„Gezielt nach hochenergetischen Elektronen gesucht“

Das Teleskopsystem H.E.S.S. ist eigentlich für den Nachweis von sogenannter Gammastrahlung aus dem Weltall ausgelegt. Doch nun ist es mit H.E.S.S gelungen, hochenergetische Elektronen und Positronen zu beobachten. Katrin Egberts von der Universität Potsdam erklärt, was wir daraus über unsere galaktische Umgebung lernen können.

Dirk Eidemüller

Illustration eines Sterns, um ihn herum auf einer Ebene mehrere Kringel, links oben und rechts unten davon violettte Flächen

NASA/Goddard Space

Welt der Physik: Die Teleskopanlage H.E.S.S. befindet sich im Khomashochland in Namibia und besteht aus fünf großen Teleskopen. Was untersuchen Astronominnen und Astronomen mit dem Observatorium?

Porträt der Wissenschaftlerin Kathrin Egberts

Kathrin Egberts

Katrin Egberts: H.E.S.S. ist kein gewöhnliches optisches Teleskop, mit dem man etwa ferne Galaxien oder Sterne ablichtet. Sondern man kann damit nach Spuren von hochenergetischen Teilchen der kosmischen Strahlung suchen. Wenn solche Teilchen nämlich auf die oberen Atmosphärenschichten treffen, erzeugen sie sogenannte Luftschauer. Diese bestehen aus zahlreichen Sekundärteilchen, die durch das Auftreffen der Teilchen erzeugt werden. Dabei entsteht auch ein kurzer Lichtblitz in der Atmosphäre, den man in dunklen Nächten mit einem Teleskopsystem wie H.E.S.S. nachweisen kann. Wir schauen mit unseren Teleskopen also nicht zu fernen Sternen, sondern auf die Erdatmosphäre, um etwas über den Kosmos zu lernen. Man nennt solche Teleskopsysteme nach dem Entdecker dieser Lichtblitze auch Tscherenkow-Teleskope.

Die kosmische Strahlung besteht aus hochenergetischen Teilchen, wie etwa Elektronen oder Atomkerne. Welche Teilchen untersuchen Sie mit H.E.S.S.?

Normalerweise interessieren wir uns für die Gammastrahlung, also für äußerst hochenergetische Photonen. Die Photonen stammen von extremen kosmischen Quellen – genau wie die anderen Teilchen der kosmischen Strahlung, also hochenergetische Protonen, Atomkerne, Elektronen oder Positronen, das sind die positiv geladenen Antiteilchen von Elektronen. Zu solchen Quellen zählen etwa die Überreste von Supernovae, Pulsare oder die Akkretionsscheiben von Schwarzen Löchern.

Warum interessieren Sie sich vor allem für die Gammastrahlung?

Die hochenergetische kosmische Strahlung prasselt aus allen möglichen Richtungen auf die Erdatmosphäre. Das liegt daran, dass geladene Teilchen wie Protonen, Elektronen oder Positronen von den galaktischen Magnetfeldern abgelenkt werden. Man kann ihre Ursprungsrichtung deshalb nicht ermitteln. Nur die Gammastrahlen kommen direkt von ihrer Quelle zu uns. Dadurch können sie uns etwas über die Prozesse an ihrem Ursprungsort verraten – etwa wie mächtig die Magnetfelder dort sind oder wie aktiv die Quelle ist.

Modell der H.E.S.S.-Teleskopanlage: Mehrere Parabolantennen auf der Erdoberfläche, in der Mitte des Bildes wird eine Antenne mit einem Lichtkegel besonders hervorgehoben. An der Spitze des Lichtkegels befindet sich ein blitzartiges Gebilde.

Teleskopanlage H.E.S.S.

Aber für Ihre aktuellen Beobachtungen waren Gammastrahlen nicht relevant?

Nein, wir haben uns jetzt mit einem anderen Teil der kosmischen Strahlung beschäftigt. Um Gammastrahlung zu untersuchen, schauen wir genau in Richtung der Quellen. Für die neue Analyse haben wir stattdessen die kosmische Strahlung abseits der bekannten Quellen untersucht. Aus diesen Richtungen erwarten wir nämlich keine nennenswerte Gammastrahlung. Stattdessen besteht die kosmische Strahlung aus diesen Richtungen großteils aus Protonen und einigen schweren Atomkernen. Zu einem kleinen Teil besteht sie aber auch aus leichten Elektronen und Positronen. Diese haben wir jetzt gezielt gesucht.

Worin bestand die Schwierigkeit beim Nachweis dieser Teilchen?

Bei sehr hohen Energien von rund einem Teraelektronenvolt kommen auf ein Elektron oder Positron rund 1000 Protonen. Und bei noch höheren Energien wird das Verhältnis noch schlechter. Man braucht also eine sehr ausgefeilte Analysetechnik, um die Elektronen und Positronen von den Protonen in den Daten zu trennen. Das ist unserem Team jetzt sehr gut gelungen, sodass wir in unserer Studie die Energieabhängigkeit der Elektronen in der kosmischen Strahlung erstmals statistisch klar auswerten konnten. Dabei haben wir die höchstenergetischen Elektronen gefunden, die je in der kosmischen Strahlung gemessen wurden – sie hatten eine Energie von bis zu 40 Teraelektronenvolt. Das entspricht rund 40 Billionen Mal der Energie von gewöhnlichen Lichtteilchen.

Was lässt sich aus den Ergebnissen über die möglichen Quellen dieser Elektronen herausfinden?

Wir sehen in der Elektronenstrahlung keinen besonderen Hinweis auf hochenergetische Quellen in unserer galaktischen Nachbarschaft. Die Elektronen können aber auch nicht aus allzu großer Distanz stammen. Denn im Gegensatz zu den Protonen verlieren die leichten Elektronen und Positronen relativ schnell ihre Energie durch Kollisionen im dünnen interstellaren Medium. Sie stammen also aus einer Entfernung von einigen hundert bis tausend Lichtjahren. In dieser Distanz muss es also einige Quellen geben, die Elektronen auf so hohe Energie bringen. Allerdings können wir keine einzelnen Quellen in den Daten identifizieren.

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Neben der Suche nach hochenergetischen Teilchen sind Sie und Ihr Team auch mit der Weiterentwicklung von Tscherenkow-Teleskopen beschäftigt. Womit beschäftigen Sie sich dabei genau?

Gegenwärtig ist das große, internationale Projekt CTAO auf dem Weg, die Abkürzung steht für „Cherenkov Telescope Array Observatory“. Es soll aus mehr als 60 Großteleskopen bestehen – unter anderem dem H.E.S.S.-Observatorium – und wird damit das mit Abstand größte Tscherenkow-Teleskop weltweit sein. Hierzu entwickeln wir den sogenannten Transients Handler. Das ist ein automatisches System, mit dem sehr schnelle Prozesse am Himmel ausgewertet werden können. Wenn etwa spezielle Teleskope, die den ganzen Himmel beobachten, etwas Spannendes detektieren, schicken sie einen Alarm raus. Dann müssen wir uns überlegen, ob wir das CTAO-Teleskopsystem in diese Richtung schwenken. Um das schnell zu entscheiden, ist der Transients Handler mit anderen Teleskopsystemen auf der ganzen Welt verbunden.

Und das geschieht automatisiert?

Man hat nicht viel Zeit zum Überlegen – manche Prozesse sind schnell wieder vorbei. Und es dauert eine Weile, bis große Teleskope umgeschwenkt sind. Deshalb gleicht der Transient Handler die eingehenden Alarme mit einer Datenbank ab und entscheidet dann, ob es sich lohnt, ein kurzfristig aufgetauchtes Phänomen zu untersuchen. Denn solche Kurzzeit-Ereignisse sind zwar schwer zu untersuchen, geben aber dennoch einige spannende Rätsel auf, die wir gerne ergründen möchten.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt „CTA: Cherenkov Telescope Array. Teilprojekt 3“ im Zeitraum von Juli 2023 bis Juni 2026 mit rund 208 000 Euro.

Fördersumme: 207 932 Euro

Förderzeitraum: 01.07.2023 bis 30.06.2026

Förderkennzeichen: 05A23IP1

Beteiligte Institutionen: Universität Potsdam

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/astro-und-astroteilchenphysik/gezielt-nach-hochenergetischen-elektronen-gesucht/