„Neue Materialien unter ultrahohem Druck“
Katharina Luckner
Presst man beispielsweise Gase und Metalle bei hohen Temperaturen und unter hohem Druck zusammen, entstehen neue Materialien mit interessanten Strukturen und besonderen Eigenschaften. Einige dieser neuen Materialien lassen sich in Zukunft möglicherweise für die Raumfahrt nutzen, andere könnten den verlustfreien Transport von Energie ermöglichen. Im Interview mit Welt der Physik erklärt Natalia Dubrovinskaia von der Universität Bayreuth, wie sie und ihr Team solche Materialien erzeugen und untersuchen.
Welt der Physik: Warum interessieren Sie sich für die Synthese von neuen Materialien bei hohem Druck?
Natalia Dubrovinskaia: Die Synthese von neuen Materialien unter hohem Druck und bei hoher Temperatur hat bereits eine lange Geschichte. Am Anfang des 20. Jahrhunderts haben Fritz Haber und Carl Bosch unter einem Druck von 200 Atmosphären und bei einer Temperatur von 500 Grad Celsius zum ersten Mal Ammoniak aus Stickstoff und Wasserstoff hergestellt. Ammoniak hat als Grundlage für viele Düngemittel die Landwirtschaft revolutioniert. Jahrzehnte später ist es Forschern bei einem Druck von 55 000 Atmosphären und einer Temperatur von 1500 Grad Celsius gelungen, Diamanten aus Graphit herzustellen. Heute werden etwa 90 Prozent aller Diamanten, die für technische Zwecke verwendet werden, synthetisiert. Je höher der Druck, desto vielfältigere Materialien können synthetisiert werden – in unseren Experimenten erreichen wir Drücke von mehreren Millionen Atmosphären und Temperaturen von mehreren Tausenden Grad Celsius.
Für welche Materialien interessieren Sie sich besonders?
Im Fokus unserer Hochdruckforschung stehen Verbindungen aus Metallen mit Wasserstoff und Stickstoff. Verbindungen, die eine ungewöhnlich große Menge an Wasserstoff enthalten – sogenannte Polyhydride – können unter geeignet hohen Drücken und bei hohen Temperaturen beispielsweise supraleitend werden. Ein anderes Beispiel sind Polynitride – Stickstoffverbindungen, in denen mehrere Stickstoffatome durch einfache Bindungen verkettet sind. Diese Materialien speichern sehr viel Energie und können diese bei Bedarf sehr schnell wieder freisetzen. Solche Hochenergiematerialien sind zukunftsweisend in der modernen Physik, Chemie und den Materialwissenschaften.
Wofür könnten diese Eigenschaften nützlich sein?
Im Vergleich zu den effizientesten Sprengstoffen können einige der neuen Hochenergiematerialien bei gleichem Volumen ein Mehrfaches an Energie freisetzen. Wenn wir diese Stoffe in den entsprechenden Mengen herstellen könnten, würde das beispielsweise die Antriebstechnologie in der Raumfahrt revolutionieren. Allerdings lassen sich momentan aufgrund des hohen Drucks und der hohen Temperaturen keine großen Mengen synthetisieren. Um das zukünftig zu ändern, müssen wir zunächst den Entstehungsprozess und die Zusammensetzung der Materialien genauer verstehen.
Wie lassen sich diese Materialien denn herstellen?
Verbindungen dieser Art sind schwierig zu synthetisieren, da sie äußerst instabil sind. Unter extrem hohen Drücken und Temperaturen können wir aber Polynitride synthetisieren, die auch unter normalen Raumbedingungen stabil bleiben. Dafür geben wir Stickstoff zusammen mit einem Metall in eine Diamantenstempelzelle. Das ist ein Apparat aus zwei Diamanten, zwischen denen die mikroskopisch kleine Probe extrem fest zusammengepresst wird – so entsteht der hohe Druck. Die hohen Temperaturen erzeugen wir mithilfe von kurzen Laserpulsen, die ihre Energie an die Probe abgeben. Aufgrund des hohen Drucks und der hohen Temperaturen verändert sich dann die Probe in der Stempelzelle. Und diese Veränderungen und das Endprodukt schauen wir uns an.
Wie untersuchen Sie die Struktur des hergestellten Materials?
Die Kristallstrukturen der Materialien lassen sich mithilfe der Röntgenbeugung untersuchen. Dafür schießt man Röntgenstrahlung mit ganz speziellen Eigenschaften auf das Material. Anhand des dabei entstehenden charakteristischen Beugungsmusters lässt sich auf die Struktur des Materials zurückschließen. Bei der Synthese unter hohem Druck in der Diamantstempelzelle entsteht ein Pulver aus sehr vielen einzelnen kleinen Kristallen, wodurch sehr viel kompliziertere Beugungsmuster entstehen. Wir mussten daher erst einmal eine Methode entwickeln, mit der wir von dem komplexen Muster auf die Struktur der einzelnen Kristalle im Pulver schließen können.
Wo führen Sie diese Experimente durch?
Wir führen unsere Experimente an der Synchrotronquelle PETRA III am Forschungszentrum DESY in Hamburg durch. Die dort erzeugte intensive und gebündelte Röntgenstrahlung hat die speziellen Eigenschaften, die wir für unsere Experimente benötigen. Wir haben für unsere Experimente einen einzigartigen Versuchsaufbau geschaffen, mit dem wir uns mittlerweile nicht nur die Struktur des Endprodukts genau anschauen, sondern auch den Entstehungsprozess beobachten können. Das System steht seit 2017 allen Synchrotronnutzern am DESY zur Verfügung.
Wie geht es mit Ihrer Forschung weiter?
Wir haben gerade ein Gerät für PETRA III gebaut, das es ermöglicht, Diamantstempelzellen mit Wasserstoff zu füllen. Dort werden wir uns Verbindungen von Metallen mit Wasserstoff – die bereits genannten Polyhydride – unter hohem Druck und bei hohen Temperaturen anschauen können. Außerdem arbeiten wir an einer neuen Apparatur, einer sogenannten doppelstufigen Diamantstempelzelle, zur Messung der Röntgenbeugung bei extrem hohen Drücken, wie sie zum Beispiel im Inneren von Riesenplaneten herrschen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt „Strukturuntersuchungen an Submikronkristallen unter extremen Bedingungen: Einkristall-Röntgenbeugung bei Drücken über 200 GPa und variablen hohen Temperaturen“ im Zeitraum von Juli 2019 bis Juni 2022 mit rund 800 000 Euro.
Fördersumme: 810 476 Euro
Förderzeitraum: 01.07.2019 bis 30.06.2022
Förderkennzeichen: 05K19WC1
Beteiligte Institutionen: Universität Bayreuth
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/erforschung-kondensierter-materie/neue-materialien-unter-ultrahohem-druck/