„Einfluss von Wasserstoff auf Superlegierungen analysieren“
Dirk Eidemüller

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Welt der Physik: Welche materialwissenschaftlichen Herausforderungen bringt das Umstellen auf Wasserstoff mit sich?
Steffen Neumeier: Wasserstoff ist das leichteste und damit auch erste Element im Periodensystem. Er ist sehr reaktiv – Stichwort Knallgasexplosion –, und muss deswegen auch in sehr dichten Behältnissen transportiert und gelagert werden. Dafür bringt Wasserstoff aber auch viele Vorteile mit sich. So entsteht bei seiner Verbrennung nur Wasser und kein Kohlendioxid. Er kann als Kraftstoff in der Luftfahrt und zur Stromerzeugung verwendet werden und lässt sich auch sehr gut zur Synthese verschiedener Stoffe nutzen. Deshalb zählt Wasserstoff zu den Schlüsselelementen der Energiewende. Wir erforschen gemeinsam in der Kollaboration „H2Mat“ nun aber einen weniger bekannten Aspekt der kommenden Wasserstoffwirtschaft: Denn weil Wasserstoffatome so klein sind, können sie gut in andere Materialien hineindiffundieren und damit deren Eigenschaften ändern. Insbesondere bei metallischen Legierungen kann das zu einer sogenannten Wasserstoffversprödung führen, wodurch die Festigkeit und Belastbarkeit dieser Stoffe stark abnimmt.
Zu welchen Problemen kann das führen?
Bei Verbrennungsprozessen werden Werkstoffe enormen Belastungen ausgesetzt. Die Turbinenschaufeln in einem Düsentriebwerk oder auch die Turbine eines Gaskraftwerks müssen große mechanische Kräfte bei hohen Temperaturen in korrosiven Umgebungen aushalten. Wenn das Material versprödet, kann das zu fatalen Rissen führen. Deshalb hat unsere Forschung insbesondere die sogenannten Superlegierungen im Fokus, die sich durch außerordentlich hohe Festigkeit und Temperaturbeständigkeit auszeichnen. Bei unserem Projekt vergleichen wir deshalb das Verhalten verschiedener Legierungen einmal mit und einmal ohne Wasserstoff im Material.
Wie kommt der Wasserstoff in Ihren Experimenten in das Metall?
Den Wasserstoff bekommen wir auf zweierlei Weisen in das Material, entweder durch elektrochemische Beladung, indem wir den Wasserstoff also mit der Unterstützung eines elektrischen Potenzials in das Material diffundieren lassen. Oder unter einer Hochdruck-Wasserstoffatmosphäre bei hohen Temperaturen in einem sogenannten Autoklav. Bei einem Druck von rund 1000 bar und Temperaturen von 300 Grad Celsius lassen sich auch Superlegierungen mit Wasserstoff nicht nur oberflächennah beladen.
Und was interessiert Sie besonders bei diesen Prozessen?
Anschließend charakterisieren wir die mechanischen Eigenschaften wie etwa die Zugfestigkeit, erforschen aber auch die Mikrostruktur. Das ist besonders wichtig. Denn bislang ist zwar bei vielen Legierungen bekannt, wie sie sich etwa bei hohen Temperaturen verhalten. Aber der Grund für dieses Verhalten liegt in der mikroskopischen Struktur der Werkstoffe, und diese Zusammenhänge sind nur unzureichend verstanden – vor allem, wenn auch noch Wasserstoff ins Spiel kommt. Dann ist ein gutes Verständnis der Mikrostruktur wichtig, um gezielt neue Werkstoffe zu entwickeln, welche die damit einhergehenden Veränderungen möglichst gut vertragen.
Welche Methoden eignen sich für diese Analysen?
Wir nutzen eine ganze Reihe von Verfahren, darunter die klassische optische Mikroskopie und Elektronenmikroskopie, um die Oberflächen von Legierungen zu untersuchen. Wenn man tiefer ins Material hineinschauen möchte, dann bietet sich einerseits Röntgenstrahlung und andererseits Neutronenstrahlung an. Dazu muss man sagen, dass man mit Hilfe von Röntgenstrahlung zwar ein Objekt gut durchleuchten kann, aber viele Erkenntnisse lassen sich nur mit Neutronenstrahlung gewinnen.
Woran liegt das?
Die Neutronen, wie sie etwa vom FRM II in Garching oder vergleichbaren Forschungsreaktoren geliefert werden, sind sehr durchdringend. Man kann mit ihnen ganze Motorblöcke oder große Turbinenschaufeln durchleuchten. Außerdem haben Neutronen eine hohe Wasserstoffabsorption, wodurch dieser gut sichtbar gemacht werden kann. Das liefert wichtige Einblicke, wie sich der Wasserstoff in dem Werkstoff verteilt.
Was haben Sie bei diesen Messungen herausgefunden?
Wenn Wasserstoff in eine Legierung eindringt, lagert er sich vorzugsweise an bestimmten Stellen an, etwa an bestimmten Plätzen im Kristallgitter wie den Korngrenzen, an denen sich die Orientierung der Kristalle abrupt ändert. Je nachdem, um was für ein Kristallgitter es sich bei einer bestimmten Legierung handelt, kann die Menge an aufgenommenem Wasserstoff und die Geschwindigkeit, mit der das passiert, deutlich variieren. Grundsätzlich führt das Eindringen von Wasserstoff dazu, dass sich das Kristallgitter ein wenig aufweitet. Das bewirkt die erwähnte Wasserstoffversprödung. Aber dieser Effekt kann sehr unterschiedlich sein. Bei einer experimentellen Legierung etwa haben wir eine massiv verschlechterte Bruchdehnung beobachtet, welche die Verformbarkeit eines Werkstoffs bis zum Bruch beschreibt – der Werkstoff war also praktisch unbrauchbar geworden. Bei einer der heute kommerziell verfügbaren Superlegierungen war die Versprödung hingegen eher geringfügig.
Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus ziehen?
Die Legierungszusammensetzung und die resultierende Mikrostruktur der Superlegierungen scheinen einen sehr großen Einfluss auf die Wasserstoffversprödung zu haben. Es gibt noch viele offene Fragen, die wir in den kommenden Forschungsprojekten angehen wollen, da Superlegierungen aus bis zu 15 verschiedenen Legierungselementen bestehen und geringfügige Unterschiede in den komplexen chemischen Zusammensetzungen zu völlig anderen Werkstoffeigenschaften führen können. Wenn nun etwa in einer Brennkammer und der Turbine noch der Faktor Wasserstoff ins Spiel kommt, dann können die eingesetzten Werkstoffe durchaus ein anders Verhalten zeigen, als wir es bisher gewohnt sind. Aber die experimentellen Methoden haben sich bislang gut bewährt, deshalb bin ich sehr zuversichtlich, dass wir noch viele spannende Erkenntnisse gewinnen werden.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert den Verbund „H2Mat: Ein Gerät zur Untersuchung des Einflusses der Wasserstoffbe- und -entladung für industriell entwickelte und verwendete Legierungen. Teilprojekt 2.“ im Zeitraum von Oktober 2022 bis September 2025 mit rund 650 000 Euro.
Fördersumme: 647 714 Euro
Förderzeitraum: 01.10.2022 bis 30.09.2025
Förderkennzeichen: 05K22WE1
Beteiligte Institutionen: Universität Erlangen-Nürnberg
Neutronenquelle FRM II
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Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/erforschung-kondensierter-materie/materialforschung-einfluss-von-wasserstoff-auf-superlegierungen-analysieren/