„Die Messung ist ein neuer Rekord“

Timo Ueltzhöffer

Grafik: Zwei sich berührende Kugeln mit einem blauen Kern befinden sich in einem flirrenden Umfeld; eine blaue Linie dringt links ein und rechts wieder aus

Britta von Heintze/Welt der Physik

Innerhalb von Femtosekunden – also dem Millionstel einer Milliardstel Sekunde – bilden sich chemische Bindungen. Für die Vermessung von solchen Zeitskalen erhielt der Chemiker Ahmed Zewail im Jahr 1999 den Nobelpreis. Und vor sieben Jahren beobachteten Wissenschaftler erstmals Prozesse in Gasatomen, die innerhalb noch kürzerer Zeit – von Attosekunden – stattfinden. Nun entdeckten Forscher einen noch schnelleren Prozess, während sie Wasserstoffmoleküle mit den energiereichen Lichtteilchen der Synchrotronquelle PETRA III am Forschungszentrum DESY in Hamburg beschossen. Im Interview mit Welt der Physik erzählt Reinhard Dörner von der Universität Frankfurt, wie die Messung der bislang kürzesten Zeitspanne gelang.

Welt der Physik: Sie untersuchen die Wechselwirkung von Licht mit Materie. Was kann man sich darunter vorstellen?

Porträt des Wissenschaftlers Reinhard Dörner

Reinhard Dörner

Reinhard Dörner: Licht kann unter anderem seine Energie an Materie abgeben. Das machen wir uns beispielsweise zunutze, wenn wir mit Sonnenenergie etwas erhitzen. Aber Licht übt auch eine Kraft, sozusagen einen Schub, auf Teilchen aus. Doch was passiert, wenn ein Lichtteilchen auf ein einzelnes Atom oder Molekül trifft? Diese Frage haben sich Physiker schon seit den 1920er-Jahren gestellt und nach hundert Jahren sind wir jetzt zum ersten Mal in der Lage, solche Prozesse detailliert im Labor zu untersuchen. Einen Teilaspekt, nämlich die Auswirkungen einzelner Lichtteilchen auf ein Molekül, haben wir in unserem Experiment beobachtet.

Wie haben Sie diesen Prozess experimentell untersucht?

Zunächst schießen wir mit Röntgenlicht auf einzelne Wasserstoffmoleküle. Solche energiereichen Lichtteilchen erhalten wir etwa an der Synchrotronquelle PETRA III am Forschungszentrum DESY. Trifft ein Lichtteilchen auf das Molekül, löst es Elektronen aus dem Molekül heraus – wir nennen das Ionisation. Um diesen Vorgang im Molekül genauer zu untersuchen, haben wir in den letzten Jahren das Messinstrument COLTRIMS entwickelt. Mit diesem sogenannten Reaktionsmikroskop können wir sowohl jedes einzelne, herausgeschlagene Elektron als auch den Rest des Moleküls detektieren.

Und was genau haben Sie beobachtet?

Ein Molekül hat eine gewisse räumliche Ausdehnung, wobei sich die Elektronen um die Atomkerne in sogenannten Orbitalen aufhalten. Ein Elektron hält sich nach den Gesetzen der Quantenmechanik immer nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit an einem bestimmten Ort auf. Nun haben wir uns gefragt, ob das Molekül beziehungsweise ein Elektron an verschiedenen Seiten gleichzeitig auf das Lichtteilchen reagiert. Und tatsächlich haben wir in unserem Experiment beobachtet, dass das Elektron auf einer Seite des Moleküls früher als auf der anderen herausgelöst wird.

Grafik des Versuchsaufbaus: geöffnete Röhre, deren Mitte zwei Spirallinien umhüllen; ein leuchtendes Teilchen bewegt sich von links in die Mitte, wird dort von einem Lichtstrahl so abgelenkt, dass es in Spirallinien auf ein Ziffernblatt am anderen Ende der Röhre zufliegt.

Reaktionsmikroskop

Wodurch entsteht diese Zeitdifferenz?

Sie entsteht dadurch, dass das Elektron an verschiedenen Orten herausgelöst werden kann. Das Lichtteilchen löst also mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit ein Elektron auf der einen Seite und mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit dasselbe Elektron am anderen Ende heraus. Den Effekt den wir beobachten, können Sie sich mit einem flachen Stein veranschaulichen, den Sie über Wasser werfen. Jedes Mal, wenn der Stein auf die Oberfläche trifft, löst er Wellen aus, die sich auf dem Wasser kreisförmig ausbreiten. Der Stein entspricht in diesem Bild dem Lichtteilchen und die beiden kreisförmigen Wellen wären das Elektron, das durch das Photon mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit herausgelöst wird. Und die sich ausbreitenden Wasserwellen sind in diesem Bild das, was wir in unseren Experimenten messen. Die beiden Wellen überlagern sich und es entsteht ein sogenanntes Interferenzmuster, das unter anderem davon abhängt, wann die beiden Wellen jeweils ausgelöst wurden. In unseren Experimenten haben wir nun das Interferenzmuster der zwei sich überlagernden Elektronenwellen gemessen und daraus den Zeitunterschied berechnet.

Haben Sie damit gerechnet, einen Zeitunterschied zu messen?

Nein, dass das Elektron zeitversetzt aus dem Wasserstoffmolekül herausgeschlagen wird, war überraschend. Ich denke, die meisten meiner Kollegen hätten vor diesem Experiment gewettet, dass das zeitgleich passiert. Und die Zeitspanne zwischen der Reaktion des Moleküls auf ein Lichtteilchen an den Enden des Moleküls ist genau so lange, wie das Lichtteilchen braucht, um durch das Molekül zu fliegen. Und weil das Molekül so klein und das Lichtteilchen sehr schnell ist, ist diese Zeit extrem kurz. Die Messung ist sogar ein neuer Rekord. Wir haben also die bislang kürzeste Zeitspanne gemessen – 247 Zeptosekunden. Eine Zeptosekunde entspricht dem Billionstel einer Milliardstel Sekunde.

Vier junge Männer und eine junge Frau vor einem großen Apparat

Das Forscherteam vor dem Reaktionsmikroskop

Was sind die nächste Schritte Ihrer Forschung?

Wir haben diesen Effekt jetzt für das einfachste Molekül überhaupt gezeigt – das Wasserstoffmolekül. Natürlich gibt es noch viele komplexere Moleküle. Insbesondere in Biomolekülen, die für zahlreiche Prozesse in unserem Leben wichtig sind, sind die physikalischen Mechanismen deutlich komplizierter. Dieser herausfordernden Aufgabe wollen wir uns nun als nächstes widmen. Außerdem spielt der Prozess auch für andere Forschungsgebiete – zum Beispiel für die Astrophysik – eine Rolle. Denn dort findet in interstellaren Wolken der gleiche Prozess mit Gasmolekülen statt.


Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt „Wechselwirkung von XUV-Strahlung mit kleinen Quantensystemen bei PIPE – Avancierte Methoden und innovative Instrumentierung. Teilprojekt 3: ARPES for molecules – A High energy COLTRIMS“ im Zeitraum von Juli 2019 bis Juni 2022 mit rund 320 000 Euro.

Fördersumme: 319 063 Euro

Förderzeitraum: 01.07.2019 bis 30.06.2022

Förderkennzeichen: 05K19RF2

Beteiligte Institutionen: Universität Frankfurt am Main

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/erforschung-kondensierter-materie/die-messung-ist-ein-neuer-rekord/