Physik in der Champagnerflasche
Franziska Konitzer
Öffnet man eine Champagner- oder Sektflasche, stört man ein thermodynamisches Gleichgewicht – mit bekannten Folgen.
Um einen feierlichen Anlass gebührend zu würdigen, ist sie perfekt: eine Flasche Champagner, vielleicht auch Sekt, auf jeden Fall hochwertiger Schaumwein. Nachdem man das Drahtgestell, auch Agraffe genannt, entfernt hat und den Korken vorsichtig löst, folgt ein Knall – und der Korken fliegt davon, wenn man ihn denn nicht festhält. „Das Entkorken einer Champagnerflasche ist in jeder Hinsicht ein sehr eindrucksvolles Ereignis“, erzählt Viki Joergens aus Heidelberg, die sich neben der Astrophysik auch mit der Physik dieses Alltagsphänomens beschäftigt hat. „Das Herausschießen und Knallen des Korkens und etwas später das wunderbare Perlen im Glas, sind aus physikalischer Perspektive die Folge einer Störung des thermodynamischen Gleichgewichts des Systems in mehrfacher Hinsicht.“
Alles im Gleichgewicht
„Die zweite alkoholische Fermentierung findet bei einem Champagner und auch einem traditionell hergestellten Sekt mit sogenannter Flaschengärung in der geschlossenen Flasche statt“, erklärt Joergens. „Das Kohlendioxid, also das CO2, das während dieses Vorgangs erzeugt wird, kann also im Wesentlichen nicht mehr entweichen.“ In der Folge verteilt sich das Kohlendioxid auf die etwa 0,75 Liter Flüssigkeit, in der es in gelöster Form vorliegt, sowie auf den etwa 25 Milliliter großen Freiraum im Flaschenhals zwischen Champagner und Korken, in dem es als Gas vorliegt. „Im Laufe der monate- bis jahrelangen zweiten Fermentierung stellt sich ein Gleichgewicht zwischen der Konzentration von gelöstem Kohlendioxid im Champagner und dem Partialdruck von gasförmigem Kohlendioxidmolekülen über der Champagneroberfläche ein. Man spricht hier auch von einem Gaslösungsgleichgewicht“, so Joergens.
Das CO2-Gas im Flaschenhals übt einen nicht unerheblichen Druck aus: Während der Luftdruck auf Meereshöhe ein bar beträgt und ein Autoreifen einen Druck von etwa vier bar aufweist, kann der Druck in einer gut gekühlten Champagnerflasche bei wenigen Grad Celsius schon über vier bar betragen. „Wie stark die Flasche unter Druck steht, hängt unter anderem von der Temperatur ab“, sagt Joergens. „Je höher die Temperatur, desto höher der Druck. Man kann den Druck in der geschlossenen Flasche abschätzen aus der idealen Gasgleichung einerseits, wonach der Druck eines Gases mit steigender Temperatur bei konstantem Volumen zunimmt, und aus dem Gaslöslichkeitskoeffizienten andererseits, der das Gaslösungsgleichgewicht zwischen dem Champagner und dem CO2-Gas im Flaschenhals bestimmt.“ Bei annähernd Zimmertemperatur beträgt der Druck in der Flasche leicht über sieben bar – und lässt man die Flasche an heißen Sommertagen in der Sonne stehen, kann der Druck bei vierzig Grad Celsius sogar bis auf 15 bar ansteigen.
Nach dem Entfernen der Agraffe hängt es auch von diesem Druck im Inneren ab, ob dem Korken überhaupt noch viel nachgeholfen werden muss. Sobald er entfernt ist, strömt das CO2-Gas ungehindert aus und dehnt sich dabei aufgrund des abrupten Druckabfalls aus. „Dabei gewinnt es das drei- bis fünffache an Volumen und kühlt ganz deutlich ab – um bis zu hundert Grad Celsius“, erklärt Joergens. Mit dem menschlichen Auge ist das Gas allerdings nicht sichtbar, lediglich spezielle Infrarotkameras können das expandierende CO2-Gas bildlich festhalten. Prinzipiell wäre zwar ein Kondensationsnebel zu sehen, dieser löst sich allerdings schon nach wenigen tausendstel Sekunden wieder auf.
Durch seine abrupte Ausdehnung verrichtet das CO2-Gas sogenannte Volumenarbeit, wobei je nach Temperatur unterschiedliche Energiemengen freigesetzt werden. Diese reichen von rund zehn Joule bei wenigen Grad Celsius bis über zwanzig Joule bei Raumtemperatur. Tatsächlich entfallen von dieser Gesamtenergie des expandierenden Gases lediglich etwa fünf Prozent darauf, den Korken aus dem Flaschenhals zu katapultieren. Dies zeigen gemessene Korkgeschwindigkeiten im Labor in der Champagne, die zwischen rund vierzig Kilometer pro Stunde bei gut gekühltem Champagner und über fünfzig Kilometer pro Stunde bei Zimmertemperatur reichen. Der Rest der Energie wird wohl größtenteils für den Knall verwendet, also darauf, die Luft so stark zu komprimieren, dass Schallwellen erzeugt werden.
Bläschen im Champagnerglas
„Ist der Korken weggeflogen, hat der Druckausgleich offensichtlich stattgefunden und das System befindet sich wieder im mechanischen Gleichgewicht. Ein neues Gaslösungsgleichgewicht, das dem neuen Umgebungsdruck entspricht, hat es jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreicht.”, erklärt Joergens. Dadurch enthält der Schaumwein nach dem Öffnen zu viel Kohlenstoffdioxid. „Der Champagner ist jetzt eine übersättigte Lösung. Und dies macht einen großen Teil des Trinkgenusses aus”, so Joergens weiter. Denn um das Gleichgewicht wieder herzustellen, gibt der Champagner Kohlenstoffdioxid ab – sichtbar in Form von aufsteigenden Bläschen im Champagnerglas, die für das typische Perlen sorgen.
Einerseits ist dieser Effekt durchaus erwünscht. Ein nichtperlender Champagner? Undenkbar. Deshalb hilft man im Glas auch gerne etwas nach. So wird beispielsweise empfohlen, die Gläser nicht in der Spülmaschine, sondern von Hand abzutrocknen. Die winzigen Fasern des Handtuchs oder Staubteilchen im Glas dienen nämlich als sogenannte Nukleationskeime für die CO2-Bläschen. Denn ein Gasbläschen innerhalb einer Flüssigkeit zu bilden, ist energetisch extrem aufwendig und passiert beim Champagner nur mithilfe solcher Keime. Inzwischen werden sogar Champagnergläser mit angeritzten Oberflächen hergestellt, die für den gleichen Effekt sorgen.
Andererseits sollte man den Champagner nicht allzu lange perlen lassen – denn sobald alles Kohlendioxid entwichen ist, schmeckt er schal. Deshalb empfiehlt es sich, den Champagner zu trinken, bevor er sein thermodynamisches Gleichgewicht erreicht hat.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/entkorken-einer-champagnerflasche/