Quark-Gluon-Plasma im LHC-Beschleuniger
Michael Büker
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert mit zahlreichen Projekten den Aufbau, die Weiterentwicklung und die Forschung am ALICE-Experiment. Im Jahr 2000 begann die Förderung der technischen Vorarbeiten, seitdem haben neun Forschungsgruppen insgesamt 34,6 Millionen Euro an Förderung erhalten. Für die nächste Förderperiode ab Juli 2015 haben sich wieder einige Forschungsgruppen um Förderung für ihre Arbeiten an ALICE beworben.
Derzeit laufen die Planungen für entscheidende Verbesserungen am ALICE-Experiment während der nächsten langen Betriebspause des LHC-Beschleunigers in 2018 und 2019. Ein neues Messkonzept für die zentralen Detektoren, die Impuls und Flugbahn geladener Teilchen aufzeichnen, soll eine deutlich höhere Rate der Datennahme ermöglichen. Leistungsfähige Computer sollen außerdem eine präzisere Auswahl relevanter Messergebnisse in Echtzeit ermöglichen.
Die Bestimmung der Temperatur des Quark-Gluon-Plasmas durch Photonkonversion wird von Wissenschaftlern der Universitäten in Heidelberg und Münster vorgenommen. Förderprojekte an diesen Unversitäten konzentrieren sich insbesondere auf die Untersuchung des Quark-Gluon-Plasmas. Die folgenden Daten beziehen sich auf die laufende Förderperiode dieser beiden Gruppen.
Fördersumme: 4 063 470 €
Förderzeitraum: 2012 bis 2015
Förderkennzeichen: 05P12PMCAF, 05P12VHCA1
Beteiligte Institutionen: Universität Heidelberg, Universität Münster
Projektseite: ALICE Collaboration
Zu den zahlreichen Spitznamen des LHC-Teilchenbeschleunigers am Forschungszentrum CERN in Genf zählt auch „Urknallmaschine“. Der physikalischen Grundlagenforschung, die hinter diesem Schlagwort steckt, widmet sich die Forschergruppe um das ALICE-Experiment. Sie untersucht das sogenannte Quark-Gluon-Plasma, einen besonderen Materiezustand, der kurz nach dem Urknall das Universum dominiert haben soll.
Der 27 Kilometer lange Large Hadron Collider, kurz LHC, ist der größte Teilchenbeschleuniger der Welt und ist Teil des europäischen Forschungszentrums CERN in Genf. Er ist vor allem dafür bekannt, dass dort Protonen auf hohe Energien beschleunigt und zur Kollision gebracht werden. Auf diese Weise konnte am LHC unter anderem das Higgs-Boson nachgewiesen werden, für dessen Vorhersage der Physiknobelpreis 2013 verliehen wurde.
Doch jedes Jahr werden am LHC einige Wochen lang nicht Protonen, sondern Bleikerne beschleunigt, die aus 82 Protonen und 126 Neutronen bestehen. Das verwendete Isotop namens Blei-208 hat den schwersten bekannten Atomkern, der nicht radioaktiv zerfällt, also stabil ist. Solche Kerne sind die idealen Reaktionspartner für das ALICE-Experiment. Anders als die zur Teilchensuche konstruierten Anlagen CMS und ATLAS trägt ALICE schon im Namen, dass es auf die Bleikollisionen spezialisiert ist: Die englische Abkürzung steht für „Ein großes Ionen-Kollisions-Experiment“ („A Large Ion Collider Experiment”).
Nur in den Kollisionen der besonders schweren Atomkerne gelingt es, ähnlich hohe Temperaturen und Drücke wie kurz nach dem Urknall zu erzeugen – wenn auch nur auf sehr kleinem Raum und für eine extrem kurze Zeit. Klaus Reygers von der Universität Heidelberg, der am ALICE-Experiment beteiligt ist, beschreibt das Vorhaben so: „Es ist, als wolle man flüssiges Wasser untersuchen, obwohl in der Natur nur Eis vorkommt. Man schießt also zwei Eiswürfel mit hoher Geschwindigkeit aufeinander, damit sich zwischen ihnen kurz flüssiges Wasser bildet.“
Wenn die extremen Bedingungen des Quark-Gluon-Plasmas tatsächlich vor langer Zeit das Universum dominiert haben, dann könnte die Untersuchung dieser Bleikollisionen möglicherweise auch Hinweise darauf bergen, wie sich die Materie im Universum später entwickelt hat.
Photonen als Thermometer
Verschiedene Gruppen arbeiten an ALICE daran, dem Quark-Gluon-Plasma auf die Spur zu kommen. Schon seine tatsächliche Temperatur, die im Bereich von mehreren Billionen Grad Celsius vermutet wird, ist Gegenstand der Forschung. Reygers und seine Kollegen gehen dafür den Photonen der Wärmestrahlung des Quark-Gluon-Plasmas nach.
Wärmestrahlung wird von jedem Körper abhängig von seiner Temperatur mit bestimmten Energien abgestrahlt. So produziert etwa die Oberfläche der Sonne mit einer Temperatur von rund 5500 Grad Celsius ein vom menschlichen Auge als weiß empfundenes Lichtspektrum, eine rotglühende Herdplatte ist mindestens 500 Grad Celsius heiß. Auch das kurzlebige Quark-Gluon-Plasma in den Bleikollisionen am LHC hat ein thermisches Spektrum – allerdings sind die meisten abgestrahlten Photonen nicht sichtbar, sondern liegen im Gammabereich.
Beim Flug durch die Instrumente, die in ALICE zur Bestimmung der Flugbahn elektrisch geladener Teilchen dienen, können sich diese Gammaphotonen in Paare von Teilchen und Antiteilchen aufspalten, etwa in ein Elektron und ein Positron. Dies geschieht für etwa jedes zwölfte Gammateilchen, das durch den Detektor fliegt.
Die Signale, die solche Paare in den Detektoren hinterlassen, werden von Reygers und seinen Kollegen untersucht. Wenn es gelingt, ein vollständiges Spektrum der verursachenden Photonen aufzunehmen, lässt sich daraus die Temperatur des Quark-Gluon-Plasmas rekonstruieren. Eine Herausforderung der Messung ist, die thermische Gammastrahlung von anderen in der Bleikollision entstehenden Photonen zu unterscheiden, die oft eine höhere Energie haben.
Reygers erläutert den Vorteil der Vermessung von Teilchen-Antiteilchen-Paaren gegenüber der direkten Photonenmessung: „Für gewöhnlich werden hochenergetische Photonen aus Kernkollisionen vermessen, indem die Teilchenschauer registriert werden, die sie in den Energiemessgeräten namens Kalorimeter auslösen. Für sehr hochenergetische Gammastrahlen ist diese Methode tatsächlich sehr genau. Die von uns gesuchten Gammaphotonen thermischen Ursprungs haben aber niedrigere Energien, im Bereich von ein bis vier Gigaelektronvolt. In diesem Bereich ist die Konversionsmethode genauer als die Kalorimeter.“
Anspruchsvolle Messungen
Die richtigen Teilchensignale zu vermessen, ist hoch kompliziert. Schon in den Kollisionen einzelner Protonen entstehen viele neue Teilchen, die in den Messgeräten Spuren hinterlassen. Wenn schwere Atomkerne aufeinanderprallen, gibt es überwältigend viele solcher Signale. Aus dieser ungeheuren Fülle gilt es für Reygers und seine Kollegen, die relevanten Signale herauszufiltern.
Dabei müssen vor allem auch andere Quellen für Paare geladener Teilchen berücksichtigt werden: Nicht nur die gesuchten thermischen Photonen aus dem Quark-Gluon-Plasma, sondern auch eine Reihe anderer Reaktionen und Zerfälle tragen zu den Messergebnissen bei. Das Isolieren der gesuchten Signale erfordert eine enorme Gründlichkeit bei der Rekonstruktion der entstandenen Teilchen und ihrer Flugbahnen aus den Messdaten.
Um die Ergebnisse mit der Theorie in Einklang bringen zu können, muss vor allem das Material des Detektors genau bekannt sein. Buchstäblich jedes Kabel und jede Schraube kann einen Einfluss darauf haben, welcher Anteil der hochenergetischen Photonen sich umwandelt. Reygers und seine Kollegen beziehen daher in ihre Berechnungen ein eigens erstelltes „Materialbudget“ für die ALICE-Detektoren ein. Dabei handelt es sich um ein auf fünf Prozent genaues Modell von Dichte, Position und Volumen aller Bauteile des Detektors.
Erste Resultate und neue Fragen
Mit den Resultaten der ersten Messungen ist Reygers durchaus zufrieden: „Im Vergleich zu Versuchen mit leichteren Goldkernen am RHIC-Teilchenbeschleuniger in den USA, die bei niedrigeren Energien stattgefunden haben, zeigen unsere Messungen ein Photonenspektrum, das auf eine höhere Anfangstemperatur des Quark-Gluon-Plasmas in den Bleikollisionen hindeutet.“ Dieses Ergebnis entspricht den Erwartungen und bildet damit eine gute Grundlage für die genauere Vermessung der untersuchten Phänomene.
Nun möchten er und seine Kollegen dem immer noch rätselhaften Quark-Gluon-Plasma weiter auf den Grund gehen. Insbesondere beschäftigt sie die Frage, warum im Experiment mehr Photonen beobachtet werden, als die gängige Beschreibung dieses Materiezustands es voraussagt. „Wir haben es mit einem Photonenrätsel zu tun. Das bisherige Modell, das ein Quark-Gluon-Plasma wie eine Flüssigkeit beschreibt, ist sehr wahrscheinlich unvollständig.“ Die Forscher sind zuversichtlich, dass die neuen Messungen nach dem Neustart des LHC im Jahr 2015 weitere Erkenntnisse bringen werden.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/bmbf/physik-der-kleinsten-teilchen/quark-gluon-plasma-im-lhc-beschleuniger/