„Eine Belohnung für zwanzig Jahre Mitarbeit“
Denise Müller-Dum und Jens Kube
Am 25. Dezember 2021 startete das James-Webb-Weltraumteleskop seine Reise ins Weltall und sendet nun bereits seit Sommer 2022 Bilder – etwa von Sternen, Galaxien oder Exoplaneten – an die Erde. Weltweit werten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die enormen Datenmengen aus, die von den verschiedenen Instrumenten an Bord gesammelt werden. So lassen sich beispielsweise mit MIRI, einem Instrument für den mittleren Infrarotbereich, Exoplaneten im Detail beobachten. Im Interview mit Welt der Physik erzählt einer der Mitentwickler von MIRI, Manuel Güdel von der Universität Wien, warum er und sein Team den Exoplaneten WASP-107b in 200 Lichtjahren Entfernung für ihre Messungen ausgewählt haben und was ihre Analyse ergab.
Welt der Physik: Wo waren Sie, als das James-Webb-Weltraumteleskop vor zwei Jahren ins All gestartet ist?
Manuel Güdel: Eigentlich wäre ich gern nach Französisch-Guyana geflogen, um live beim Start dabei zu sein. Am James-Webb-Teleskop habe ich zwanzig Jahre lang mitgearbeitet, da wäre es schön gewesen, diesen Start vor Ort verfolgen zu können. Aber wegen der Coronapandemie ging das dann nicht. Zudem fand der Start ja an Weihnachten statt. Deshalb habe ich ihn von zu Hause aus angeschaut und natürlich die Daumen gedrückt.
Was war Ihr Beitrag zum James-Webb-Teleskop?
Ich habe seit 2003 eines der vier Instrumente an Bord, MIRI, mitentwickelt. Unsere Gruppe hat unter anderem einen Verschlussmechanismus für den Detektor von MIRI geliefert. Das war zum Beispiel während und nach dem Start sehr wichtig, damit keine Verunreinigungen auf den Detektor kommen. Außerdem mussten wir spezielle Kabel entwickeln, die sich für die extrem niedrigen Temperaturen eignen, auf die die Instrumente gekühlt werden. Schließlich haben wir die verschiedenen Komponenten mit einem großen Team ausgiebig getestet, denn bei einem Weltraumteleskop kann man sich keine Fehler leisten, das muss zu 100 Prozent funktionieren – Möglichkeiten für eine Reparatur im Weltraum gibt es keine.
Um was für ein Instrument handelt es sich bei MIRI?
MIRI steht für „Mid-Infrared Instrument“. Das Gerät beobachtet das Universum nicht im sichtbaren Bereich des Lichts, sondern es operiert im mittleren Infrarotbereich – bei Wellenlängen zwischen rund 5 und 28 Mikrometern. Mit MIRI lässt sich also Wärmestrahlung beobachten, wobei warm nicht unbedingt heiß bedeutet: Die mittlere Infrarotstrahlung deckt einen weiten Bereich ab, von etwa minus 200 Grad Celsius bis über 1000 Grad Celsius. Viele Objekte im Universum geben gerade in diesem Bereich interessante Informationen preis, zum Beispiel Sterne, Galaxien, Gasnebel oder die Atmosphären von Exoplaneten.
Sie haben einen speziellen Exoplaneten mit MIRI untersucht. Wie kam es dazu?
Als Mitentwickler bekommt man eine Menge an garantierter Beobachtungszeit – anders als andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich für solche Messzeiten bewerben müssen. Das ist eine Art Belohnung für über 20 Jahre Mitarbeit, die unsere Institute geleistet haben. Einer der Exoplaneten, den unser Team in diesem Rahmen für eine Beobachtung ausgewählt hatte, war WASP-107b. Es handelt sich dabei um einen heißen Gasplaneten, der einen rund 200 Lichtjahre von der Erde entfernten Stern nahe umkreist. Der Stern selber, WASP-107, ist etwas kühler und weniger massereich als unsere Sonne. Sein Planet WASP-107b ist so groß wie Jupiter, aber seine Masse beträgt nur etwa ein Zehntel von der des Jupiters. Der Planet erscheint also aufgebläht: Er hat eine dünne Atmosphäre, die weit in den Weltraum hinaus reicht. Bei diesen aufgeblähten Planeten mit sehr dünnen Atmosphären haben wir die Hoffnung, dass wir tief in sie hineinschauen können.
Wie haben Sie WASP-107b untersucht?
MIRI detektiert den infraroten Teil des Lichts, das das Teleskop vom Stern empfängt, und fächert es wie einen Regenbogen in seine einzelnen Wellenlängen auf. In diesem sogenannten Spektrum sehen wir dann bei bestimmten Wellenlängen Bereiche, die durch das Atmosphärengas eines davorstehenden Planeten unterdrückt sind. Dabei handelt es sich um charakteristische Abdrücke der Moleküle, denen das Sternlicht auf seinem Weg durch die Planetenatmosphäre zum Teleskop begegnet ist. Ein Exoplanet lässt sich deshalb mit MIRI dann untersuchen, wenn er sich gerade im Transit befindet, also wenn der Planet vor seinem Stern vorüberzieht. Das beobachtete Sternenlicht tritt dann durch die Atmosphäre des Planeten hindurch wie durch einen Filter und hinterlässt im detektierten Spektrum die erwähnten charakteristischen Spuren der darin enthaltenen Moleküle. Und diese Spektren lassen sich wiederum mithilfe von Computermodellen interpretieren.
Was haben Sie mit dieser Methode über WASP-107b herausgefunden?
Zunächst mal haben wir in der Atmosphäre des Planeten Wasserdampf, also H2O, gefunden, was im Universum allerdings häufig vorkommt. Überraschend war aber, dass wir außerdem große Mengen Schwefeldioxid – SO2 – entdeckt haben. Das ist ein etwas stinkendes Gas, das wir auf der Erde von Vulkanen kennen. Auf einem solch großen Gasplaneten ist es aber eigentlich eher untypisch. Denn dort liegt Schwefel normalerweise als Wasserstoffsulfidgas in der Atmosphäre, also als H2S, vor. Wir haben daraus geschlossen, dass auf dem Planeten chemische Reaktionen stattfinden müssen, die Wasserstoffsulfid in Schwefeldioxid umwandeln. Das passiert aber nicht einfach so: Das H2S-Molekül muss zunächst aufgespalten werden, und das geht nur mithilfe von ultraviolettem Licht, das vom Stern stammt und in die obere Atmosphäre des Planeten eindringt. Parallel dazu wird Sauerstoff vom Wassermolekül abgespalten, und so erhält man mithilfe des Sternlichts SO2. Damit haben wir photochemische Reaktionen, also Reaktionen, die durch Sternlicht gestartet werden, in der Atmosphäre des Exoplaneten nachgewiesen und gezeigt, wie der Stern die Chemie der Atmosphäre direkt steuert.
Welche Bedeutung hat dieser Nachweis?
Wir kennen solche Reaktionen zwar von der Erde – auch hier finden in der oberen Atmosphäre photochemische Prozesse statt, wie etwa der Auf- und Abbau von Ozon. Doch bei Exoplaneten beobachten wir Photochemie erst, seit wir das James-Webb-Teleskop verwenden. Und das hat sehr wichtige Folgen für unsere Modelle von Planetenatmosphären und deren Chemie. Denn Photochemie beeinflusst zum Beispiel die Temperaturstruktur der Atmosphäre und ihre Dynamik. Im konkreten Beispiel kommt das Schwefelsulfid in der unteren Atmosphäre vor, aber die Reaktion zu Schwefeldioxid findet in der oberen Atmosphäre statt, wo das UV-Licht eindringen kann. Das heißt, es muss eine Zirkulation geben, also eine Durchmischung der unteren mit den oberen Schichten der Atmosphäre.
Haben Sie weitere Entdeckungen gemacht?
Wir haben im Spektrum auch Hinweise auf Wolken gesehen – und zwar keine Wasserdampfwolken wie auf der Erde, sondern Silikatwolken. Auch dieser Stoff ist uns prinzipiell vertraut: Sand besteht zum Beispiel aus Silikaten. Die Körner in den Wolken dieses Exoplaneten sind aber viel, viel kleiner als Sand, wie wir ihn auf der Erde kennen. Wir haben ausgerechnet, dass dieser Staub aus der oberen Atmosphäre auch ausregnen kann. Die Staubkörner fallen runter, verdampfen dort in den wärmeren Schichten der Atmosphäre wieder und steigen als Gas wieder auf. Das ist dem Zyklus von Wasserdampf und Wolken auf der Erde ähnlich und gibt damit auch einen weiteren Hinweis auf eine Zirkulation in der Atmosphäre.
Was sind die nächsten Schritte Ihrer Forschung?
Uns ist es mit dem James-Webb-Teleskop gelungen, die Zusammensetzung der Atmosphäre eines Planeten genauer zu untersuchen. Jetzt hoffen wir, dass wir daraus schließen können, wie WASP-107b entstanden ist. Denn da so viel Schwefel in seiner Atmosphäre vorhanden ist, kann das möglicherweise Hinweise auf den Wachstumsprozess liefern. Außerdem werden wir noch andere extrasolare Planeten untersuchen und die verschiedenen Objekte systematisch miteinander vergleichen. Unser Team nimmt 14 Exoplaneten ins Visier, aber insgesamt werden Astronominnen und Astronomen mit dem James-Webb-Teleskop sicher über hundert Exoplaneten detailliert beobachten. Davon erhoffe ich mir eine gute Statistik, die uns den Antworten auf die Frage nach der Herkunft und Entwicklung von Exoplaneten ein gutes Stück näher bringt.
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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/teleskope-und-satelliten/james-webb-teleskop/eine-belohnung-fuer-zwanzig-jahre-mitarbeit/