Das Large Binocular Telescope LBT
Helmut Hornung
Das weltweit größte Einzelteleskop verfügt über zwei riesige Sammelspiegel mit jeweils 8,4 Meter Durchmesser, die – auf einer gemeinsamen Montierung installiert – gleichzeitig auf ferne Himmelskörper ausgerichtet werden.
Das Prinzip gleicht dem eines Feldstechers, daher der Name Large Binocular Telescope (LBT). Das 120 Millionen Dollar teure Observatorium steht auf dem Mount Graham in Arizona. Das LBT wurde von einem internationalen Konsortium unter amerikanischer Federführung geplant und gebaut: Fünf deutsche Forschungseinrichtungen unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Astronomie in Heidelberg sind zu einem Viertel beteiligt.
Der deutsche Beitrag zur Realisierung des LBT konzentriert sich auf die technologisch anspruchsvollsten Entwicklungen im Bereich der Ausrüstung des Teleskops mit neuen Messgeräten. „Damit sichern wir uns ein Viertel der gesamten Beobachtungszeit an diesem einzigartigen Teleskop der Superlative“, sagt Thomas Herbst vom Heidelberger Max-Planck-Institut, der Projektwissenschaftler des LBT in Deutschland. Die dabei gesammelten zukunftsweisenden Erfahrungen auf technologischem Neuland werden darüber hinaus beim Bau von Teleskopen der nächsten Generation eine entscheidende Rolle spielen.
Das Large Binocular Telescope entstand innerhalb von acht Jahren auf dem 3190 Meter hohen Mount Graham, wo die Astronomen ideale Bedingungen vorfinden. Weder die Lichter einer Großstadt noch Wasserdampf oder Staub in der Atmosphäre stören hier die Beobachtungen. Der Berg ist den deutschen Astronomen nicht unbekannt. Anfang der 1980er Jahre errichteten dort die Universität von Arizona in Tucson und das Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn gemeinsam das Heinrich-Hertz-Teleskop, das im Submillimeter-Wellenbereich – also am kurzwelligen Ende des Radiospektrums – arbeitet. Unweit davon steht auch das Vatican Advanced Technology Telescope. Die Erbauer des LBT konnten daher die bereits bestehende Infrastruktur, insbesondere den Zufahrtsweg, nutzen.
Mit dem LBT wurde eine weltweit einzigartige Konstruktion realisiert. Für die Astronomen ist die gesamte Licht sammelnde Spiegelfläche eines Teleskops von entscheidender Bedeutung: Je größer sie ist, desto schwächere Objekte lassen sich nachweisen und untersuchen. Die beiden LBT-Spiegel besitzen einen Durchmesser von jeweils 8,4 Metern. Zusammen spannen sie eine Fläche von 110 Quadratmetern auf und erzielen die Leistungsstärke eines einzelnen Zwölf-Meter-Spiegels und die Bildschärfe eines einzelnen 23-Meter-Spiegels. Mit dem LBT ließe sich das Licht einer brennenden Kerze noch in 2,5 Millionen Kilometer Entfernung – entsprechend dem sechsfachen Abstand Erde-Mond – nachweisen.
Die beiden in Tucson hergestellten Hauptspiegel sind nicht massiv: Ihr Spiegelkörper ist im Wesentlichen hohl, er besteht aus dem Wabenmuster einer Spezialkeramik; damit wird eine Minimierung des Gewichts bei hoher Steifigkeit erreicht. Die Oberflächen der Spiegel sind bis auf zwanzig Nanometer (zwanzig Millionstel Millimeter) genau poliert. Denkt man sich einen solchen Spiegel auf die Ausdehnung Berlins mit etwa 35 Kilometer Durchmesser „projiziert“, so wäre auf seiner Oberfläche keine Abweichung von der Sollform größer als ein zehntel Millimeter.
Ein herkömmlicher Acht-Meter-Spiegel würde hundert Tonnen wiegen, die beiden LBT-Spiegel bringen nur je 15,6 Tonnen auf die Waage. Dadurch lässt sich auch das Gewicht der Teleskop-Montierung, welche die Spiegel trägt und bewegt, in einem handhabbaren Rahmen halten. Der insgesamt 850 Tonnen schwere „Feldstecher“, dessen mechanische Teile in Italien gefertigt wurden, wird hydraulisch auf einem dünnen Ölfilm bewegt und lässt sich mit höchster Präzision auf jeden Himmelskörper ausrichten und seiner scheinbaren täglichen Bewegung nachführen.
„Grundsätzlich gilt: Jedes Teleskop ist bestenfalls so gut wie seine Instrumente, die das Licht empfangen und aufzeichnen“, sagt Thomas Henning, Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie. Vergleicht man die beiden Spiegel des LBT mit dem menschlichen Auge, so entsprechen die Kameras und Spektrografen der Netzhaut. Gesteuert wird das Teleskop mit zwei sogenannten Leiteinrichtungen: Sie sagen dem LBT nicht nur, wohin es sich bewegen muss, um ein bestimmtes astronomisches Objekt aufs Korn zu nehmen, sondern sie sorgen mithilfe eines Leitsterns auch für die korrekte Nachführung, wenn das Objekt am scheinbar sich drehenden Himmelszelt längere Zeit mit höchster Präzision verfolgt werden soll. Das Licht des Leitsterns wird auch genutzt, um die Verformung des aktiv unterstützten Hauptspiegels ständig festzustellen und zu korrigieren, sodass er in jeder Lage des Teleskops in seiner idealen Form gehalten werden kann. Diese beiden „Acquisition, Guiding- and Wavefront-sensing units“ (AGW) werden am Astrophysikalischen Institut Potsdam (AIP) gebaut – mit Beiträgen von INAF-Arcetri, von der Landessternwarte Heidelberg und vom dortigen Max-Planck-Institut.
Zunächst öffnete das LBT nur ein „Auge“. An diesem einen Spiegel stand den Astronomen zunächst eine Primärfokus-Kamera und danach ein Spektrograf namens LUCIFER 1 zur Verfügung. Dieser Spektrograf und sein Zwilling LUCIFER 2 entstanden unter der Leitung der Landessternwarte Heidelberg. Am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching wurden wesentliche Teile der Optik gebaut, das Max-Planck-Institut für Astronomie lieferte das Detektorpaket und entwickelte das Konzept für die Kühlung. Beiträge für weitere Bauteile stammen von der Universität Bochum und von der Fachhochschule Mannheim.
Zu diesen Instrumenten gesellte sich später noch ein hoch auflösender Spektrograf namens PEPSI, der zurzeit am Astrophysikalischen Institut Potsdam entsteht. In Kombination mit dem LBT ist PEPSI der weltweit leistungsfähigste Spektrograf seiner Art. Zwei Zirkular- und Linearpolarimeter sowie zwei permanente Fokalstationen füttern den Spektrografen über insgesamt 16 Glasfaserkabel. PEPSI lässt sich im gesamten Wellenlängenbereich vom Ultravioletten bis zum Infraroten mit höchster spektraler Auflösung einsetzen. Sehr helle Sterne könnte PEPSI im hoch auflösenden Modus auch am Tag beobachten.
Ende 2005 wurde auch der zweite Hauptspiegel installiert. Nach der Lieferung der zweiten CCD-Kamera Ende 2007 erhielt das LBT seine volle Lichtstärke. Eine weitere Ausbaustufe war die Installation des am Heidelberger Max-Planck-Institut konstruierte Instruments LINC-NIRVANA. Dieses Gerät führt das von den beiden Spiegeln gesammelte Licht mit höchster Präzision in einer gemeinsamen Brennebene zusammen und überlagert es zu einem sogenannten Interferogramm. Auf diese Weise ist es theoretisch möglich, Bilder von einer Schärfe zu erhalten, wie sie sonst nur ein 23-Meter-Spiegel liefern könnte. Um diese Leistung auch in der Praxis zu erreichen, müssen allerdings die von Turbulenzen entlang des Lichtwegs durch die Erdatmosphäre erzeugten Bildstörungen während der Messung möglichst vollständig kompensiert werden. Das übernimmt eine sogenannte adaptive Optik – neben dem Strahlvereiniger und der Infrarotkamera die dritte Komponente des Instruments. „Mit diesem Schritt erreicht das LBT eine bis zu zehnfach höhere Bildschärfe als das Weltraumteleskop Hubble“, sagt Hans-Walter Rix, Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie.
Mit ihrer 25-prozentigen finanziellen Beteiligung am LBT sichern sich die Astronomen der fünf deutschen Institute ein Viertel der Beobachtungszeit an diesem Teleskop. „Das gibt uns die Möglichkeit, auch einmal experimentelle Programme auszuführen, für die man uns vielleicht an anderen Observatorien keine Beobachtungszeit genehmigt hätte“, erklärt Thomas Henning. Zwar wird das LBT ein Allround-Instrument sein, mit dem sich praktisch jede aktuelle astrophysikalische Fragestellung angehen lässt. Doch die Forscher des Max-Planck-Instituts für Astronomie haben einige Vorlieben.
Da ist zum einen die Jagd nach den ersten Sternen im Universum. Über diese Urahnen unserer Sonne wissen die Astronomen bisher sehr wenig. Auf welche Weise haben sich Galaxien wie unser Milchstraßensystem gebildet und wie haben sie sich weiter entwickelt? Mit dem LBT wollen die Forscher die Struktur der entferntesten Milchstraßensysteme und die Dynamik ihrer Sterne und Gaswolken studieren – und beispielsweise herausfinden, welche Rolle die Dunkle Materie bei der Bildung der Galaxien im frühen Universum gespielt hat. Ein anderer Arbeitsschwerpunkt betrifft wesentlich nähere Objekte: extrasolare Planeten, die fremde Sterne umkreisen. Bislang sind etwa 140 Sterne mit solchen winzigen, extrem lichtschwachen Begleitern bekannt. Diese Himmelskörper lassen sich heute noch nicht direkt beobachten. Dafür sind sie zu lichtschwach und stehen zu nahe an ihrem millionen- bis milliardenfach helleren Zentralstern, der sie überstrahlt.
Das Large Binocular Telescope ist das größte Einzelteleskop der Welt. Seit einigen Jahren diskutieren Astronomen in Europa und in den USA darüber, ob es sinnvoll und möglich ist, ein Teleskop zu bauen, das über einen Spiegel von dreißig bis hundert Meter Durchmesser verfügt. Ein Over-Whelmingly Large Telescope (OWL) mit einem Spiegeldurchmesser von hundert Metern wurde verworfen, stattdessen läuft die Planung des Extremely Large Telescope (ELT) mit etwa 39 Metern Spiegeldurchmesser. „Wir betrachten das LBT auch als Übergangsinstrument zu den Großteleskopen der nächsten Generation“, sagt Henning. Als Fernziel träumen die Heidelberger Astronomen von einer Beteiligung an einem solchen zukünftigen Riesenteleskop.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/teleskope-und-satelliten/optische-teleskope/large-binocular-telescope/