„Jeder kann Informationen über seine Lieblingssterne bekommen“
Franziska Konitzer
Seit Juli 2013 erfasst das Weltraumteleskop Gaia neben der genauen Position und Bewegung auch die Farbe und Temperatur von über einer Milliarde Sternen und liefert so eine dreidimensionale Karte der Milchstraße. Jetzt haben Wissenschaftler die ersten Daten der Mission veröffentlicht. Obwohl der Katalog zunächst hauptsächlich die Positionen und Helligkeiten der Sterne enthält, haben Astronomen ihn mit großer Spannung erwartet. Noch bis mindestens 2019 wird im Rahmen der Mission, betrieben von der Europäischen Weltraumagentur ESA, alle sechs Monate einmal der gesamte Himmel abgetastet, um so die Messungen nach und nach zu verfeinern. Der finale Katalog soll bis 2023 erscheinen. Welt der Physik sprach mit Stefan Jordan von der Universität Heidelberg, der innerhalb der Gaia-Mission hauptsächlich an der Datenverarbeitung und -aufbereitung beteiligt ist.
Welt der Physik: Was ist das Ziel der Gaia-Mission?
Stefan Jordan: Das Ziel ist, etwas über die Milchstraße zu lernen, also über unsere Galaxie von hundert bis zweihundert Milliarden Sternen, zu dem auch die Sonne gehört. Indem Gaia die Position, Bewegung und Entfernung von etwa einer Milliarde Sterne unserer Milchstraße misst, wollen wir sehen, wie die Sterne sich durch die Milchstraße bewegen. Wir wollen auch Informationen über die Sterne selbst gewinnen, indem wir ihre Entfernung kennen.
Sind die rund eine Milliarde Sterne, die Gaia vermisst, angesichts der hundert bis zweihundert Milliarden Sterne der Galaxie nicht trotzdem ziemlich wenig?
Das ist natürlich nur eine kleine Stichprobe unserer Milchstraße. Aber dadurch, dass diese Stichprobe doch so viele Sterne umfasst, können wir etwas über die Sterne unserer Milchstraße im Allgemeinen lernen. Lichtschwache Sterne können wir zwar nur bis auf wenige Lichtjahre Entfernung sehen, aber die hellsten Sterne werden wir bis zum Rand unserer Galaxie sehen, sodass wir durchaus auch eine gewisse Kartierung unserer Milchstraße vornehmen können.
Bis zu welcher Entfernung kann Gaia einen Stern wie unsere Sonne sehen?
Einen sonnenähnlichen Stern kann Gaia bis zu einer Entfernung von 40 000 Lichtjahren sehen. Zum Vergleich: Die gesamte Galaxie durchmisst etwa 100 000 Lichtjahre.
Wie funktioniert die Raumsonde Gaia?
In einer Entfernung von 1,5 Millionen Kilometern von der Erde dreht sich Gaia alle sechs Stunden einmal um die eigene Achse, nimmt dabei alle punktförmigen Objekte auf und sendet diese Daten zur Erde. In jeder Sekunde werden also viele Tausend Sterne vermessen. Und dann ist es viel Arbeit, aus diesen Daten die wirkliche genaue Position der Sterne, die Bewegung und die Entfernungen zu gewinnen.
Warum ist das so schwierig?
Ein Stern führt eine sehr komplizierte Bewegung am Himmel aus. Diese rührt einerseits von der Bewegung der Sterne am Himmel selber her und andererseits daher, dass Gaia mit der Erde um die Sonne kreist und auf diese Weise die Sterne am Himmel zu schwanken scheinen. Das ist der sogenannte Parallaxeneffekt. Dadurch, dass Gaia im Laufe eines Jahres die Sterne aus unterschiedlichen Positionen abtastet, können wir die Entfernung messen, denn unsere Erde läuft ja innerhalb eines halben Jahres auf die andere Seite der Sonne, das sind ungefähr 300 Millionen Kilometer Entfernung. Die gesamte Auswertung der Daten funktioniert mit einem komplizierten mathematischen Verfahren, das wir die globale iterative astrometrische Lösung nennen. Im Durchschnitt haben wir etwa tausend Messungen pro Stern, aus denen wir die einzelnen Werte etwa für die Entfernung auswerten können.
Welche Informationen über die einzelnen Sterne liefert denn der Katalog, der jetzt veröffentlicht wurde?
Außer den astrometrischen Positionsmessungen vermisst Gaia auch die Helligkeit und die Farbe der Sterne sowie ihre Entfernung und Bewegung. Aber es gibt auch einen Spektrografen an Bord, der uns sagt, woraus der Stern chemisch zusammengesetzt ist, welche Temperatur dort herrscht und mit welcher Geschwindigkeit er sich auf uns zu oder sich von uns wegbewegt. Viele dieser Messungen fließen aber noch nicht in diesen ersten Sternenkatalog mit ein. Dieser erste Sternenkatalog enthält zunächst die Positionen und die Helligkeiten von 1,1 Milliarden Sternen. Und indem wir die Daten mit denen aus Vorgängermissionen kombiniert haben, konnten wir bereits jetzt die Entfernungen und Eigenbewegungen von zwei Millionen Sternen bestimmen. Das ist der wertvollste Teil des Katalogs, denn beispielsweise konnte Gaias Vorgängermission Hipparcos aus den 1990er-Jahren diese Informationen für lediglich rund 10 000 Sterne liefern.
Wie genau kann Gaia die Positionen der Sterne vermessen?
Am Ende der Mission wird die Genauigkeit bei etwa zwanzig Mikrobogensekunden liegen. Dabei muss man sich vor Augen halten, was zwanzig Mikrobogensekunden bedeuten: Das entspricht der Bewegung vom linken zum rechten Rand einer Münze, die sich auf dem Mond befände. Der erste Katalog wird allerdings noch nicht diese Genauigkeit haben, derzeit sind wir noch einen Faktor zehn davon entfernt.
Wer kann auf den Sternenkatalog zugreifen?
Auf diesen Katalog kann jeder zugreifen, der einen Internetanschluss hat – also nicht nur Profiastronomen. Man kann sich bei den verschiedenen Datenarchiven, die über Europa verstreut sind, einloggen und die Position oder Gegend angeben, aus der Informationen gewünscht sind. Dann werden alle Sterne, die in der Gegend der angefragten Position sind, mit den entsprechenden Daten heruntergeladen. Jeder kann Informationen über seine Lieblingssterne bekommen. Das sind allerdings meist Sterne, die man nicht mit bloßem Auge sieht, weil Gaia die hellsten Sterne nicht so gut messen kann.
Warum kann Gaia gerade die hellsten Sterne nicht so gut messen?
Sie sind so hell, dass sie die Kamera sehr schnell sättigen. Es sind Überbelichtungseffekte, die wir erst kompensieren oder anderweitig umgehen müssen. Das Problem ist aber auch, dass wir für eine gute Kalibrierung möglichst viele dieser hellen Sterne brauchen, gerade diese aber relativ selten sind. Wir hoffen zwar, durch weitere Erfahrung auch helle Sterne messen zu können, aber der hellste Stern an unserem Himmel – Sirius – wird von Gaia definitiv nicht mehr erfasst werden können.
Gibt es denn schon konkrete wissenschaftliche Fragen, die Gaia beantworten soll, oder handelt es sich um eine erste Bestandsaufnahme?
Ich bin mir sicher, dass viele Astronomen schon bereit sind, die ersten Anfragen an die Datenbanken zu schicken. Manche Astronomen studieren beispielsweise die Bewegungen von Sternen in unserer Galaxis und wollen ganz bestimmte Gruppen von Sternen untersuchen, deren Entfernung sie kennen müssen. Da sitzen die Astronomen wirklich in den Startlöchern – schon für diesen Katalog, aber noch mehr für den Katalog, der für Ende 2017 geplant ist. Im Moment ist angedacht, fast jedes Jahr immer genauere Daten zu veröffentlichen.
Funktioniert denn bei Gaia alles so, wie es funktionieren sollte?
Es gibt wie bei jeder Weltraummission kleinere Probleme. Beispielsweise haben wir gemerkt, dass ein wenig Streulicht in das Teleskop kommt, weil der Sonnenschirm kleinere Ausfaserungen hat. Deshalb werden die ganz lichtschwachen Sterne etwas schlechter vermessen, als wir das eigentlich wollten – das ist aber keine Katastrophe. Außerdem gibt es gewisse Ablagerungen von Eis auf der Sonde, weil sich doch noch eine größere Menge an Wasser im Satelliten befand, als man nach der Dekontaminierung erwartet hatte. Deshalb muss Gaia alle paar Monate leicht aufgeheizt werden, um dieses Wasser herauszubekommen. Aber wie bei jeder Weltraummission gilt: Man kann sie nur einmal durchführen, man kann nicht schnell etwas reparieren, was nicht in Ordnung ist. Aber wir sind mit unseren Daten sehr zufrieden und zuversichtlich, dass wir all unsere Ziele erreichen können, was die Anzahl der Sterne und die Qualität der Beobachtungen angeht.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/teleskope-und-satelliten/jeder-kann-informationen-ueber-seine-lieblingssterne-bekommen/