„Umgebung von Schwarzen Löchern besser verstehen“

Dirk Eidemüller

Spiralförmiges, helles Gebilde im All

NASA/ESA/A. van der Hoeven

Mit dem IceCube-Observatorium am Südpol sind Forscher bereits seit mehr als zehn Jahren auf der Suche nach hochenergetischen Neutrinos aus den Tiefen des Weltalls. Nun haben Astrophysiker erstmals eine Neutrinoquelle in unserer direkten kosmischen Nachbarschaft aufgespürt: In den gesammelten Daten wurden etwa 80 Neutrinos aus der Spiralgalaxie NGC 1068, auch bekannt als Messier 77, entdeckt. Vermutlich stammen die Neutrinos aus der Umgebung des aktiven Galaxienkerns – einem gigantischen Schwarzen Loch mit einer Masse von etwa 100 Millionen Sonnenmassen. Im Interview mit Welt der Physik erzählt Elisa Resconi von der Technischen Universität München, was diese Entdeckung für die Neutrinoastronomie bedeutet.

Porträt der Wissenschaftlerin Elisa Resconi

Elisa Resconi

Welt der Physik: Was genau haben Sie in den Daten von IceCube gefunden?

Elisa Resconi: Wir haben insgesamt rund 80 Neutrinos hoher Energie in den Daten von IceCube nachweisen können, die aus der Galaxie Messier 77 stammen. Das klingt im ersten Augenblick nicht nach besonders viel – vor allem wenn man berücksichtigt, dass wir hierzu die Daten aus zehn Jahren Laufzeit von IceCube durchforsten mussten. Noch dazu gab es die Schwierigkeit, dass ständig aus allen möglichen Richtungen hochenergetische kosmische Strahlung auf die obersten Schichten der Erdatmosphäre trifft, wobei ebenfalls Neutrinos entstehen. Der zentrale Teil unserer Analyse bestand deshalb darin, Verfahren zu entwickeln, um die Neutrinos, die erst in der Atmosphäre entstehen, von den Neutrinos zu unterscheiden, die von kosmischen Quellen stammen.

Wie sicher sind Sie, dass diese 80 Neutrinos wirklich aus der Galaxie Messier 77 stammen?

In der Teilchenphysik hat sich der Sprachgebrauch durchgesetzt, erst bei einer statistischen Signifikanz von fünf Sigma von einer Entdeckung zu sprechen. Denn dann ist die Wahrscheinlichkeit für einen Irrtum geringer als eins zu drei Millionen. Die neuen Daten von IceCube liegen bei gut vier Sigma, was man als starken Hinweis deuten kann. Eine Signifikanz von fünf Sigma werden wir vermutlich erst mit einigen zusätzlichen Jahren Beobachtungszeit erreichen. Aber niemand von den beteiligten Forschern hat Zweifel daran, dass die nachgewiesenen Neutrinos von Messier 77 kommen. Es gibt nämlich auch keine andere plausible Quelle in der Umgebung.

Haben Sie mit IceCube schon andere Neutrinoquellen aufspüren können?

Laborgebäude auf schneebedeckter Fläche unter einem Sternenhimmel.

Das IceCube-Observatorium

Schon in der Vergangenheit gab es Hinweise auf hochenergetische Neutrinos aus kosmischen Quellen – also von Neutrinos, die nicht von unserer Sonne oder einer anderen Quelle in der Milchstraße stammen. Bei diesen Neutrinoquellen handelt es sich aber um sehr weit entfernte Blazare. Das sind supermassereiche Schwarze Löcher im Zentrum von Galaxien, die einen hochenergetischen Teilchenjet ausstoßen, der genau in unsere Richtung zeigt. Wir gehen davon aus, dass die Teilchen in diesem Jet auf extreme Energien beschleunigt werden und dann sehr hochenergetische Neutrinos erzeugen, wenn sie auf andere Materie stoßen. Dies würde dann einen starken Strom energiereicher Neutrinos erzeugen, die sich mit Observatorien wie IceCube auch auf der Erde nachweisen lassen. Der aktive Galaxienkern von Messier 77 hat hingegen nur einen sehr schwachen Jet, der nicht in unsere Richtung zeigt. Die 80 detektierten Neutrinos stammen also nicht aus dem Jet, sondern müssen einen anderen Ursprung haben.

Woher könnten die Neutrinos stattdessen stammen?

Die von uns nachgewiesenen Neutrinos haben Energien im Bereich etlicher Teraelektronenvolt. Das entspricht der Energie eines Elektrons, das eine Spannung von einer Billion Volt im Vakuum durchläuft. Derart hohe Energien werden nicht durch gewöhnliche Fusionsreaktionen im Inneren von Sternen erreicht. Eine mögliche Quelle wären Supernovae und ihre Überreste. Messier 77 hat eine hohe Sternentstehungsrate, was üblicherweise bedeutet, dass auch viele massereiche Sterne entstehen, die relativ bald in einer Supernova enden und einen sogenannten Supernovaüberrest hinterlassen. Das sind die expandierenden Gasblasen, die entstehen, wenn die Schockfronten der Sternexplosion auf das interstellare Medium treffen. Eigentlich senden diese Supernovae und ihre Überreste dann starke Gammastrahlung aus. Doch wir haben diese Strahlung bei M77 nicht beobachtet. Wir vermuten deshalb, dass die Neutrinos aus dem Zentrum der Galaxie selbst stammen – also aus der Umgebung des supermassereichen Schwarzen Lochs.

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Kann die neue Entdeckung also einen Einblick in Prozesse liefern, die direkt am Schwarzen Loch stattfinden?

Das ist unsere große Hoffnung. Der direkte Blick auf das Schwarze Loch ist durch eine dicke Gas- und Staubwolke verdeckt. Nur Neutrinos können ungestört den Prozessen rund um das Schwarze Loch entkommen und die Gas- und Staubwolke durchdringen. Dadurch tragen sie Informationen aus dieser ansonsten völlig unzugänglichen Umgebung mit sich. Wir müssen noch lernen, diese Informationen besser zu dekodieren. Das Schöne dabei ist nun, dass Messier 77 nur rund 47 Millionen Lichtjahre von uns entfernt ist und nicht Milliarden von Lichtjahren wie viele Blazare. Wir hoffen deshalb, in Zukunft noch wesentlich mehr Neutrinos von Messier 77 einzufangen. Und da wir jetzt endlich die Quelle identifiziert haben, können wir unsere Methoden weiter verfeinern. Dann lässt sich wahrscheinlich überprüfen, wie gut die theoretischen Modelle zur Umgebung von Schwarzen Löchern mit den Beobachtungen übereinstimmen – oder eben nicht. Damit würde mithilfe der Neutrinoastronomie der Schritt vom bloßen Nachweis von Neutrinoquellen hin zur Analyse der physikalischen Bedingungen der Quellen möglich sein.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt „ICECUBE: Astroteilchenphysik mit dem IceCube Neutrinoteleskop“ im Zeitraum von Juli 2020 bis Juni 2023 mit rund 4,6 Millionen Euro.

Fördersumme: 4 624 876,00 Euro

Förderzeitraum: 01.07.2020 bis 30.06.2023

Förderkennzeichen: 05A20PX2, 05A20UM2, 05A20VK2, 05A20PM2, 05A20WE2, 05A20KH2, 05A20WO3, 05A20PEA, 05A20PC2, 05A20PA1

Beteiligte Institutionen: Universität Wuppertal, Universität Mainz, Karlsruher Institut für Technologie, Universität Münster, Universität Erlangen-Nürnberg, Universität Berlin, Technische Universität München, Technische Universität Dortmund, Universität Bochum, Technische Hochschule Aachen

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/astro-und-astroteilchenphysik/icecube-umgebung-von-schwarzen-loechern-besser-verstehen/