„Indirekt zu neuer Physik“
Franziska Konitzer
Im April fanden im Teilchenbeschleuniger SuperKEKB am Forschungszentrum KEK in Japan die ersten Kollisionen von Elektronen und deren Antiteilchen – den Positronen – statt. Bei diesen Zusammenstößen entstehen viele neue Teilchen, deren Flugbahnen und Energien die beteiligten Physiker mit einem riesigen Detektor aufzeichnen. In den gesammelten Daten hoffen die Forscher unter anderem seltene Zerfallsprozesse aufzuspüren, die das Standardmodell der Teilchenphysik nicht erklären kann. Das könnte ein Indiz für die Existenz noch unbekannter Elementarteilchen sein. Eine zentrale Komponente des sogenannten Belle-II-Detektors steuern Wissenschaftler um Florian Bernlochner vom Karlsruher Institut für Technologie und elf weiteren deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen bei, unterstützt vom Bundesforschungsministerium. Im Interview erklärt der Wissenschaftler, was ihr Pixeldetektor leistet.
Welt der Physik: Mit dem Teilchenbeschleuniger SuperKEKB wollen Sie nach neuer Physik jenseits des Standardmodells suchen. Wie kann man sich das vorstellen?
Florian Bernlochner: Es gibt prinzipiell zwei Methoden, um nach neuer Physik zu suchen. Bei der direkten Methode erzeugt man mithilfe von extrem hohen Energien neue, unbekannte Teilchen. Das wird momentan mit dem Teilchenbeschleuniger LHC am CERN gemacht. Mit dem Teilchenbeschleuniger SuperKEKB in Japan gehen wir einen anderen Weg: Wir versuchen gewissermaßen, indirekt neue Physik zu entdecken. Denn würden im Experiment bisher unbekannte Teilchen entstehen, ließen sich diese nicht direkt beobachten. Allerdings würden sie sich bemerkbar machen, indem die Messergebnisse von den Vorhersagen des derzeitigen Standardmodells der Teilchenphysik abweichen. Zusätzlich suchen wir auch direkt nach neuer Physik – in Signaturen, welche mit den LHC-Experimenten nur schwer zugänglich sind.
Sie lassen dazu Elektronen und Positronen mit hohen Energien aufeinanderprallen. Was unterscheidet die Experimente am SuperKEKB von anderen?
Der Vorteil an unserem Aufbau ist, dass wir ein sehr sauberes experimentelles Umfeld haben. Im Gegensatz zu den LHC-Experimenten „zertrümmern“ wir keine Protonen, sondern bringen Elementarteilchen zur Kollision. Unsere Kollisionen erzeugen deshalb keine „Trümmerteilchen“, die wir zusätzlich zu interessanten Kollisionen im Detektor aufzeichnen. Wir können also gezielter nach Ereignissen suchen, die uns interessieren. Wir vermessen diese Ereignisse extrem präzise und gleichen sie dann mit den Vorhersagen des Standardmodells ab. Wenn wir Abweichungen sehen würden, dann würde das auf neue Physik hindeuten.
Welche Rolle spielt der Detektor – Belle II – dabei?
Belle II spielt als unser Detektor die zentrale Rolle. Vom SuperKEKB als Teilchenbeschleuniger bekommen wir die hochintensiven Teilchenstrahlen. Erst dadurch können wir möglichst viele Kollisionen erzeugen, die uns interessieren. Aber es ist Belle II, der diese Kollisionen aufzeichnet und uns quasi Schnappschüsse der Zerfälle liefert.
Wie ist Belle II aufgebaut?
Der Detektor selbst ist schalenartig aufgebaut und besteht aus verschiedenen Lagen. Im Herzen des Detektors befindet sich unser Beitrag zu Belle II: der Pixeldetektor. Er ist in etwa so groß wie eine Getränkedose. Die bei den Kollisionen von Elektronen und Positronen erzeugten Teilchen durchlaufen den gesamten Detektor von innen nach außen – als Erstes passieren sie unsere „Getränkedose“ und danach alle anderen Lagen des Detektors.
Der SuperKEKB und Belle II sind im März 2018 in Betrieb gegangen. Wie verlief der Start?
Ich würde sagen, der Start verlief für das erste Mal Anschalten und Gucken sehr gut. Unser Pixeldetektor ist allerdings noch gar nicht in Belle II eingebaut. Stattdessen haben wir an seine Stelle einen Strahlungsmessdetektor gesetzt, der die Qualität der Teilchenstrahlen untersuchen soll – also ob es irgendwelche Störfaktoren gibt oder dergleichen. Und das Auslesen der Daten von diesem Punkt funktioniert wunderbar. Das hat alles gut geklappt. Momentan kämpfen wir nur noch ein wenig damit, den Strahl richtig einzustellen und so möglichst wenig Strahluntergründe zu erzeugen. Denn diese deponieren zusätzliche Teilchen in unserem Detektor. In den letzten Tagen haben wir allerdings sehr große Fortschritte gemacht, die Strahluntergründe stark zu reduzieren. Wir haben noch einiges an Arbeit vor uns, aber ingesamt sind wir zufrieden.
Wann soll der Pixeldetektor eingebaut werden?
Voraussichtlich im Februar 2019 soll der Einbau abgeschlossen sein. Anschließend kann erstmals der komplette Detektor Kollisionen aufzeichnen.
Wann rechnen Sie mit den ersten Ergebnissen?
Tatsächlich versuchen wir schon dieses Jahr mit Belle II – ohne den Pixeldetektor – einen kleinen Datensatz zu produzieren, mit dem wir sozusagen richtige Forschung betreiben können. Wir wollen damit beispielsweise nach Dunklen Photonen suchen. Diese Elementarteilchen gelten als Kandidaten für die Dunkle Materie. Unser erster Datensatz könnte bereits Hinweise darauf liefern.
Ist Ihre Arbeit mit dem Einbau des Pixeldetektors erledigt oder begleiten Sie das Experiment auch weiterhin?
Die interessante Zeit fängt gerade erst an und wir bleiben als Kollaboration auf jeden Fall dabei – schließlich haben wir einen Teil des Detektors gebaut und wollen damit jetzt auch Forschung betreiben. Deshalb beteiligen wir uns auch im nächsten Jahrzehnt, in dem der SuperKEKB in Betrieb sein wird, an der Datenanalyse. Andererseits kümmern wir uns nach wie vor um die eigentliche Hardware. Beim Bau des jetzigen Pixeldetektors haben wir eine Menge gelernt. Das Wissen würden wir gerne nutzen und ein Upgrade für den Pixeldetektor bauen, sobald der SuperKEKB und Belle II in die nächste Phase der Datenaufzeichnungen gehen. Das wird aber erst in ein paar Jahren so weit sein.
Von 1999 bis 2010 suchten Physiker bereits mit Belle nach Hinweisen auf neue Physik. Hatte man in diesem Vorgängerexperiment schon etwas gefunden?
Ja, es gibt zwei Anomalien, die uns mit Belle aufgefallen sind. Allerdings handelt es sich dabei derzeit lediglich um Anomalien. Wir können noch nicht von einer Entdeckung sprechen, weil die Ergebnisse noch nicht statistisch signifikant genug sind. Allerdings haben auch andere Experimente diese Anomalien gefunden. Und jetzt stellen sich alle Leute die Frage: Passen all diese Anomalien zusammen und haben wir Physik jenseits des Standardmodells gefunden? Belle II wird eine Antwort auf diese Frage liefern.
Informationen zu diesem Projekt
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert dieses Projekt im Zeitraum von Juli 2015 bis Juni 2018 mit rund 4,6 Millionen Euro.
Fördersumme: 4 548 252 Euro
Förderzeitraum: 01.07.2015 bis 30.06.2018
Förderkennzeichen: 05H15MGKBA, 05H15UMKBA, 05H15RGKBA, 05H15VKKB1, 05H15WMKBA, 05H15PDKB1, 05H15WOKBA
Beteiligte Institutionen: Universität Göttingen, Universität Mainz, Universität Gießen, Karlsruher Institut für Technologie, LMU München, Universität Bonn, TU München, Deutsches Elektronen-Synchrotron in Hamburg, Max-Planck-Institut für Physik in München
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/physik-der-kleinsten-teilchen/indirekt-zu-neuer-physik/