Exotische Atomkerne im Fokus
Jana Harlos
Mit der Ionenquelle ISOLDE am Forschungszentrum CERN bei Genf lassen sich mehr als 70 verschiedene chemische Elemente herstellen. Die erzeugten Ionen werden anschließend beschleunigt, nach ihren unterschiedlichen Massen getrennt und zu Strahlen gebündelt. Diese Strahlen erreichen dann verschiedene Experimente aus der Atom- und Kernphysik sowie den Material- und Biowissenschaften. Hierin untersuchen Forscher vor allem Fragen nach dem Aufbau der Atomkerne und deren Eigenschaften, wie etwa Masse oder Stabilität.
2016 gingen die ersten beiden Module von HIE-ISOLDE in Betrieb. Damit lassen sich die Ionen nun auf das Dreifache der bisherigen Energie beschleunigen. Derzeit finden gleich mehrere große Teilexperimente statt, an denen Gruppen aus Deutschland im Rahmen des Verbunds „Studium exotischer Kerne an ISOLDE“ beteiligt sind, darunter MINIBALL, COLLAPS und ISOLTRAP. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert diesen Verbund im Zeitraum von Juli 2015 bis Juli 2018 mit rund 2 344 000 Euro.
Fördersumme: 2 343 768 €
Förderzeitraum: 01.07.2015 bis 30.06.2018
Förderkennzeichen: 05P12RDCIA, 05P15HGCIA, 05P15ODCIA, 05P15UMCIA, 05P15SJCIA, 05P15WOCIA, 05P15PKCIA
Beteiligte Institutionen: Technische Universität Darmstadt, Universität Greifswald, Technische Universität Dresden, Universität Mainz, Universität Jena, Technische Universität München, Universität Köln
Projektseite: HIE-ISOLDE
An der Ionenquelle HIE-ISOLDE am Forschungszentrum CERN erzeugen Wissenschaftler schwere Atomkerne, die auf der Erde nicht natürlich vorkommen. Experimente wie MINIBALL entschlüsseln dabei die Struktur und Dynamik dieser instabilen Kerne.
Die Vielfalt der Elemente des Periodensystems wird von den Bausteinen der Atomkerne bestimmt – der Anzahl von Protonen und Neutronen. Jedes chemische Element kann dabei in verschiedene Varianten oder Isotopen vorliegen: Die Atomkerne weisen dieselbe Protonenanzahl auf, unterscheiden sich aber in der Anzahl ihrer Neutronen. Insgesamt kennen Wissenschaftler rund 300 verschiedene stabile Atomkerne, von Wasserstoff bis hin zu Uran.
Darüber hinaus existieren unzählige instabile Atomkerne, die nach einer gewissen Zeit über verschiedene radioaktive Prozesse zerfallen. In der Regel besitzen Atomkerne die Form einer Kugel, doch für bestimmte Verhältnisse von Protonen und Neutronen können sie auch eine andere Gestalt annehmen. Besonders diese exotischen Kerne, die auf der Erde nicht natürlich vorkommen, wollen Physiker genauer erforschen – so auch Peter Reiter von der Universität Köln.
Zusammen mit seinen Kollegen erzeugt der Wissenschaftler die schweren, instabilen Atomkerne gezielt an der Ionenquelle ISOLDE am Forschungszentrum CERN bei Genf. Dazu werden die Protonen zunächst beschleunigt und dann auf ein speziell erhitztes Zielmaterial gelenkt, das sogenannte Produktionstarget. Durch die Kollision entstehen radioaktive Isotope, die zunächst elektrisch neutral sind. Erst in einem nächsten Schritt werden Elektronen aus den Atomen herausgelöst, sodass sie eine positive Ladung besitzen. Anschließend beschleunigen die Forscher die ionisierten und nach Masse sortierten Isotope und leiten sie zu verschiedenen Experimenten.
Auf diese Weise lassen sich zurzeit insgesamt über 700 verschiedene radioaktive Isotope von mehr als 70 chemischen Elementen herstellen. „Viele dieser Isotope haben Lebensdauern von wenigen Minuten oder Sekunden, teilweise sogar nur einigen Millisekunden, bevor sie radioaktiv zerfallen“, so Reiter. Trotzdem reicht die Zeit aus, um die Atomkerne umfassend zu untersuchen – etwa mit dem Gammaspektrometer MINIBALL, an dem auch die Forschergruppe um Peter Reiter arbeitet. „Die Gammaspektroskopie bietet eine wirkungsvolle Methode, viele Eigenschaften von angeregten Zuständen in bisher unbekannten Atomkernen im Detail zu verstehen“, erläutert Reiter.
In einen angeregten Zustand gehen die exotischen Atomkerne kurzzeitig über, wenn sie zusätzliche Energie erhalten. Kurz darauf zerfallen die meisten von ihnen, indem sie Gammastrahlung aussenden. Diese Strahlung lässt sich mit den 24 Halbleiterdetektoren, aus denen MINIBALL besteht, mit sehr hoher Auflösung analysieren. Anhand der Ergebnisse können die Forscher dann auf die Struktur und Dynamik der exotischen Atomkerne zurückschließen. Reiter und sein Team waren für die Entwicklung und Inbetriebnahme dieser Detektoren verantwortlich. „Die gesamte Detektorinfrastruktur wurde in Köln gebaut. Jetzt sind wir für den Betrieb am CERN verantwortlich“, so Reiter.
Momentan befindet sich die Ionenquelle in einem mehrstufigen Ausbau: Mit dem „High Intensity and Energy upgrade of ISOLDE“, kurz HIE-ISOLDE, sollen die erzeugten Isotope künftig auf noch höhere Energien beschleunigt werden. Dazu ging bereits ein neuer Linearbeschleuniger in Betrieb. „Mit dem HIE-ISOLDE-Beschleuniger wurde uns ein hervorragendes Forschungsinstrument zur Verfügung gestellt, das wir jetzt ausgiebig für neue Messungen nutzen werden“, sagt Reiter.
Auch die Intensität des Ionenstrahls wollen die Forscher weiter steigern. Dafür planen sie umfangreiche Maßnahmen, die im Zuge einer großen Umbauphase am CERN ab 2019 beginnen sollen. Und auch die eingesetzten Instrumente werden optimiert: So wollen Reiter und seine Kollegen in den kommenden Jahren beispielsweise die Nachweisempfindlichkeit der Halbleiterdetektoren von MINIBALL verbessern.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/physik-der-kleinsten-teilchen/exotische-atomkerne-im-fokus/