Insertable B-Layer im ATLAS-Detektor

David Vogel

ATLAS-Magnetspulensystem

Der ATLAS-Detektor im Large-Hadron-Collider ist um eine wichtige Komponente erweitert worden. Mit der nun zusätzlich eingebauten Lage können Physiker noch näher am Ort des Zusammenstoßes messen – und damit interessante Teilchenreaktionen noch genauer aufspüren. Norbert Wermes von der Universität Bonn erläutert, was es mit dem „Insertable B-Layer” auf sich hat.

Bei den Kollisionsexperimenten am LHC treffen Wasserstoffkerne aufeinander und bringen eine Vielzahl neuer Teilchen hervor. Deren Spuren nehmen die hausgroßen Detektoren ATLAS oder CMS auf – im Prinzip  dreidimensionale Digitalkameras, die nicht nur Licht, sondern auch kleine Teilchen erfassen können.

Umrankt vom Zahlenmysterium

Norbert Wermes: „Pixeldetektoren sind räumlich sehr hoch auflösende Detektoren, die auf wenige Mikrometer genau die Position eines Teilchens festlegen können. Diese Detektoren sind ganz innen in einem Großdetektor eingebaut. Ganz innen heißt dabei möglichst nah am Kollisionspunkt, wo die Strahlen des Beschleunigers zusammenknallen. Der ATLAS-Detektor hatte bisher drei zylindrische Lagen, die man sich wie Tonnen um den Kollisionspunkt im Strahlrohr herum vorstellen kann. Jetzt ging es darum, mit dem Insertable B-Layer eine vierte Lage einzubauen, weil vier Pixelmesspunkte für die Flugbahn der Teilchen besser sind als drei. Aber wichtiger noch ist, dass man mit der innersten Lage noch näher an den Kollisionspunkt der Teilchen herankommt.“

Norbert Wermes

 Der Traum der Teilchenphysiker wären Messdaten direkt vom Reaktionsort. Doch innerhalb des Strahlrohrs von ATLAS, wo Bündel von je hundert Milliarden Protonen mit sehr hoher Energie in ultrakaltem Vakuum aufeinandertreffen, sorgen aber im Zuge des Zusammenstoßes erzeugte Teilchenscharen für eine sehr hohe Strahlungsintensität – zu hoch für jeden Detektor. Außerdem war dieser Bereich bislang auch architektonisch nicht zugänglich. Einen kleinen Schritt näher an den Kollisionspunkt konnten die Wissenschaftler aber doch gelangen: Um der neuen Lage ausreichend Platz einzuräumen, verengten sie den Durchmesser des ATLAS-Strahlrohrs von zehn auf sechs Zentimeter.

„Es gibt jetzt im Vergleich zu vorher mehr Platz im Innenraum von ATLAS und da wurde die neue Pixellage hineingeschoben. Dafür steht auch das I in IBL: für „insertable“, also „einführbar”."

Mit der Namensgebung der Detektorlagen hat es seine eigene, recht kuriose Bewandtnis. 

„Eigentlich sollten diese Lagen 1, 2, 3 heißen. Oder jetzt eben 1, 2, 3, 4 mit der Vierten. Tun sie aber nicht! Das ist historisch bedingt: Zu Beginn der  Entwicklung der Pixeldetektoren hatte man wenig Vertrauen, dass ein Detektor so nahe am Kollisionspunkt betrieben werden kann. Für ATLAS wurden daher zunächst einmal nur zwei Lagen genehmigt. Die hießen – und heißen immer noch – Lage 1 und 2. Etwas später kam der Vorschlag, noch eine Lage nach innen zu bauen, um besonders sogenannte B-Teilchen, Bindungszustände mit Bottom-Quarks, nachzuweisen. Die Bindungszustände leben so lange, dass sie erst nach etwa einem Millimeter Flugstrecke zerfallen. Dieser Abstand vom Kollisionspunkt ist mithilfe von Pixeldetektoren nachweisbar, und zwar umso besser, je näher sie an diesem Punkt liegen. Wegen der B-Teilchen trägt diese Lage den Namen B-Lage. Die verrückte Bezeichnung der vier Lagen ist also aktuell von innen nach außen: IBL, B, 1, 2!“

Die Nadel im Heuhaufen

In diesem 3D-Modell des inneren Detektors von ATLAS sind die drei Lagen B, 1, 2 golden eingefärbt. Das Strahlrohr und die neue Lage IBL sind auf dem nächsten Bild zu sehen.

3D-Modell des inneren Detektors von ATLAS

Pixel und Elektronik zeichnen Daten aus allen Reaktionen auf, die sich im Detektorinneren entlang der Strahllinie ereignen. Auch wenn die wissenschaftlich interessanten Ereignisse charakteristische Signaturen aufweisen, sind sie in einer solchen Fülle an Spurendaten schwer aufzuspüren. Zu ihnen gelangt man – wie zur Nadel im Heuhaufen – durch eine sorgfältige Auslese.

„Die Kollisionen sind extrem häufig: Wenn sich die Bündel im LHC durchkreuzen, finden im Mittel 25 Reaktionen gleichzeitig statt. Da die Teilchenpakete etwa die Form sehr dünner Bleistifte mit Haaresdicke haben, also viel länger sind als dick, finden die Kollisionen entlang dieser Bleistiftachse von etwa 15 Zentimetern statt. Angenommen nur in einem der 25 Kollisionspunkte, dem Punkt Nummer 17, wurde das Higgs erzeugt; in den anderen jede Menge „Dreck“. Dann will ich mir nur die Reaktion in Punkt 17 herausgreifen und die dort erzeugten Teilchen zum Beispiel nach dem Higgs analysieren.“

An dieser Stelle hilft die sehr gute Ortsauflösung der Pixeldetektoren. Jeder Teilchenspur kann damit ihr jeweiliger Entstehungsort, der sogenannte Primärvertex, genau zugeordnet werden. Die Auswertung gestaltet sich so übersichtlicher und die Gefahr, etwa ein Higgs-Boson zu übersehen, ist eingedämmt.

Woher aber weiß man, ob eine interessante Primärreaktion stattgefunden hat? Hierbei dienen die B-Mesonen als Marker, denn sie entstehen häufig als Folgezustände interessanter Primärreaktionen. Findet man die Spur eines B-Mesons, so lohnt es sich, seinen Ursprung genauer zu untersuchen.

„Diese B-Mesonen leben relativ lange: lange heißt für Teilchenphysiker eine Pikosekunde (ein Millionstel einer Millionstel Sekunde). Sie fliegen in dieser Zeit, wie gesagt, typischerweise einen Millimeter und zerfallen dann. Das fliegende B-Teilchen kann man nicht sehen, da es noch im Strahlrohr zerfällt. Erst danach sieht man die Spuren der Zerfallsprodukte im Pixeldetektor und kann feststellen: Da ist so ein „Sekundärvertex“!“

Obige Foto zeigt den Pixeldetektor mit dem eingeführtem Strahlrohr während des Einbaus in Gebäude SR1. Darunter ist der Einbau des "Insertable B-Layers" gerendert dargestellt.

Das Strahlrohr wird verengt

Mit Vertex bezeichnen die Teilchenphysiker den Ort einer Teilchenreaktion, hier des Zerfalls. Die Zerfallsprodukte der B-Zwischenzustände existieren lange genug um durch einige Detektorlagen zu fliegen. Mithilfe der neuen Lage können die Forscher nun deren Spuren fast bis an den Entstehungsort und damit weiter als bisher zurückverfolgen.

Tage und Gelder sind gezählt

Der „Insertable B-Layer“ ist bereits in ATLAS eingebaut und wird im März 2015 in Betrieb genommen.  Er läuft dann planmäßig acht Jahre, bis der Large Hadron Collider im Rahmen des „High-Luminosity-Upgrades“ wieder weiterentwickelt wird.

„Die Luminosität, das ist ein Maß für die Strahlintensität, wird dann um einen Faktor Zehn erhöht werden. Damit steigen auch die Teilchenraten entsprechend. Das halten die jetzigen Detektoren, insbesondere im inneren Bereich, nicht aus. Der gesamte Innendetektor von ATLAS wird erneuert. Dann gibt es mindestens vier neue Pixellagen und die werden dann hoffentlich auch konsequent benannt!“

Bis dahin muss sich der IBL beweisen. Ohne die Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung kann sich Wermes diese Arbeit nicht vorstellen.

„Solche Experimente kosten Geld. Das BMBF verteilt sein Geld an verschiedene Sparten der Wissenschaft, nicht nur an die Physik, und innerhalb der Physik nicht nur an die Elementarteilchenphysik. Da muss man dann schon Überzeugungsarbeit leisten. Die Tatsache, dass vor zwei Jahren das Higgs-Teilchen bei ATLAS und CMS entdeckt wurde, war gewiss ein wissenschaftliches Highlight, das sogar vorhergesagt beziehungsweise zu einem gewissen Grad erwartet war. Es hat sicher auch zur Ansicht beigetragen, dass die Teilchenphysiker halten, was sie versprechen. Deswegen sind die Erwartungen relativ hoch, dass das Higgs noch nicht die letzte Entdeckung am LHC war.“ 

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/physik-der-kleinsten-teilchen/insertable-b-layer-im-atlas-detektor/