Spektralfarben zerlegen. Anhand der Lage der Emissionslinien im Spektrum können die Forscher dann auf die Art der strahlenden Moleküle schließen, die Intensität der Linien verrät ihnen etwas über die Häufigkeit der Moleküle und die Linienform etwas über die physikalischen Eigenschaften der strahlenden Objekte – von Molekülwolken bis hin zu heißen Staub- und Gashüllen um Rote Riesensterne.
Da sehr viele Emissionslinien im Millimeter- und Submillimeterbereich liegen, haben wir hier einen reichen Fundus an diagnostischen Mitteln, etwa um die Struktur von Sternentstehungsgebieten und Molekülwolken oder die Häufigkeiten von Molekülen und Atomen zu studieren. Aber auch die Häufigkeitsentwicklung von schweren Elementen im Universum lässt sich damit zeitmäßig verfolgen – vom frühen Universum bis heute.
Eine Aufgabe von APEX ist eine komplette Durchmusterung der Milchstraße im Submillimeterbereich. Interessante Objekte notieren sich die Astronomen, um sie später mit dem Nachfolgerprojekt ALMA – dem Atacama Large Millimeter Array – zu untersuchen. ALMA besteht aus 54 Einzelantennen mit einem Durchmesser von jeweils zwölf Metern, wobei das APEX-Teleskop einer der Prototypen ist, sowie zwölf kleineren Antennen. Der Standort der Antennen ist dabei nicht festgelegt, stattdessen lassen sie sich an verschiedenen Andockstationen aufstellen und ihr Abstand so zwischen 150 Metern und 16 Kilometern variieren.
Es gibt einige hundert solcher Basisstation und die Antennen können mit einem großen Transporter von einer Station auf eine andere bewegt werden. Es ist in der Tat so, dass ALMA keine feste Konfiguration besitzt. Stattdessen wird jeden Tag eine Antenne auf einen neuen Platz verschoben, sodass sich das ganze Array langsam von einer Konfiguration zur nächsten verändert.
Die Antennen empfangen Wellenlängen zwischen 0,3 und 3 Millimetern und messen jeweils Phase und Intensität der einfallenden Strahlung. Über Glasfaserkabel werden die Daten der einzelnen Antennen zu einem zentralen Supercomputer, dem Korrelator, übermittelt und dort zusammengeführt. Aus den kombinierten Signalen können die Astronomen dann ein Bild der Strahlungsquelle am Himmel rekonstruieren.
Der Zusammenschluss von vielen Teleskopen hat den Vorteil, dass man sie auseinandersetzen kann und sie in der räumlichen Auflösung wie ein großes Teleskop wirken. Das heißt, wir können die Teleskope – im Fall von ALMA – zehn Kilometer weit auseinanderstellen und man bekommt dann eine räumliche Auflösung, die im Wesentlichen durch diesen Abstand bestimmt wird.
ALMA erstaunt Astronomen
Durch die flexible Konfiguration lassen sich Winkelauflösung und Empfindlichkeit von ALMA gezielt steuern. Bei einer sehr weiten Konfiguration würde das Auflösungsvermögen sogar das des Hubble-Weltraumteleskops übertreffen. 2011 begannen die ersten wissenschaftlichen Beobachtungen mit ALMA. Damals waren erst 16 der geplanten 66 Antennen einsatzbereit, inzwischen sind es über dreißig.
Heute wird deutlich, dass es hier nicht nur um eine gute Verbesserung der Beobachtungsmöglichkeiten, Empfindlichkeit und räumlichen Auflösung geht, sondern wirklich um einen gigantischen Sprung vorwärts. Und der versetzt alle Astronomen, die sich die Daten anschauen, immer wieder in Erstaunen: Was man früher mit sehr viel Anstrengung, vielleicht über viele Jahre des Probierens, messen musste, kann man mit ALMA plötzlich in Minuten beobachten. Das ist wirklich erstaunlich.
So lassen sich zum Beispiel Spektrallinien messen, die für frühere Instrumente zu schwach waren, und dadurch immer komplexere Moleküle im All aufspüren. Aber auch einfache Atome wie ionisierter Kohlenstoff sind für die Forscher interessant: Eine wichtige Emissionslinie liegt mit 158 Mikrometern zwar für gewöhnlich außerhalb des Submillimeterfensters. Doch befindet sich der emittierende Kohlenstoff in weit entfernten Galaxien, wird die Strahlung durch die Expansion des Universums zu längeren Wellenlängen verschoben, während sie zur Erde unterwegs ist. Infolgedessen passt sie doch durch das Submillimeterfenster und lässt sich mit ALMA nachweisen.
Eine der spannenden Anwendungen von ALMA besteht darin, diese Kohlenstofflinie, die von der Erde normalerweise nicht im nahen Universum beobachtbar ist, im fernen Universum zu detektieren – bei sehr frühen Galaxien, bei sogenannten Starburstgalaxien, die in kurzer Zeit enorme Mengen an Sternen produzieren, oder bei Quasaren. Hier zeigt sich wirklich die Power von ALMA: In sehr kurzer Zeit konnten wir schon sehr viele dieser Kohlenstofflinien nachweisen – bis zu Rotverschiebungen über sechs, das heißt, bis ins sehr frühe Universum hinein, etwa 600 bis 800 Millionen Jahre nach dem Urknall.
Durch die hohe Empfindlichkeit des ALMA-Teleskops lassen sich die Emissionsregionen in fernen Galaxien mithilfe dieser und anderer Spektrallinien kartieren. Die genannten Beispiele zeigen nur einen winzigen Ausschnitt der vielen geplanten Forschungsprojekte an ALMA, die von den Himmelskörpern in unserem Sonnensystem, über Stern- und Planetenentstehungsgebiete in der Milchstraße bis hin zu den ersten Galaxien im frühen Universum reichen. Voraussichtlich im kommenden Jahr wird ALMA fertig gestellt sein und offiziell als das leistungsstärkste Teleskop für den Grenzbereich zwischen Infrarot- und Radiostrahlung in Betrieb gehen.
Welt der Physik CC by-nc-nd
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/teleskope-und-satelliten/apex-und-alma/