„Wir möchten den Asteroiden genau im Auge behalten“
Dirk Eidemüller

ESA-Science Office
Welt der Physik: Was ist das Besondere des neu entdeckten Asteroiden?
Alan Harris: Die Gefährdung durch 2024 YR4 wurde von der Gemeinschaft der Asteroidenforscher als so hoch eingeschätzt, dass wir erstmals bei der UNO eine offizielle Warnung ausgesprochen haben. Nachdem wir ihn entdeckt haben, wurde ein Einschlag auf der Erde am 22. Dezember 2032 mit einer Wahrscheinlichkeit von gut zwei Prozent angegeben. Ich habe diese Ergebnisse vor dem UNO-Committee on the Peaceful Uses of Outer Space (COPUOS) am 6. Februar 2025 präsentiert und dargelegt, weshalb wir diesen Asteroiden jetzt genau im Auge behalten müssen.
Wie hoch ist das Risiko nach den jüngsten Beobachtungen?
Um den Vollmond am 12. Februar waren für einige Tage keine zuverlässigen Beobachtungen des lichtschwachen Asteroiden möglich. In der letzten Woche konnten aber wieder gute Beobachtungsdaten gesammelt werden, die zu genaueren Kenntnissen der Umlaufbahn des Asteroiden geführt haben. Es hat sich nun gezeigt, dass 2024 YR4 die Erde am 22. Dezember 2032 mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verfehlen wird. Er stellt zumindest für die nächsten 100 Jahre keine nennenswerte Bedrohung mehr für die Erde dar. In der Risikoliste der NASA steht 2024 YR4 heute nur noch an elfter Stelle. Für den Zeitraum zwischen den Jahren 2032 und 2047 gibt es jetzt nur noch ein winziges Restrisiko eines Einschlags von 1/37000.
Was wissen Sie noch über den Asteroiden?
Nach den bisherigen Vermessungen und spektroskopischen Untersuchungen handelt es sich um einen 40 bis 90 Meter durchmessenden Asteroiden des S-Typs. Das sind silikatreiche Gesteinskörper. Und das ist eine gute Nachricht: Denn wäre er ein Eisenasteroid, hätte er eine deutlich höhere Zerstörungskraft.
Welche Gefahr würde von einem solchen Himmelskörper ausgehen und was kann man theoretisch dagegen tun?
Das Maß der potenziellen Schäden hängt neben seiner Zusammensetzung stark von der Größe und damit von der Masse des Asteroiden ab. Bei einer Größe im unteren Bereich – also rund 40 bis 50 Meter Durchmesser – würde man wahrscheinlich die Bahn genau verfolgen. Dann würde man rechtzeitig Evakuierungsmaßnahmen einleiten, sobald man den Auftreffort auf der Erde genauer eingrenzen könnte. Hat ein Asteroid einen Durchmesser von über 50 Metern, dann sollte man zumindest darüber nachdenken, ob man ihn mithilfe der Impaktor-Methode ablenken könnte. In beiden Fällen wäre nicht mit globalen Schäden zu rechnen. Aber solche Ereignisse, wie zum Beispiel der Meteoriteneinschlag von Tunguska im Jahr 1908, können lokal sehr schwere Schäden hervorrufen.
Was ist in Tunguska passiert?
Damals explodierte ein ähnlich großer Asteroid wie 2024 YR4 in der Atmosphäre über der sibirischen Taiga. Auf einer Fläche von über 2000 Quadratkilometern riss die Druckwelle alle Bäume um. Die Sprengkraft der Explosion entsprach rund zehn bis zwanzig Millionen Tonnen TNT – das ist etwa tausendmal mehr als die Hiroshima-Bombe. Zum Glück war die Region sehr dünn besiedelt. Unbestätigten Augenzeugenberichten zufolge könnte es zwei oder drei Todesopfer gegeben haben. Aber bei einem Treffer in einer Großstadt wären zahlreiche Todesopfer zu beklagen gewesen.
Bei einem etwas kleineren Asteroiden hingegen wäre zu erwarten, dass die Druckwelle nicht so verheerend ausfällt. Über Tscheljabinsk ist im Jahr 2013 etwa ein rund 20 Meter durchmessender Asteroid hoch oben in der Atmosphäre explodiert. Dort gab es viele Verletzungen durch Glassplitter, weil zahlreiche Fenster aufgrund der Druckwelle geborsten sind. Das ist also noch recht glimpflich ausgegangen.
Gab es eine realistische Chance für eine Impaktor-Mission im Fall von 2024 YR4?
Die Zeit war schon recht knapp. Denn ein Aufprall hätte wenn, am 22. Dezember 2032 stattgefunden. Bis dahin hätte man den Asteroiden gut charakterisieren und seine Bahn genau bestimmen müssen, um überhaupt berechnen zu können, wie man den Gesteinskörper passend beeinflussen kann. Zurzeit fliegt er aber schon mit hoher Geschwindigkeit wieder weg von der Erde und bewegt sich in Richtung Jupiterbahn. Der Asteroid hat nämlich eine elliptische Umlaufbahn, die ihn immer wieder von dort draußen in die Nähe der Erdbahn führt.
Wie entdeckt man überhaupt neue Asteroiden?
Es gibt mehrere Observatorien, die dafür spezialisiert sind. Es handelt sich dabei hauptsächlich um kleinere Teleskope mit einem halben Meter Spiegeldurchmesser – im Gegensatz zu den oft deutlich größeren astronomischen Teleskopen. Die gegenwärtig wichtigsten Observatorien sind Pan-STARRS auf Hawaii, Catalina Sky Survey in Arizona und ATLAS. Das steht für „Asteroid Terrestrial-impact Last Alert System“ und hat mehrere Standorte. Zusammen finden diese Observatorien rund 3000 neue erdnahe Asteroiden jedes Jahr. Aber Alarm wird nur geschlagen, wenn der Asteroid groß genug ist – also mindestens zehn Meter – und wenn die Wahrscheinlichkeit eines Einschlags auf der Erde auf mindestens ein Prozent geschätzt wird.
Und was geschieht dann?
Generell folgen umfangreiche Nachbeobachtungen mit größeren Teleskopen, um die Bahn eines solchen Himmelskörpers und seine physikalischen Eigenschaften genauer festzulegen. So wurde direkt geplant, 2024 YR4 im März und im Mai mit dem James-Webb-Weltraumteleskop zu untersuchen, dem besten dafür verfügbaren Instrument. Das ist ein Anzeichen dafür, wie ernst man diesen Asteroiden sofort genommen hat, denn die Beobachtungszeit mit diesem Teleskop ist eng limitiert. Doch auch trotz der Entwarnung werden Forschende den Asteroiden wahrscheinlich mit dem James-Webb-Weltraumteleskop beobachten. Denn sie möchten zeigen, welche wichtigen Informationen, wie zum Beispiel seine genaue Größe oder Zusammensetzung, sich im Notfall mit einem solchen Teleskop gewinnen lassen.
Welche Rolle spielt dabei die Asteroidenforschung?
Diese Geschichte von 2024 YR4 zeigt, wie gut die internationale Zusammenarbeit bei der Entdeckung und Untersuchung von potenziell gefährlichen Asteroiden funktioniert. Wir haben aber leider sehr wenig Geld und können im Wesentlichen nichts tun, außer unsere Arbeit zu machen und die Öffentlichkeit, beziehungsweise die UNO, zu warnen. Dann müssen sich die gesellschaftlichen Entscheidungsträger überlegen, ob sie Geld in die Hand nehmen, um beispielsweise Erkundungs- und Impaktormissionen mit Raumsonden zu ermöglichen. Ich denke, wir sollten diese Dinge ernst nehmen. Denn wenn eines Tages ein noch wesentlich größerer Asteroid Kurs auf die Erde nehmen sollte, dann werden uns die Erkenntnisse, die wir mit kleineren Asteroiden gesammelt haben, auf jeden Fall weiterhelfen.
Erdnaher Asteroid 2024 YR4 mit dem VLT beobachtet
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Quelle: https://www.weltderphysik.de/gebiet/universum/von-meteoriten-bis-kleinplaneten/asteroiden/planetare-verteidigung-yr4-wir-moechten-den-asteroiden-genau-im-auge-behalten/