„Dem Schicksal der Dinosaurier können wir vermutlich entgehen“
Jan Hattenbach
Welt der Physik: Herr Küppers, Anfang Oktober soll Hera zu dem Asteroiden Didymos und seinem Mond Dimorphos aufbrechen. Um was geht es bei der Mission und welche Ziele möchten Sie mit ihr erreichen?
Michael Küppers: Die Hera-Mission ist zusammen mit der US-amerikanischen DART-Mission die erste Demonstration der „Planetary Defense“. Es geht also um den Versuch, zu zeigen, dass wir in der Lage wären, die Erde vor dem Einschlag eines Asteroiden zu schützen. Dafür hat DART vor zwei Jahren die Bahn eines Asteroiden geändert. Und zwar mit der Impaktor-Methode, indem die Sonde gezielt in den Asteroidenmond Dimorphos – der um den größeren Didymos kreist – eingeschlagen ist. Mit Hera wollen wir nun nachschauen, was genau bei diesem Einschlag passiert ist und wie effizient diese Methode ist.
Tatsächlich scheint DART sehr erfolgreich gewesen zu sein: Die Umlaufperiode von Dimorphos um Didymos wurde um fast eine halbe Stunde verkürzt. Welche Beobachtungen soll Hera liefern, die nicht bereits von DART selbst und von Teleskopen auf der Erde geliefert wurden?
Im Wesentlichen geht es um drei Dinge: Einmal soll Hera die Masse von Dimorphos bestimmen, damit wir herausfinden können, wie effizient der Einschlag von DART wirklich war. Bei dem Einschlag wird die Geschwindigkeit des Asteroiden nämlich einerseits durch den Impuls der einschlagenden Raumsonde selbst geändert, andererseits aber auch durch Material, das beim Aufprall ausgeworfen wird. Wenn wir genau beziffern wollen, wie effizient das Experiment war, müssen wir diesen Verstärkungseffekt kennen und dazu braucht man die Masse des Asteroiden.
Wie werden Sie denn mit Hera die Masse von Dimorphos bestimmen können?
Die Masse von Asteroiden bestimmt man häufig, indem man die Ablenkung des Satelliten durch den Asteroiden selbst misst. In unserem Fall ist das allerdings ein bisschen schwierig, weil die Masse des größeren Asteroiden sehr dominant ist: Didymos ist mit etwa 780 Metern Durchmesser deutlich größer als Dimorphos mit seinen 160 Metern. Wir denken, dass die effizienteste Methode ist, den „Wobbel“ des größeren Asteroiden durch die Anwesenheit des kleineren zu messen. Das ist so ähnlich wie der gemeinsame Schwerpunkt von Erde und Mond, der auch nicht im Zentrum der Erde liegt: Dadurch entsteht eine „Wobbelbewegung“, und die wollen wir im System von Didymos und Dimporphos messen. Außerdem wollen wir wissen, was nun genau beim Einschlag passiert ist: Ist auf Dimorphos ein Krater entstanden oder war die Wirkung größer und hat den gesamten Asteroiden deformiert.
Was meinen Sie mit „deformiert“?
Aufgrund der Daten von DART vermuten wir, dass Dimorphos kein fester Körper ist, sondern eher ein lose von seiner Gravitation zusammengehaltener „Schutthaufen“. Der Einschlagskrater könnte fast so groß sein wie der Asteroid selbst: Das Material könnte also aufgeworfen oder verschoben und auf andere Teile des Asteroiden verteilt worden sein. Ein gewisser Teil dürfte auch verloren gegangen sein. Schließlich brauchen wir Hera, um die beiden Asteroiden zu charakterisieren, damit wir in der Lage sind, das Ergebnis von DART auf andere Asteroiden zu extrapolieren – für den Fall, dass wir diese Kenntnisse einmal brauchen, um zu verhindern, dass tatsächlich einmal ein Asteroid die Erde trifft.
Hera führt zwei weitere, kleine Satelliten mit, die in der Nähe des Asteroiden ausgeklinkt werden sollen. Welche Aufgaben sollen diese CubeSats erfüllen?
Die beiden CubeSats werden beide unabhängig voneinander und von Hera im Asteroidensystem operieren. Sie sind zwar gleich groß, aber nicht identisch: Der eine, Milani genannt, hat ein abbildendes Spektrometer für das sichtbare und nahinfrarote Licht und einen Staubdetektor an Bord. Der andere, Juventas, hat ein Radar dabei, mit dem wir zum ersten Mal in das Innere eines Asteroiden sehen wollen. Und außerdem hat Juventas ein Gravimeter, mit dem wir dreidimensional die Beschleunigung der Raumsonde messen wollen, insbesondere am Ende, wenn er auf Dimorphos landet.
Die Mission wird also mit einer Landung enden?
Für Juventas wird das Ende der Mission definitiv die Landung auf Dimorphos sein. Für Milani ist das noch nicht ganz klar. Vielleicht wird der CubeSat auf Didymos landen, also auf dem größeren Asteroiden. Auch für Hera selbst wäre das eine Möglichkeit, aber auch das ist noch nicht entschieden.
Wie lange soll die Mission insgesamt laufen?
Beim DART-Einschlag war der Asteroid etwa 10 Millionen Kilometer entfernt, das ist astronomisch gesehen sehr nah. Während der Hera-Mission ändert sich der Abstand des Asteroiden zur Erde natürlich, er wird so etwa zwischen 100 und 150 Millionen Kilometern liegen. Verglichen mit anderen Missionen ist das aber immer noch sehr wenig. Es wird dennoch zwei Jahre dauern, um erst einmal überhaupt bei Didymos anzukommen. Die Mission vor Ort soll dann Ende 2026 beginnen und mindestens sechs Monate dauern.
Warum hat man ausgerechnet einen Binärasteroiden für DART und Hera ausgewählt? Ist so ein System nicht komplizierter als ein einzelner Asteroid?
Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen braucht man weniger Einschlagsenergie, um den Orbit eines Asteroidenmonds um seinen Hauptasteroiden messbar zu beeinflussen, als den heliozentrischen Orbit eines Asteroiden um die Sonne. Der zweite Grund: Ändert man den heliozentrischen Orbit eines erdnahen Asteroiden auch nur geringfügig, könnte das womöglich dazu führen, dass er in ferner Zukunft genau deswegen auf der Erde einschlägt. Es ist zwar sehr unwahrscheinlich, aber eben nicht auszuschließen! Wenn man aber nur den Orbit des Mondes im Asteroidensystem ändert, besteht da keine Gefahr.
Klingt nach Stoff für einen Science-Fiction-Roman: Ein Experiment zur planetaren Abwehr, das schiefgeht und die Erde in Gefahr bringt.
In der Tat! Und deshalb hat man sich für Didymos und Dimorphos entschieden. Bei diesem System hätte diese Gefahr nicht einmal dann bestanden, wenn bei der Navigation von DART etwas völlig schiefgelaufen wäre und die Sonde auf dem falschen Asteroiden, also Didymos, eingeschlagen wäre. Die Energie von DART wäre nicht groß genug gewesen, um den Orbit dieses großen Asteroiden signifikant zu ändern.
Warum erreicht Hera Dimorphos eigentlich erst vier Jahre nach DART?
Der Grund dafür ist irdischer Natur. Es gab eine Vorgängermission für Hera, genannt AIM, und die sollte in der Tat gleichzeitig mit DART vor Ort sein. AIM hat bei der ESA-Ministerkonferenz 2016 aber nicht die volle Finanzierung bekommen. Weil einige ESA-Mitgliedsländer weiterhin großes Interesse an der Mission hatten, wurde sie weiterentwickelt und schließlich 2019 in Form von Hera finanziell gefördert. Leider war das dann zu spät, um 2020 gemeinsam mit DART zu starten. Deshalb kommen wir jetzt vier Jahre später an.
Welche Konsequenzen hat diese Verspätung?
Was das Ergebnis des Einschlags von DART als solches angeht, ist sie kein großes Problem. An einem Asteroiden ändert sich in vier Jahren nicht viel. Was uns natürlich fehlt, sind die Beobachtungen der Ejekta, also des beim Impakt von DART ausgeworfenen Materials. Immerhin hatte DART ebenfalls einen CubeSat dabei, der diese Prozesse beobachtet hat, wenn auch nicht so detailliert, wie AIM es gekonnt hätte.
Im Lichte der Ergebnisse von DART und bald auch Hera: Könnten wir uns bereits heute gegen einen Asteroideneinschlag auf der Erde wehren?
Wenn wir den entsprechenden Asteroiden früh genug entdecken, ja. Der entscheidende Faktor ist die Zeit. Je später man den Asteroiden ablenkt, desto größer muss der Impulsübertrag sein, um den Einschlag auf der Erde zu vermeiden. Und natürlich braucht man eine gewisse Vorlaufzeit, um eine entsprechende Mission dafür auf den Weg zu bringen. Ich würde sagen, beginnend mit der Entdeckung des Asteroiden müsste die Vorlaufzeit mindestens 10 Jahre betragen. Dem Schicksal der Dinosaurier können wir damit vermutlich entgehen.
Ist die Impaktor-Methode, wie sie mit DART ausprobiert wurde, eigentlich die effektivste? Atombomben wird es wohl nur im Kino geben, oder?
Wie effektiv die Impaktor-Methode ist, hängt davon ab, wie früh man den Asteroiden entdeckt. Aber so ein paar 100 Meter im Durchmesser können es sein, damit die Methode noch funktioniert. Also für größere Objekte ist die Atombombe tatsächlich im Gespräch! Allerdings nicht so, dass man die Bombe auf das Ding einschlagen lassen würde, um es in Stücke zu reißen. Das wäre zu unkontrolliert. Stattdessen würde die Explosion in relativ kleinem Abstand von dem Asteroiden erfolgen, sodass durch die Explosionsenergie das Material auf der Oberfläche des Asteroiden verdampft, wodurch der Asteroid ebenfalls einen Impuls erhält. Natürlich wäre es ausgesprochen kontrovers, diese Methode überhaupt zu testen, weil man die Bombe erst einmal in den Weltraum bringen müsste.
Die Menschheit beschäftigen allerlei Krisen derzeit, da steht der Einschlag eines Asteroiden nicht unbedingt oben auf der Liste. Warum brauchen wir dennoch Missionen wie DART und Hera?
Ein Asteroideneinschlag ist eine reale Gefahr, die sich aber außerhalb unserer alltäglichen Erlebniswelt befindet. Ich vergleiche das oft mit der Pandemie. Obwohl ich das, was ich Ihnen jetzt sage, schon seit Jahren wiederhole, war auch ich überhaupt nicht darauf vorbereitet, dass es eine Pandemie geben könnte! Ich glaube, es liegt in der menschlichen Natur, dass wir Sachen, die wir im Alltag nicht erleben, nicht zur Kenntnis nehmen. Doch es ist immer gut, vorbereitet zu sein, auch wenn statistisch gesehen ein Einschlag von der Größe eines Dimorphos nur alle tausend Jahre zu erwarten ist.
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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/teleskope-und-satelliten/asteroidenabwehr-hera-dem-schicksal-der-dinosaurier-koennen-wir-vermutlich-entgehen/