Detektorentwicklung für zukünftige Linearbeschleuniger

Lisa Leander

Zwei Forscher sitzen vor einer großen durchsichtigen Platte, in der unterschiedlich große Kacheln eingelassen sind.

Die Bausteine der Materie und Grundkräfte der Physik sollen an zukünftigen Linearbeschleunigern untersucht werden. Schon jetzt entwickeln deutsche Forschungsgruppen dafür innovative Detektortechnologien. Ihre Arbeiten treiben dabei nicht nur die physikalische Grundlagenforschung voran, sondern kommen auch andere Bereichen wie etwa der Medizinphysik zugute.

Die aussichtsreichsten Kandidaten für das nächste Großprojekt in der Teilchenphysik sind der International Linear Collider, kurz ILC, und der Compact Linear Collider. Dabei handelt es sich um Linearbeschleuniger, die das Forschungsprogramm des Ringbeschleunigers LHC ergänzen sollen. Welcher Beschleuniger gebaut wird und wo, darüber wird derzeit noch beraten. An den Technologien für CLIC und ILC arbeiten etwa zweitausend Physiker und Ingenieure weltweit, viele von ihnen sind für beide Projekte tätig.

Die neuen Detektorkomponenten für den ILC konzipieren derzeit Physiker aus 17 Ländern innerhalb der Forschungskollaboration CALICE. Darunter sind auch Gruppen aus Deutschland, die gemeinsam in einem Verbundvorhaben forschen. In dem 35 Kilometer langen Linearbeschleuniger ILC sollen Elektronen mit ihren Antiteilchen – den Positronen – mit einer Schwerpunktenergie von 500 Gigaelektronenvolt zusammenstoßen. In einer späteren Ausbaustufe könnte die Kollisionsenergie auf 1000 Gigaelektronenvolt gesteigert werden. Wenn die Elektronen und Positronen aufeinandertreffen, vernichten sie sich gegenseitig und zerstrahlen in Energie, aus der neue Teilchen entstehen. Verschiedene Messgeräte um den Kollisionspunkt würden diese Partikel dann nachweisen und identifizieren.

Schematische Darstellung des Linearbeschleunigers, auf der eingezeichnet ist, wie die Teilchen durch den Beschleuniger geleitet werden.

Linearbeschleuniger ILC

Da es sich sowohl bei Elektronen als auch bei Positronen um Elementarteilchen handelt, sind die Reaktionsergebnisse deutlich besser vorhersagbar als beispielsweise im Large Hadron Collider am CERN. Denn dort treffen Protonen – genauer gesagt deren Bausteine, verschiedene Quarks und Gluonen – bei hoher Energie aufeinander, wodurch eine Vielzahl an neuen Partikeln entstehen kann. Darunter finden sich allerdings auch viele Teilchen, die die Forscher nicht interessieren und als „Untergrund“ bezeichnet werden.

Da der Untergrund beim ILC geringer ist, lassen sich die produzierten Teilchen präziser vermessen. Deshalb wollen Physiker hier unter anderem das Higgs-Teilchen genauer untersuchen sowie die Physik jenseits des Standardmodells erforschen, die der LHC in den kommenden Jahren noch entdecken könnte. Um diese Ziele zu erreichen, muss die zeitliche und räumliche Auflösung der Detektoren allerdings viel höher sein als bisher. Denn nur so lassen sich die Reaktionen bei den Teilchenkollisionen exakt rekonstruieren.

Kalorimeter messen die Energie jedes einzelnen Teilchens

Eine Gruppe von Wissenschaftlern an der Universität Heidelberg beschäftigt sich innerhalb der CALICE-Kollaboration mit dem Teil der Detektoren, der die Energie der Teilchenschauer ermittelt – dem Kalorimeter. Detektoren wie die am LHC oder ILC verwenden zwei Arten von Kalorimetern: Elektromagnetische Kalorimeter, die die Energie von Elektronen, Positronen und Photonen messen, sowie hadronische Kalorimeter für Teilchen, die aus Quarks zusammengesetzt sind, wie Protonen oder Neutronen.

Die Forscher aus Heidelberg arbeiten an einem analogen hadronischen Kalorimeter namens AHCAL. Das Messgerät ist aus sogenannten Szintillatorkacheln auf Siliziumbasis zusammengesetzt. Fliegen Teilchen hindurch, erzeugen sie in den Kacheln einen Lichtblitz. Je mehr Kacheln pro Fläche das Kalorimeter besitzt, desto genauer kann ermittelt werden, wann und an welchen Stellen die Teilchen den Detektor durchquert haben. „Das funktioniert wie bei den Pixeln in einer Kamera – je mehr Pixel, desto schärfer das Bild“, erklärt Hans-Christian Schultz-Coulon von der Universität Heidelberg, Gruppenleiter für die ILC-Detektorentwicklung. AHCAL soll mit acht Millionen Kacheln arbeiten, die jeweils drei mal drei Zentimeter groß sind. Die Granularität, als Maß für die Anzahl an Zellen pro Fläche, ist damit deutlich höher als bei den Kalorimetern der LHC-Detektoren.

Auf der Darstellung sind die Umrisse eines Teilchendetektors angedeutet. Im Inneren sind die Spuren von Teilchen zu sehen, die bei einer Kollision entstanden sind und den Detektor strahlenförmig durchqueren.

Simulation eines Higgs-Zerfalls im ILC

Die hohe Auflösung von AHCAL könnte Physikern eine sehr viel präzisere Vermessung von Teilchenjets erlauben. Als Jets werden gebündelte Strahlen aus Teilchen bezeichnet, die bei den Kollisionen entstehen und den Detektor in einer bestimmten Richtung durchqueren. Bisher konnten hadronische Kalorimeter nur die Gesamtenergie aller in einem Jet enthaltenen Teilchen messen. Nun wollen sich die Physiker zunutze machen, dass einige der Teilchen nicht nur ein Signal im Kalorimeter hinterlassen, sondern auch in der sogenannten Spurdriftkammer. Auch an der Entwicklung dieses Detektorteils für den ILC, der zur exakten Vermessung von Teilchenspuren eingesetzt werden soll, sind deutsche Gruppen im Rahmen der Verbundforschung des BMBF beteiligt.

Die Informationen aus Kalorimeter und Spurkammer lassen sich kombinieren, um so die Energie der einzelnen Teilchen zu ermitteln. Dazu müssen die Wissenschaftler aber genau zuordnen können, welches Teilchen bereits in der Spurkammer war und im nächsten Moment im Kalorimeter erscheint. Mit der hohen Granularität vom AHCAL und einer leistungsfähigen Elektronik für die Rekonstruktion der Teilchenbahnen könnte das in Zukunft möglich sein. Das physikalische Prinzip vom AHCAL wurde mit einem Prototyp bereits mehrfach am Forschungszentrum DESY in Hamburg und am CERN getestet. Als nächstes sollen die elektronischen Komponenten mit einem technischen Prototyp erprobt werden.

Neue Elektronik: Präzise und langlebig

Das wichtigste Element für die Ausleseelektronik sind die sogenannten Siliziumphotomultiplier, die die Signale der Teilchen verstärken und weiterleiten. Von ihnen werden ebenfalls Millionen für die Detektoren am ILC gebraucht und alle müssen zuverlässige Ergebnisse liefern. „Wir müssen bei der Massenproduktion sicherstellen, dass alle Siliziumphotomultiplier mit den gleichen oder sehr ähnlichen Parametern messen, damit wir sie einbauen können, ohne jeden einzeln kalibrieren zu müssen“, sagt Erika Garutti von der Universität Hamburg, die mit ihrer Arbeitsgruppe ebenfalls Mitglied von CALICE ist.

Grafische Darstellung vom Querschnitt des Detektors, die verschiedenen Komponenten sind als unterschiedliche Schichten erkennbar.

Zukünftiger ILC-Detektor

Die Siliziumphotomultiplier sollen natürlich möglichst lange optimal funktionieren. Durch die hohe Strahlungsbelastung nahe dem Kollisionspunkt werden immer wieder Photomultiplier beschädigt und müssen nach mehreren Jahren ausgetauscht werden, währenddessen steht der Teilchenbeschleuniger still. Daher arbeiten Garutti und ihre Kollegen zusätzlich daran, die Strahlungshärte und damit die Lebensdauer zu erhöhen. Hier findet ein Technologietransfer zwischen den Wissenschaftlern und den Herstellern solcher Siliziumelemente statt. Aus der Entwicklung solcher Systeme könnten sich auch Spin-Offs für die Industrie ergeben: Leistungsstarke Photomultiplier schaffen beispielsweise neue Möglichkeiten für die Bildgebung in der Medizin, etwa in Geräten für die Positronen-Emissions-Tomografie. Dieser Forschungsansatz wurde von der Europäischen Union im Rahmen eines Förderprogramms unterstützt.

Neben der Strahlungsresistenz denken Garutti und ihre Kollegen über ein weiteres Problem nach. Die Ausleseelektronik erzeugt Wärme während des Betriebs und stört so die empfindlichen Sensoren. Daher muss die Elektronik bislang gekühlt werden. Garutti und ihre Kollegen wollen die Kühlsysteme künftig überflüssig machen, indem sie die Elektronik nur dann anschalten, wenn gerade Kollisionen im Beschleuniger stattfinden. Das würde allerdings bedeuten, dass die Ausleseelemente mehrmals pro Sekunde ausgehen und wieder anspringen müssten. „Wenn ich eine Glühbirne eine Million Mal an- und ausschalten würde, wäre sie sicher schnell kaputt“, bemerkt Garutti. Sollte die neue Elektronik dieses Prozedere überstehen und die Kühlung nicht mehr nötig sein, könnten Physiker das freigewordene Volumen für ihre wissenschaftlichen Systeme nutzen.

Geprüft werden die neu entwickelten Elektronikkomponenten derzeit am DESY. Im kommenden Jahr sollen sie in die nächsten Prototypen der CALICE-Kollaboration eingebaut werden, die unter anderem am Josef-Stefan-Institut im slowenischen Ljubljana getestet werden.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/physik-der-kleinsten-teilchen/detektorentwicklung-fuer-zukuenftige-linearbeschleuniger/