„Eine Schatzkiste für Jahrzehnte“

Denise Müller-Dum und Jens Kube

Kastenförmiges Instrument schwebt im All, im Hintergrund die Erde und ein heller Lichtpunkt

ESA. Work performed by ATG under contract for ESA.,CC BY-SA 3.0 IGO

Der allergrößte Teil des Weltalls ist für uns unsichtbar: Die sogenannte Dunkle Energie und Dunkle Materie machen rund 95 Prozent der gesamten Masse und Energie des Universums aus. Mit der Euclid-Mission, die vermutlich am 1. Juli 2023 ins All starten wird, wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler innerhalb von sechs Jahren ein Drittel des Himmels kartieren und so diesen Phänomenen auf den Grund gehen. Wie diese neue Weltraumkarte entsteht und wie sie sich wissenschaftlich nutzen lässt, erzählt Hans-Walter Rix vom Max-Planck-Institut für Astronomie im Interview mit Welt der Physik.

Welt der Physik: Was soll mit der Euclid-Mission untersucht werden?

Porträt des Wissenschaftlers Hans-Walter Rix

Hans-Walter Rix

Hans-Walter Rix: Das fundamentale Ziel von Euclid ist die Erforschung der Dunklen Energie. Wir wissen, dass das, was wir sehen können, weniger als fünf Prozent des Gesamthaushalts an Energie und Materie im Universum ausmacht. Der Rest sind die nicht sichtbare Dunkle Materie und Dunkle Energie. Die Dunkle Energie ist nach unserer Vorstellung dafür verantwortlich, dass das Universum immer schneller expandiert. Was dahinter steckt, verstehen wir aktuell noch nicht. Euclid soll dabei helfen, verschiedene Hypothesen dazu zu testen. Darüber hinaus wird die Mission eine sehr wertvolle Durchmusterung des Himmels liefern, mit deren Hilfe wir viele neue Objekte finden werden.

Wie genau wollen Sie der Dunklen Energie auf den Grund gehen?

Wir wollen mehr über die Dunkle Energie herausfinden, indem wir genau vermessen, wie stark sich die Ausdehnung des Universums im Laufe der Zeit beschleunigt hat. Dazu möchten wir die Strukturbildung im Universum verfolgen. Denn aufgrund der Gravitationskraft gibt es eine natürliche Tendenz zur Klumpenbildung im Universum. Daraus sind dann letztendlich die Galaxien, Sterne und Planeten entstanden. Aber auch die unsichtbare Dunkle Materie bildet Klumpen. Wir wollen erforschen, wie die Ausdehnung des Universums dieser Verklumpung von Materie entgegenwirkt. Weil der Großteil davon Dunkle Materie ist, müssen wir uns ein Bild von ihr zu unterschiedlichen Zeitpunkten verschaffen, und das macht man mithilfe des sogenannten Gravitationslinseneffekts.

Können Sie diesen Effekt genauer erklären?

Der Gravitationslinseneffekt tritt beispielsweise auf, wenn man eine Galaxie betrachtet, vor der sich eine Ansammlung von Masse befindet. Die Masse krümmt den Raum, und das Licht, das von der Galaxie ausgeht, wird auf dem Weg zum Beobachter abgelenkt. Das heißt, wir sehen das Bild verzerrt: Eine Galaxie, die ohne die Masse im Vordergrund eigentlich ganz rund ist, sieht dann eher bananenförmig aus. Es gibt sogar einige spektakuläre Verzerrungen, bei denen die Galaxien aufgrund von sehr großen Massen im Vordergrund zu sogenannten Einsteinringen verfremdet werden. Meist ist die Gravitationslinsenwirkung allerdings extrem schwach. Deshalb müssen wir Millionen von Galaxien vermessen, um aus den Verzerrungen auf die Verteilung von Materie zwischen uns und den Galaxien zu schließen.

Warum braucht man dafür so viele Aufnahmen?

Von einem Satellit geht ein Strahl aus, der auf eine Fläche mit eingeteilten Bereichen gerichtet ist

Wie Euclid funktioniert

Nur wenn jede Galaxie eine perfekte Kugel wäre, könnten wir sicher sein, dass in Richtung der inneren Krümmung eine Massenansammlung vorhanden ist. Das Problem ist aber, dass Galaxien an sich keine perfekte Symmetrie aufweisen. Viele sind zum Beispiel scheibenförmig, und wenn ich nicht genau senkrecht auf eine Scheibe schaue, dann sieht sie eher wie eine Ellipse aus. Die Form des Bildes einer Galaxie ergibt sich also aus ihrer eigentlichen Form, dem Blickwinkel darauf und dem Gravitationslinseneffekt. Da wir aber nur die Verzerrung durch den Gravitationslinseneffekt betrachten möchten, muss der Einfluss der natürlichen Form und der Projektion eliminiert werden und dafür brauchen wir Statistik: Um die dafür benötigten Aufnahmen von Millionen von Galaxien zu erhalten, wird Euclid einen großen Teil des Himmels kartieren.

Wie gewinnen Sie aus dieser Karte Informationen über die Dunkle Energie?

Euclid kartiert den Himmel nicht nur in zwei, sondern in drei Dimensionen: Wir messen auch, wie weit die Galaxien jeweils von uns weg sind, und werden dabei bis zu 10 Milliarden Jahre in die Vergangenheit schauen – denn je tiefer wir ins Universum blicken, desto tiefer blicken wir auch in die Vergangenheit. Diese dreidimensionale Karte wird uns erlauben, die Strukturbildung im Universum über 10 Milliarden Jahre hinweg nachzuvollziehen. Da die Dunkle Energie die Ausdehnung des Universums beeinflusst, können wir damit auch auf ihre Eigenschaften rückschließen: Indem wir die Bilder auswerten, erhalten wir eine Statistik der Bildverzerrung zu verschiedenen Zeitpunkten in der Geschichte des Universums. Den Teil des Effekts, der durch die sichtbare Materie erzeugt wird, können wir herausrechnen, was übrig bleibt, kommt dann durch die Dunkle Materie. Und diese Ergebnisse können wir mit unseren theoretischen Vorhersagen zur Verzerrung, die sich aus unseren Annahmen zur Dunklen Energie ergeben, vergleichen. Das heißt, wir können mithilfe der statistischen Auswertung der Bilder unsere Hypothesen zur Dunklen Energie testen.

Welche weiteren Messungen wird Euclid machen?

Entfernungsmessungen in einem sich ausdehnenden Universum sind interessant und komplex. Denn das Universum dehnt sich aus, während das Licht eines Objekts auf uns zukommt. Das heißt, die Ausdehnung des Universums führt effektiv zu einer beobachtbaren Vergrößerung von Objekten und von deren scheinbaren Abständen. Deshalb kann man etwas über die Dunkle Energie erfahren, wenn man die scheinbaren Abstände von Objekten – deren tatsächliche Abstände man aus unabhängigen Gründen kennt – in verschiedenen Entfernungen misst und vergleicht. Da es solche Objekte gibt, werden wir uns mit Euclid auf die Suche danach machen und so versuchen, eine Art kosmischen Zollstock zu entwickeln, mit dem wir den Einfluss der Dunklen Energie auf die Ausdehnung bestimmen können.

Ansicht des Alls, die einer auf der Seite liegenden Glocke ähnelt: links der Urknall, von dem ausgehend sich das All nach rechts ausdehnt. Ein Zeitstrahl gibt den zeitlichen Horizont der Ausdehnung an.

Expansion des Alls

Welche Instrumente benötigen Sie für Ihre Messungen?

Zunächst brauchen wir hochaufgelöste Bilder der Galaxien. Diese messen wir mithilfe einer CCD-Kamera im sichtbaren Bereich des elektromagnetischen Spektrums. Und um herauszufinden wie weit die Galaxien weg sind, bestimmen wir ihre Rotverschiebung: Aufgrund der Expansion des Universums vergrößert sich die Wellenlänge des Lichts, das von den Galaxien zu uns kommt, und zwar umso mehr, je weiter entfernt eine Galaxie sich befindet. Diese Wellenlängenverschiebung lässt sich sehr gut im nahen Infrarotbereich messen, weshalb wir auch dafür ein Instrument an Bord haben.

Wie sieht der Zeitplan der Euclid-Mission aus?

Ursprünglich war der Launch der Mission für März dieses Jahres geplant, auf einer russischen Trägerrakete vom Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guyana. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine war das keine Option mehr. Daraufhin ist die europäische Weltraumorganisation ESA in Verhandlungen mit dem US-amerikanischen Unternehmen SpaceX getreten. Nun wird Euclid voraussichtlich am 1. Juli auf einer Falcon-9-Rakete von Florida aus starten. Wenn alles klappt, ist das Teleskop dann – ähnlich wie das James-Webb-Weltraumteleskop – einige Wochen unterwegs, um einen etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernten Punkt zu erreichen. Wenn Euclid in seinem Orbit angekommen ist, beginnen zunächst die Tests des Systems und ab Herbst geht es mit der Kartierung des Himmels los. Ich denke, dass wir die ersten wissenschaftlichen Daten noch vor Weihnachten sehen werden.

Welche Daten werden Sie in einigen Jahren in Händen halten, die Sie jetzt noch nicht haben?

Zum einen werden wir eine Datengrundlage haben, um besser zu verstehen, was Dunkle Energie ist und was nicht. Zusätzlich werden wir in ein paar Jahren einen Katalog von Objekten in den Händen halten, der viel tiefer in die Vergangenheit zurückreicht und eine viel höhere räumliche Auflösung hat als alles bisher Dagewesene. Ich persönlich hoffe, dass wir dann in der Lage sind, den von Euclid gelieferten Hinweisen beispielsweise mit dem James Webb-Weltraumteleskop nachzugehen, und etwa das früheste Schwarze Loch des Universums identifizieren können. Der Katalog wird einfach für Jahrzehnte eine Schatzkiste sein, aus der wir uns immer wieder interessante Objekte für eine detailliertere Beobachtung herauspicken können.

Video der ESA über die Euclid-Mission

Wenn Sie Videos von YouTube anschauen, werden Daten an YouTube in die USA übermittelt.

Weitere Informationen erhalten Sie auf unserer Datenschutzseite.

 

Euclid-Mission der Europäischen Weltraumbehörde ESA

Bauart

Spiegelteleskop mit 1,2 m Durchmesser

Detektoren

visuelle Kamera mit 576 Megapixeln, 550–900 nm Wellenlänge und Infrarot-Spektrometer/Photometer mit 64 Megapixeln, 900–2000 nm Wellenlänge

Masse

2 Tonnen

Start

1. Juli 2023 von Cape Canaveral (Florida)

Position

Orbit um den L2-Punkt in ca. 1,5 Millionen Kilometern Entfernung von der Erde

Geplante Missionsdauer

6 Jahre

Start der Euclid-Mission am 1.7.2023

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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/teleskope-und-satelliten/euclid-dunkle-energie-dunkle-materie-eine-schatzkiste-fuer-jahrzehnte/