„Weit in das frühe Universum blicken“
Dirk Eidemüller
Am 25. Dezember 2021 startete das James-Webb-Weltraumteleskop ins All. Weltweit warten Astrophysiker schon gespannt auf die Ergebnisse des einzigartigen Instruments, das – nach langer Verzögerung – endlich Bilder vom frühen Weltall und fernen Planeten liefern soll. Im Interview mit Welt der Physik berichtet Oliver Krause vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, wie weit Astronomen mit dem Teleskop in die Vergangenheit blicken wollen und was sie sich davon versprechen.
Welt der Physik: Was ist das Besondere des Weltraumteleskops?
Oliver Krause: Das James-Webb-Weltraumteleskop ist ein extrem leistungsstarkes Infrarotteleskop mit einer großen Spiegelfläche und moderner Kameratechnik. Im Vergleich zu seinem Vorgänger, dem NASA-Weltraumteleskop Spitzer, hat es nicht nur einen fast zehnfach größeren Hauptspiegel, sondern auch empfindlichere Instrumente. Damit werden sich die Belichtungszeiten bis zu zehntausendfach verkürzen! Und die Auflösung ist ebenfalls deutlich höher. Wir werden mit dem „Webb“, wie es von Astronomen kurz genannt wird, also viel mehr Dinge sehen als bisher. Und wir werden damit weit in das frühe Universum zurückblicken können.
Wird man auch das Licht der ersten Sterne sehen?
Von der Beobachtung der ersten Sterngeneration, die wenige hundert Millionen Jahre nach dem Urknall entstand, träumen Astronomen schon lange. Wenn alles gut geht, werden wir mit Webb die Strahlung der ersten Generation von Sternen sehen können – allerdings nur in Form von Galaxien, also nicht als einzelne Sterne. Es wird mit Sicherheit ein Höhepunkt der weltraumgestützten Astrophysik, die ersten Galaxien und die in ihnen aufleuchtenden Supernovae zu beobachten.
Warum sind die ersten Sterne denn so interessant?
Die allerersten Sterne im All waren sehr groß und kurzlebig. Denn damals gab es außer Wasserstoff und Helium keine anderen Elemente, aus denen Sterne hätten entstehen können. Diese Sterne sind allesamt nach vergleichsweise kurzer Zeit als Supernovae explodiert und haben dadurch erst das Universum mit schwereren Elementen angereichert. Aus diesen Elementen sind dann die ersten komplexen Sternsysteme – ähnlich unserer Milchstraße – entstanden.
Lassen sich mit dem Teleskop auch ferne Planeten beobachten?
Ja, mit dem James-Webb-Weltraumteleskop möchten wir auch Direktaufnahmen von Exoplaneten machen. Wir haben auch sogenannte Koronographen in die Kamerasysteme eingebaut, die das Sternenlicht ausblenden können, sodass man die Planeten besser sehen kann. Aufgrund der großen Entfernungen von etlichen Lichtjahren werden wir die Planeten aber nicht räumlich auflösen können. Aber die Spektralanalyse der Planetenatmosphären ist ohnehin viel interessanter für uns. Denn die Instrumente des Webb erlauben es, Rückschlüsse auf die molekulare Zusammensetzung der Planetenatmosphäre und physikalische Bedingungen zu ziehen.
Mit welchen Instrumenten an Bord des Teleskops ist es möglich, in das frühe Universum zu blicken und Exoplaneten zu beobachten?
Das Teleskop hat einen großen Spiegel, der aus einzelnen Segmenten besteht, die sich zunächst für den Raketenstart zusammenklappen lassen. Danach müssen sich die Spiegel erst einmal wieder in Form bringen und perfekt aufeinander einstellen – dafür sorgt eine komplexe Mechanik. Mithilfe der Spiegel wird dann das einfallende Licht auf eines von vier Kamerasystemen gelenkt. Ein Kamerasystem dient im Wesentlichen zur Lagebestimmung des Teleskops. Dann gibt es zwei Instrumente für den sogenannten nahen Infrarotbereich, genannt NIRCam und NIRSpec. Mit dem vierten Instrument namens MIRI, an dessen Entwicklung meine Kollegen und ich beteiligt waren, lässt sich mittleres Infrarotlicht beobachten.
Welchen Beitrag hat ihre Arbeitsgruppe für das Kamerasystem geleistet?
Die Infrarotkamera von MIRI ist ein Multifunktionsgerät und in einem breiten Wellenlängenbereich empfindlich. Für die unterschiedlichen Messungen müssen wir deshalb verschiedene Arten von Filtern oder Koronographen nutzen, um störende Strahlung herauszufiltern. Meine Kollegen und ich haben ein Filterrad entworfen, auf dem 18 verschiedene Filter angeordnet sind, die sich gezielt vor die Kamera schalten lassen. Da immer andere Beobachtungen anstehen, wird dieses Filterrad also ständig in Bewegung sein. Es muss deswegen nicht nur die Vibrationen beim Raketenstart aushalten, sondern auch eine dauerhafte Aktivität im Weltraum bei sehr tiefen Temperaturen knapp über dem Nullpunkt – und zwar über die gesamte geplante Lebensdauer des Teleskops von zehn Jahren. Und das gilt nicht nur für dieses Instrument, sondern für das gesamte Teleskop.
War das der Grund, warum das Webb mit mehr als zehn Jahren Verzögerung ins All startet?
Bei einem so komplexen Weltraumprojekt ist es nicht ganz ungewöhnlich, dass sich der Start verzögert. Man kann im Vorhinein zwar vieles am Computer simulieren, aber bei den Tests unter den realen Umgebungsbedingungen des Raketenstarts und des späteren Betriebs im Weltraum gab es dann doch die eine oder andere Überraschung. Es mussten bestimmte technische Komponenten dann teilweise aufwendig verbessert werden, denn wenn ein wichtiges Teil versagt, scheitert die gesamte Mission.
Was lange währt, wird endlich gut?
Drücken wir die Daumen, dass nicht doch noch irgendetwas Unvorhergesehenes passiert. Alle Beteiligten sind unglaublich gespannt, das Gerät endlich fliegen zu sehen. Die wissenschaftlichen Möglichkeiten, die so ein Instrument bietet, sind natürlich einzigartig. Und besonders interessant wird es, wenn wir damit vielleicht sogar unvorhergesehene Dinge beobachten. Lassen wir uns überraschen.
Start des James-Webb-Weltraumteleskops
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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/teleskope-und-satelliten/weit-in-das-fruehe-universum-blicken/