Wie entspiegelt man Brillengläser?
David Vogel
Für gewöhnlich mindern Beschichtungen auf Brillengläsern und anderen optischen Linsen unerwünschte Reflexionen. Doch man geht auch neue Wege bei der Entspiegelung und imitiert beispielsweise den Bauplan von Mottenaugen.
Nichts scheint durchsichtiger als Glas. Dennoch sieht ein Brillenträger oft Lichtpunkte, die im eigentlichen Sichtfeld gar nicht vorkommen. Sie entstehen, indem sich rückwärtige Lichtquellen am Brillenglas spiegeln. Vermeiden lässt sich dieser Effekt durch spezielle Beschichtungen: Auf das Glas wird eine transparente, submikrometerdünne Schicht aufgedampft. Dadurch fällt das Licht auf zwei spiegelnde Grenzschichten – eine zwischen Luft und Beschichtung und eine zwischen Beschichtung und Glas.
Während ein Teil des Lichts bereits an der oberen Schicht reflektiert wird, durchdringen andere Lichtwellen diese Lage und werden erst vom Glas wieder zurückgeworfen. Die beiden Teilstrahlen legen damit einen unterschiedlich langen Weg zurück, bevor sie sich wieder überlagern. In der Folge schwingen die Wellen auf ihrem Rückweg meist nicht mehr synchron, sondern haben einen Phasenunterschied – je nachdem, wie groß der Wegunterschied in Einheiten der Wellenlänge ist. Trifft bei den zurücklaufenden Strahlen nun jeweils Wellental auf Wellenberg, löschen sich die Wellen gegenseitig aus. Diese sogenannte destruktive Interferenz ließ sich ausnutzen, um eine reflexfreie Oberfläche zu erhalten.
In der Praxis lässt sich jedoch kaum erreichen, dass sich alle zurücklaufenden Strahlen gegenphasig überlagern und damit alle Reflexe verschwinden. Die Interferenzeffekte hängen nämlich stark von der Wellenlänge und der Richtung des einfallenden Lichts ab, wie ein weiteres Alltagsphänomen veranschaulicht. Ein dünner Ölfilm auf nasser Straße schimmert in den Regenbogenfarben, weil das Licht ebenfalls an zwei Grenzschichten reflektiert wird. Abhängig vom Blickwinkel sehen wir nur die Wellenlängen, die nach ihrem Umweg durch den Ölfilm keinen Phasenunterschied aufweisen und sich somit verstärken. Andere Farben werden dagegen abgeschwächt. Unter einem anderen Winkel betrachtet, ändert sich die Farbmischung.
Weniger Farben mit mehr Schichten
Der schimmernde Ölfilm veranschaulicht den Nachteil einer einlagigen Antireflexbeschichtung: Sie entspiegelt nur für eine Lichtfarbe und eine feste Richtung perfekt. Weichen Einfallswinkel oder Wellenlänge davon ab, nimmt auch die Spiegelwirkung wieder zu. Günstige Objektive und Discounterbrillen sind meist nur einfach beschichtet. Sie funktionieren nahezu optimal für eine Zentralwellenlänge. Andere Wellenlängen schwächen sie nur unvollständig. Was übrig bleibt, mischt sich zur Farbe des restlichen Reflexes. Optiker bieten in der Regel die Wahl zwischen vier oder acht Schichten an.
Jede zusätzliche Schicht löscht ein schmales Band um ihre Zentralwellenlänge herum aus. Wie der Ölfilm zeigt, kann sie aber unter Umständen auch andere Wellenlängen verstärken. Die optimale Zusammensetzung eines solchen komplexen Schichtsystems ermittelt man inzwischen mithilfe von entsprechenden Computerprogrammen. In der Summe können die Restreflexe auf diese Weise weiter reduziert werden. Doch je nach Technik bleiben auch dabei unvermeidliche Reflexfarben zwischen fahlem Grün und Purpur übrig.
Einen anderen Ansatz für die Entspiegelung haben sich Wissenschaftler bei Motten abgeschaut: Die Nachtfalter nutzen das spärliche Dämmerlicht optimal. Kaum ein Strahl, der auf ihre Augen trifft, wird reflektiert. Die Entspiegelung ihrer Augenoberfläche beruht jedoch nicht auf destruktiver Interferenz an dünnen Schichten, sondern auf der geschickten Brechung von Licht. An gewöhnlichen Grenzflächen – etwa von Wasser zu Luft – ändern sich die optischen Verhältnisse abrupt. Dringt Licht in ein anderes Medium, ändert sich die Ausbreitungsrichtung der Wellen und der Strahlenverlauf macht einen Knick – das Licht wird gebrochen. Wie stark der Knick ausfällt, gibt der sogenannte Brechungsindex eines Materials an.
Reflexfreie Hochleistungsoptik für ein breites Spektrum
Mottenaugen weisen, unter dem Rastertunnelmikroskop betrachtet, ausgesprochen feine Strukturen auf. Winzige Säulen mit einer Höhe und einem Durchmesser von nur wenigen Nanometern überziehen die Oberfläche. Eine Grenzfläche, an der sich der Brechungsindex abrupt ändert, gibt es dadurch nicht. Stattdessen bilden die Nanosäulen eine breitere Grenzzone, in der sich die Werte zwischen Luft und Auge graduell angleichen. Entsprechend vollzieht der Lichtstrahl keinen Knick, sondern eine Kurve. Er wird eher gebogen als gebrochen.
Um es bildlich auszudrücken: Das Licht prallt nicht ab – es wird vielmehr in der Nanostruktur gepuffert und „sickert“ nahezu ohne Reflexionsverlust in das Auge ein. Die Formeln des Physikers Augustin Jean Fresnel aus dem 19. Jahrhundert begründen dies auch mathematisch. Mit ihrer Hilfe wurde die Lichtausbreitung an einer Grenzschicht quantitativ fassbar. Sie zeigen, dass die Reflexion umso stärker ist, je sprungartiger der Brechungsindex an der Mediengrenze wechselt.
Inzwischen findet sich dieses Design aus dem Tierreich auch im Labor wieder. Denn für Anwendungen in der Forschung genügt das herkömmliche Entspiegelungsverfahren nur selten. So könnte man beispielsweise nicht gleichzeitig mit Röntgen- und Infrarotlicht experimentieren, weil die Beschichtungen nur für einen schmalen Wellenlängenbereich optimiert sind. Für die Mottenaugentechnologie spielt die Wellenlänge des Lichts hingegen kaum eine Rolle. Bei sehr hochwertigen Linsen lohnt sich also der technische Aufwand, ihrer Oberfläche eine Nanostruktur nach Vorbild der Mottenaugen einzuprägen.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/entspiegelnde-brillenbeschichtungen/