„Atomkerne besser kennenlernen“
Manuel Kreye
Kurz nach dem Urknall gab es im Universum nur leichte Elemente, vor allem Wasserstoff und Helium. Schwerere Elemente entstanden erst im Lauf von Jahrmilliarden – durch Fusionsprozesse in Sternen und gewaltige Explosionen im Weltall. Um diese Synthese der chemischen Elemente nachzuvollziehen, müssen Physiker zunächst die Struktur der erzeugten Atomkerne genau verstehen. In einem vom Bundesministerium geförderten Projekt wollen verschiedene Gruppen dazu das besonders intensive Laserlicht der im Aufbau befindlichen Extreme Light Infrastructure nutzen. Was diese Forschungsanlage so besonders macht und welche Experimente im Rahmen des Projekts geplant sind, erklärt Andreas Zilges von der Universität Köln im Interview.
Welt der Physik: Was steckt hinter der Extreme Light Infrastructure?
Andreas Zilges: Die Extreme Light Infrastructure oder kurz ELI setzt sich aus mehreren Großforschungsanlagen zusammen, die momentan in Rumänien, Tschechien und Ungarn entstehen. Wissenschaftler können hier mit besonders kurzen und intensiven Laserpulsen untersuchen, wie sich Materie unter bestimmten, extremen Bedingungen verhält. Initiiert wurde die Extreme Light Infrastructure von Gérard Mourou, der dieses Jahr für seine Forschungen in der Laserphysik den Nobelpreis erhalten wird.
Welche Experimente haben Sie an ELI geplant?
Wir möchten an der Forschungsanlage ELI-NP – NP steht für Nuclear Physics, also Kernphysik – Atomkerne untersuchen. Wir betreiben dabei zunächst einmal Grundlagenforschung, bei der wir Atomkerne sehr genau kennenlernen möchten, aber die Ergebnisse spielen beispielsweise auch eine wichtige Rolle bei der Synthese von Elementen in Sternen oder auch bei Anwendungen in der Industrie.
Warum wollen Sie die Experimente an ELI-NP durchführen?
Wir können die Atomkerne dort mithilfe von sehr energiereicher Gammastrahlung untersuchen. Die einstellbare Energie der Gammastrahlung liegt bei einigen Megaelektronvolt und entspricht damit gerade den Energieabständen in einem Atomkern. Wir können einem Atomkern mit dieser Strahlung also zusätzliche Energie zuführen – ihn energetisch anregen, wie wir sagen. Nach einer gewissen Zeit wird der angeregte Atomkern wieder zurück in seinen Grundzustand fallen und dabei ein Photon emittieren. Bei dieser sogenannten Kernresonanzfluoreszenz sendet der Atomkern gewissermaßen seinen Fingerabdruck aus. Den können wir messen und daraus Rückschlüsse auf die Struktur des Atomkerns ziehen. Das war in dieser Qualität so bislang nicht möglich.
Wie lässt sich so ein „Fingerabdruck“ messen?
Die Atomkerne senden nur sehr wenige Photonen aus. Im Vergleich dazu haben wir allerdings sehr viele Photonen im Hintergrund, die aus dem ursprünglichen Gammastrahl kommen und die eigentliche Messung stören. Um dieses Problem in den Griff zu bekommen, brauchen wir eine Reihe sehr empfindlicher Detektoren, die wir zu einem großen Detektorfeld zusammensetzen. Außerdem müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie wir die Messsignale zuverlässig vom Detektor zur Datenanalyse transportieren und auswerten können. Insbesondere mit diesen Aspekten haben wir uns in meiner Arbeitsgruppe in Köln im Rahmen des Verbundprojekts auseinandergesetzt.
Wie weit haben Sie Ihre Ideen bereits umgesetzt?
Die einzelnen Komponenten des Detektors sind an der Anlage in Rumänien eingetroffen und werden gerade vor Ort auf ihre Funktionalität hin geprüft. Im Lauf des nächsten Jahres werden wir dann voraussichtlich das ganze Detektorsystem zusammensetzen und an radioaktiven Proben testen. Diese radioaktiven Proben senden Gammastrahlen aus, die ganz bestimmte und relativ niedrige Energien haben. Damit können wir sehen, ob die Detektion und Analyse der Gammaphotonen richtig funktioniert. Diese Tests sind notwendig, damit wir später keine Probleme mehr haben, wenn der eigentliche Gammastrahl zur Verfügung steht und wir uns den Atomkernen zuwenden.
Woran forschen denn die anderen Gruppen innerhalb des Verbundprojekts?
Die Gruppe um Norbert Pietralla von der TU Darmstadt beschäftigt sich unter anderem mit Aspekten der Analyse der an ELI-NP erzeugten Gammastrahlung. Zur Erzeugung nutzt man ein sehr interessantes Verfahren, das auf dem sogenannten Compton-Effekt beruht. Man lässt dazu einen intensiven Laserstrahl mit einem Elektronenstrahl zusammenstoßen. Die Photonen des Laserstrahls werden an den Elektronen gestreut und nehmen dabei sehr viel Energie auf. Dadurch entsteht ein sehr intensiver, fast monoenergetischer und vollständig polarisierter Gammastrahl. Die Gruppe um Peter Thirolf von der LMU München möchte den extrem intensiven Laserstrahl von ELI-NP dagegen nutzen, um Atomkerne zu beschleunigen. Unter bestimmten Bedingungen kann es passieren, dass zwei beschleunigte Kerne miteinander verschmelzen und ein neuer schwererer und sehr exotischer Kern entsteht. Daneben gibt es aber auch schon eine ganze Reihe weiterer Pläne für Experimente, die wir in Zukunft an ELI-NP durchführen wollen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt „ELI-NP: Optimierung des ELIADE-Kernresonanzfluoreszenzarrays und erste Experimente mit Gammastrahlen an ELI-NP“ im Zeitraum von Juli 2018 bis Juni 2021 mit rund 800 000 Euro.
Fördersumme: 799 798 Euro
Förderzeitraum: 01.07.2018 bis 30.06.2021
Förderkennzeichen: 05P18PKEN9, 05P18RDEN9, 05P18WMEN9
Beteiligte Institutionen: Universität Köln, Technische Universität Darmstadt, Ludwig-Maximilians-Universität München
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/physik-der-kleinsten-teilchen/atomkerne-besser-kennenlernen/