OmegaCAM – Durchmusterungskamera des VLT

Harald Nicklas

Das VLT Survey Telescope

Eine neue Kamera am Very Large Telescope wird bald eine neue Ära der großflächigen Durchmusterung des Himmels nach schwächsten Quellen einleiten und die Leistungsfähigkeit des europäischen Observatoriums damit entscheidend verbessern.

Große Gebäude in der Abenddämmerung, deren Dächer sich öffnen.

Das Paranal-Observatorium

Auf dem 2600 Meter hohen Cerro Paranal inmitten der chilenischen Atacama-Wüste betreibt die Europäische Südsternwarte ESO seit über zehn Jahren ein riesiges Observatorium: Das Very Large Telescope – VLT , zusammengesetzt aus vier 8,2 Meter großen Einzelteleskopen. Eine der größten und modernsten elektronischen Kameras der Welt soll das VLT in Zukunft noch leistungsfähiger machen: Ab dem Sommer 2011 wird die OmegaCAM den Weg zu interessanten Himmelsobjekten weisen, denn im Gegensatz zu den Großteleskopen besitzt die neue Kamera eine überlegene Bildfeldgröße. Astronomen identifizieren mit der OmegaCAM also Objekte, die es wert sind, einen tieferen Einblick in ihre Struktur und Dynamik zu werfen. Für diese detaillierten Nachfolgebeobachtungen eignen sich wiederum die großen Teleskope mit ihrer höheren Lichtsammelleistung und Trennschärfe.

Dreidimensionales Bild des Himmels

Die Himmelsdurchmusterungen mit dieser Kamera sind aber nicht nur als Vorläuferbeobachtung für Großteleskope gedacht, sondern erfüllen zudem eigene Zwecke. So wollen Wissenschaftler ausgewählte Himmelsareale großflächig ablichten und den generierten Datensatz auf bestimmte Signaturen wie etwa durch Gravitationsfelder verzerrte Abbilder von fernen Sternsystemen und Galaxienhaufen absuchen. Beispiele für solche Programme sind die VPHAS-Durchmusterung der Milchstraßenebene oder das ATLAS-Projekt am Südhimmel als Ergänzung zu den nördlichen Durchmusterungen sowie schließlich KIDS (Kilo-Degree Survey), das rund ein Zwanzigstel des zugänglichen Himmels abdecken soll. Nach 700 Nächten an den speziellen Durchmusterungsteleskopen können die Astronomen dann rund zehnmal tiefer in das Universum blicken als bei früheren Untersuchungen dieser Art.

Zudem können Wissenschaftler aus den KIDS-Daten auch die Masse von Galaxien oder ganzen Galaxienhaufen ableiten – mithilfe des sogenannten Gravitationslinseneffekts. Je stärker das Gravitationsfeld der Galaxien ist, je größer also ihre Masse, desto stärker verzerren sie das Licht eines Hintergrundobjekts. Diese Studien dienen nicht zuletzt dem Verständnis der rätselhaften Dunklen Materie im Universum. Des Weiteren sind Astronomen mit KIDS in der Lage, die Wachstumsraten von Galaxien und großräumigen Strukturen während der vergangenen sieben Milliarden Jahre – diese Rückblickzeit entspricht der Reichweite des VLT Survey Telescope – zu bestimmen und damit Rückschlüsse auf die Entwicklung des Kosmos zu ziehen. Anhand des Lichts, das Galaxien, Sterne und andere Himmelsobjekte aussenden, lässt sich auch auf deren Entfernung schließen. Auf ihrem Weg zur weit entfernten Erde werden die Lichtwellen nämlich durch die Expansion des Weltalls gewissermaßen gestreckt und zu längeren, roten Wellenlängen hin verschoben. Diese sogenannte Rotverschiebung ist umso stärker ausgeprägt, je weiter die Lichtquelle entfernt ist. Auf der Basis solcher Entfernungsbestimmungen an Abertausenden von Objekten entsteht am Ende der Durchmusterung ein dreidimensionales Bild des Himmels.

Führend in vielen Disziplinen

Momentan existieren keine mit der OmegaCAM vergleichbaren Projekte auf der Welt: Entweder weisen die Instrumente keine derart große Reichweite auf, halten in der Abbildungsqualität nicht mit oder decken den sichtbaren Spektralbereich nicht so weitläufig ab (geringere Bandbreite). Im Vergleich zu anderen Spektralbereichen besitzen die im roten Licht gewonnenen Daten einen besonderen Wert und eine hohe Aussagekraft, trifft hier doch die ausgezeichnete Abbildungseigenschaft von Kamera und Teleskop auf die exzellenten Abbildungseigenschaften der Erdatmosphäre über dem chilenischen Paranal-Observatorium. Damit ist die OmegaCAM zurzeit das ultimative Gerät in der Kombination von Qualität, Bandbreite, Großräumigkeit und Reichweite.

Stahlkonstruktion, die eine schwarzen Zylinder hält.

OmegaCAM am VST

Um dieses Ziel zu erreichen, waren viele Vorarbeiten nötig. Ein wichtiger Faktor ist zum Beispiel die Lichtsammelleistung der Anlage, die zum einen die Reichweite bestimmt, zum anderen die Beobachtungszeit in einem vertretbaren Rahmen hält. So wurde ein neues 2,6-Meter-Teleskop, das VLT Survey Telescope, eigens für diesen Zweck gebaut. Das VST, wie es abgekürzt heißt, ist mit einer „aktiven Optik“ ausgestattet, die den Haupt- und Sekundärspiegel aktiv in Form und Position regelt und hält, denn nur so kann die notwendige Abbildungsqualität erzielt werden. Beigesteuert wird es von der italienischen Forschungsorganisation INAF (Istituto Nazionale di Astrofisica).

Von gleicher Bedeutung ist das enorm große Gesichtsfeld der Kamera, also die Fläche am Nachthimmel, die sich mit einer einzigen Verschlussöffnung ablichten lässt. Die OmegaCAM überdeckt ein Areal von fünf Vollmondscheiben und ist ihrem Vorgänger, dem Wide Field Imager, damit vierfach überlegen. Des Weiteren trägt die außerordentlich hohe Bildschärfe zu ihrer Leistung bei, die durch ein fein aufeinander abgestimmtes Design von Teleskop- und Kameraoptik erreicht werden konnte. Mit der erzielten Abbildungsqualität beträgt die Bildschärfe trotz der außergewöhnlich großen Bilddiagonale von anderthalb Grad – dies sind immerhin drei Vollmonddurchmesser – selbst in den äußersten Ecken 0,2 Bogensekunden, entsprechend einer Kratergröße von 370 Metern auf dem Mond. Dieser Grenzwert lässt sich am Erdboden nicht unterschreiten, es sei denn, man setzt die in Entwicklung befindliche adaptive Optik ein, die störende Effekte der Erdatmosphäre ausgleicht, oder begibt sich in den Erdorbit. Über der chilenischen Wüste sind die Beobachtungsbedingungen allerdings nahezu perfekt, sodass die mit der OmegaCAM erreichte Auflösung für erdgebundene Observatorien praktisch die bestmögliche ist.

Riesige Datenmengen

Runde metallische Halterung, in der Mitte sind 32 dunkle Belichtungsplatten montiert.

Belichtungsfläche der OmegaCam

Empfindlichkeit und elektronisches Verhalten der Detektoren müssen auf diese Rekordauflösung sowie auf das große Gesichtsfeld abgestimmt sein. Aus diesem Grund entschloss man sich beim Bau der Kamera dazu, bis zu 32 CCD-Detektoren (sowie vier weitere für Analysezwecke) zusammenzuschalten. Jeder einzelne dieser elektronischen Chips enthält 2048 mal 4096 Bildelemente, also Pixel, die jeweils 15 Mikrometer groß sind. Pro Schnappschuss liefert die Kamera so insgesamt 256 Millionen Bildpunkte oder umgerechnet ein halbes Gigabyte an Daten. Aufgrund der hohen Pixelzahl muss pro Nacht mit rund 50 Gigabyte an Daten gerechnet werden – das macht auf die Laufzeit jedes einzelnen Durchmusterungsprojekts gerechnet einige Terabyte an Daten. Auf herkömmlichen Computern lässt sich die anfallende Datenflut natürlich nicht mehr bewältigen, weshalb man eigens für dieses Projekt sogenannte „Computer-Cluster“ bildete. Doch diese Rechnerverbünde allein genügen immer noch nicht, um der gewaltigen Datenmenge Herr zu werden. Erst durch ausgefeilte Softwaretechniken, die ebenfalls speziell für diesen Zweck entwickelt wurden, können Astronomen die Daten handhaben und wissenschaftlich auswerten.

Eine Person mit Mund- und Kopfschutz hält einen quadratischen Rahmen, in dem sich vier quadratische Filterglasscheiben wie Quadranten befinden.

Filterglas

Nicht zuletzt tragen auch die hochentwickelten Filtergläser zu der enormen Leistungsfähigkeit der OmegaCAM bei. Statt wie in gewöhnlichen Filtern eingefärbte Gläser zu benutzen, setzen die neuen Filter auf hundertfache Beschichtungen mit geringeren Lichtverlusten und unvergleichlicher Transparenz. Das Herstellungsverfahren dieser Multi-Layer-Beschichtungen ist nicht neu, war jedoch bisher auf wesentlich kleinere Abmessungen beschränkt. Erst neuere Entwicklungen und die steigende Nachfrage ermöglichen das Beschichten von Optiken in Verbindung mit der erforderlichen Qualität bezüglich Reinheit, Transmission und Homogenität in diesen Dimensionen möglich gemacht.

Internationale Zusammenarbeit

Entwicklung und Bau der Kamera erfolgten in internationaler Zusammenarbeit deutscher, niederländischer und italienischer Forschungsinstitute. Auf deutscher Seite sind das Institut für Astrophysik der Universität Göttingen sowie die Universitäts-Sternwarten München und Bonn zu nennen, die an der technischen Entwicklung der Kamera maßgeblich beteiligt waren. Gefördert und auf tragende Weise unterstützt wurde das OmegaCAM-Projekt auf deutscher Seite durch die Verbundforschung Astrophysik und Astroteilchenphysik des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Zu den internationalen Partnern zählen Observatorien in den Niederlanden, das Kapteyn Institut in Groningen und die Sterrewacht Leiden sowie in Italien das Osservatorio Astronomico in Padua und das Osservatorio Astronomico di Capodimonte in Neapel und nicht zuletzt der Auftraggeber, die Europäische Südsternwarte ESO in Garching.

Zum einen wird den beteiligten Forschungsinstituten hierfür über einen Zeitraum von zehn Jahren ein hoher Beobachtungsanteil am VLT Survey Telescope garantiert, zum anderen ein erweiterter Zugang zum Very Large Telescope selbst. Dies versetzt die beteiligten Wissenschaftler in die Lage, an führender Stelle an den brennenden Fragen der Astrophysik mitzuarbeiten.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/teleskope-und-satelliten/optische-teleskope/very-large-telescope/omegacam/