Erforschung der Gelenkflüssigkeit im Projekt JOINT

Franziska Konitzer

Blick entlang des Speicherrings PETRA III mit Ablenkmagneten (blau), Fokussiermagneten (rot) und Undulatoren (gelb) im Bereich der Experimentierhalle.

Im Rahmen des Projekts JOINT untersuchen Forscher des Helmholtz-Zentrums Geesthacht und der schwedischen KTH in Stockholm, wie die besonderen Eigenschaften der Gelenkflüssigkeit zustande kommen. Dazu bilden sie die Flüssigkeit unter realistischen Druck- und Scherbedingungen mithilfe von intensivem Röntgenlicht ab und erforschen so das Verhalten und die Wechselwirkungen ihrer Bestandteile.

Die Gelenkflüssigkeit, auch Synovialflüssigkeit genannt, dämpft im Zusammenspiel mit dem Gelenkknorpel Stöße ab und ermöglicht buchstäblich einen reibungslosen Ablauf: Sie liegt wie ein Schmiermittel auf dem Gelenkknorpel und verringert dort die Reibung so effizient wie keine andere natürliche oder künstlich hergestellte Flüssigkeit. Gleitet beispielsweise Stahl auf Eis, ergibt sich ein Reibungskoeffizient von 0,01. Der Reibungskoeffizient der Gelenkflüssigkeit beträgt dagegen lediglich rund 0,003.

Und obwohl die Gelenkflüssigkeit tagtäglich Belastungen ausgesetzt ist, erfüllt sie ihre Funktion normalerweise ein ganzes Leben lang. Kein Wunder also, dass diese zähe, leicht gelbliche Flüssigkeit das Interesse von Forschern auf sich zieht, die verstehen wollen, wie diese besondere Eigenschaft zustande kommt.

Dabei ist die Zusammensetzung der Synovialflüssigkeit längst bekannt. Sie besteht zu 94 Prozent aus Wasser und enthält darüber hinaus Hyaluronsäure, Lipide, Proteine sowie Glykoproteine. Das Zusammenspiel der einzelnen Komponenten ist aber mehr als die Summe ihrer Teile, wie Florian Wieland vom Institut für Werkstoffforschung am Helmholtz-Zentrum Geesthacht betont: „Die Bestandteile können zwar alle für sich Reibung reduzieren. Sie wechselwirken aber auch alle miteinander und können es einzeln nicht schaffen, die Reibung so stark zu reduzieren, wie man das im eigentlichen Gelenk beobachten kann.“

Mehr als die Summe der Teile

Was Wissenschaftlern aber derzeit fehlt, ist ein detailliertes Wissen, wie sich die einzelnen Komponenten unter Arbeitsbedingungen verhalten und wie genau sie miteinander interagieren. Dieses Wissen könnte beispielsweise bei Therapieansätzen für beschädigte Gelenke eine große Rolle spielen. „Bei kaputten Gelenken besteht eine gängige Therapie darin, Hyaluronsäure zu spritzen“, berichtet Wieland. „Patienten haben berichtet, dass ihre Schmerzen reduziert werden und der Effekt bis zu einem Jahr anhalten kann. Aber wir wissen nicht, was da eigentlich passiert.“

Deshalb wollen Forscher im Rahmen des Verbundprojekts JOINT des Bundesministeriums für Bildung und Forschung den strukturellen Gründen für die hohe Funktionalität der Gelenkflüssigkeit auf die Spur kommen. Forscher des Helmholtz-Zentrums Geesthacht sowie der Königlich-Technischen Hochschule in Stockholm verfolgen dabei einen grundlegenden Ansatz: Sie untersuchen nicht die gesamte Gelenkflüssigkeit, sondern vermessen gezielt das Verhalten der einzelnen Komponenten wie etwa der Lipide oder der Proteine. „Die Synovialflüssigkeit als Ganzes zu untersuchen, ist nicht möglich, da das System zu komplex ist. Es enthält zum Beispiel viele verschiedene Lipide. Wenn wir uns also das Komplettsystem anschauen würden, wüssten wir gar nicht, welcher Teil was macht“, erläutert Wieland.

Die Detailaufnahme zeigt einen Teil des Mikrofluidikchips, der im Rahmen des JOINT-Projekts von Wissenschaftlern des Helmholtz-Zentrums Geesthacht entwickelt worden ist. Sie zeigt die Verengung von hundert Mikrometer auf zehn Mikrometer.

Der im Rahmen von JOINT entwickelte Mikrofluidikchip

Die Gruppe um Regine Willumeit-Römer, der auch Florian Wieland angehört, konzentriert sich vor allem auf die Entwicklung zweier Probenumgebungen. Als Teil eines Versuchsaufbaus schafft eine Probenumgebung die idealen Bedingungen, um den Forschungsgegenstand – in diesem Fall also die einzelnen Bestandteile der Gelenkflüssigkeit – präzise zu untersuchen. Der Fokus der schwedischen Gruppe liegt vornehmlich darauf, das Verhalten der Komponenten an Grenzflächen zu erforschen. Dafür vermessen die Wissenschaftler mithilfe von Rasterkraftmikroskopen die Reibungskräfte auf mikroskopischen Skalen.

„Bei dieser Art der Mikroskopie befindet sich an der Spitze der Mikroskopsonde, mit der die Probe abgetastet wird, eine kleine Kugel aus Siliziumdioxid“, erklärt Wieland. „Diese Kugel kann auf die Schichten in der Probe drücken und an ihnen reiben und dadurch lässt sich untersuchen, wie stabil solche Schichten sind.“ Auf diese Weise haben die Wissenschaftler unter anderem Lipidschichten untersucht, die sich in der Gelenkflüssigkeit vor allem an den Grenzoberflächen zum Knorpel anordnen. Dabei fanden sie heraus, dass diese Lipidschichten zwar über eine Temperaturspanne von 25 bis 52 Grad Celsius ihren niedrigen Reibungskoeffizienten beibehalten, das sie aber je nach Temperatur in einer kondensierten oder sogenannten Gelphase vorliegen. „Wenn die Lipidschichten in der flüssigen Phase sind, sind sie wesentlich stabiler gegenüber dem Druck der Kugel und gehen auch nicht so schnell kaputt“, so Wieland. „Das liegt wahrscheinlich daran, dass sie in der flüssigen Phase beweglicher sind.“

Parallel dazu entwickelte die Gruppe um Willumeit-Römer zwei Probenumgebungen, in denen die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Protein- und Polymermischungen unter den Arbeitsbedingungen des Gelenks beobachtet werden können. Einer der beiden Versuchsaufbauten ist ein winziger Chip, mit dem sich das Verhalten von Flüssigkeiten auf mikroskopischen Größenskalen untersuchen lässt. „Der Mikrofluidikchip besteht aus einem Kanal, der sich von hundert Mikrometer auf zehn Mikrometer verengt“, erzählt Wieland. „Aufgrund der Verengung entsteht ein Scherfeld, es herrschen also unterschiedliche Scherraten. In unseren Experimenten haben wir den Kanal abgerastert, also an verschiedenen Punkten im Kanal und damit bei unterschiedlichen Scherraten gemessen.“

Mit Synchrotronlicht auf Spurensuche

Dabei erfordern die winzigen Dimensionen des Chips und der Proben besondere Messtechniken. Die Wissenschaftler nutzen dabei die Röntgenkleinwinkelstreuung. Bei diesem Verfahren dringen Röntgenphotonen durch das zu untersuchende Material und werden dabei geringfügig abgelenkt – aus dem resultierenden Beugungsbild lassen sich dann Rückschlüsse auf die Probe ziehen. „Mit dieser Technik kann die äußere Struktur von Proteinen oder Polymeren untersucht werden. Somit können wir sehen, ob sich einzelne Proteine zu einem Cluster verbinden und wie diese Komplexe unter verschiedenen Bedingungen ihre Form verändern, aber man braucht dafür gut fokussierte Röntgenstrahlen, sagt Wieland. Denn wie genau die Wissenschaftler die Scherraten messen können, hängt davon ab, wie präzise der Röntgenstrahl auf eine bestimmte Stelle im Mikrofluidikchip fokussiert werden kann.

Die Aufnahme zeigt den Versuchsaufbau mit dem Rheometer, hier aufgebaut an der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) in Grenoble, Frankreich.

Versuchsaufbau mit Rheometer

Aus diesem Grund nutzen die Forscher die leistungsstarke Röntgenquelle PETRA III am Forschungszentrum DESY in Hamburg: In einem Ringbeschleuniger werden dort Elektronen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und auf eine Slalombahn gelenkt. Dabei senden die Teilchen sogenanntes Synchrotronlicht aus – besonders intensives Röntgenlicht. Der resultierende Strahl ist extrem kurz gepulst und weist einen winzigen Durchmesser auf, was ihn sehr gut kontrollierbar macht.

Die ersten Experimente mit dem Mikrofluidikchip haben Wieland und seine Kollegen bereits durchgeführt und darin unter anderem die typischen Proteine der Synovialflüssigkeit hohen Scherraten ausgesetzt. „Proteine können sich in der Flüssigkeit verbinden und so Cluster bilden“, berichtet Wieland. „Unter Scherung können diese Cluster destabilisiert oder zerstört werden. Und das war bislang noch nicht bekannt.“

Der zweite Versuchsaufbau befindet sich derzeit in der Testphase. Er besteht aus einem Messgerät, mit dem sich das Verformungs- und Fließverhalten von Flüssigkeiten erforschen lässt. Die Wissenschaftler mussten dieses sogenannte Rheometer so umbauen, dass es mit den Messstationen an PETRA III kompatibel ist. „Dieser Umbau des Rheometers war sehr aufwendig“, sagt Wieland. „Aber das Besondere daran ist, dass man unter Scherung und unter Druck messen kann.“ Die Tests mit dem Rheometer sind inzwischen abgeschlossen und die wissenschaftlichen Experimente sollen demnächst starten.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/erforschung-kondensierter-materie/erforschung-der-gelenkfluessigkeit-im-projekt-joint/