Warum dreht sich die Erde?
Wenn wir in unserem Alltag einen Gegenstand in Bewegung versetzen, kehrt er von allein in den Zustand der Ruhe zurück. Ein Karussell dreht sich, solange der Motor es antreibt. Schaltet man den Motor aus, so kommt es langsam zum Stillstand. Müsste demnach nicht auch die Bewegung der Himmelskörper ständig durch eine Kraft angetrieben werden, damit sie nicht zum Stillstand kommen?
Es ist die Reibung, die uns zu dieser falschen Schlussfolgerung verleitet: Reibungskräfte beeinflussen alle Bewegungen in unserer Alltagsumgebung und bremsen sie ab, in dem sie Bewegungsenergie in Wärmeenergie umwandeln. Tatsächlich glaubten die Naturforscher deshalb bis in das 17. Jahrhundert hinein, dass die Ruhe der natürliche Zustand aller Körper sei und eine permanent wirkende Kraft nötig sei, um eine Bewegung aufrecht zu erhalten.
Erst der englische Physiker und Astronom Isaac Newton erkannte, dass Körper ihren Bewegungszustand beibehalten, wenn keine Kräfte auf sie wirken. Kräfte ändern den Bewegungszustand eines Körper: Die Kraft des Motors beschleunigt das Karussell, die Reibungskraft bremst es ab. Bei den kosmischen Bewegungen spielt Reibung keine große Rolle (auf Ausnahmen kommen wir später zurück), deshalb wird die Bewegung der Planeten selbst über Jahrmilliarden hinweg nicht langsamer.
Ein völlig kräftefreier Körper würde sich allerdings - da sein Bewegungszustand sich nicht ändert – immer geradeaus bewegen. Wie Isaac Newton ebenfalls erkannte, ist eine Zentralkraft – die Anziehungs- oder Gravitationskraft der Sonne – nötig, um die Planeten auf ihrer Bahn zu halten. Im einfachen Fall einer exakten Kreisbahn wirkt die Gravitation stets senkrecht zur Bewegungsrichtung und ändert deshalb lediglich die Richtung, aber nicht die Geschwindigkeit der Bewegung: Der Planet bewegt sich folglich mit konstanter Bewegung im Kreis um die Sonne herum. In der Realität ist es etwas komplizierter, da sich die meisten Himmelskörper auf Ellipsenbahnen bewegen, bei denen sich sowohl Richtung als auch Geschwindigkeit entlang des Bahnverlaufs ändern. Doch auch hier gilt: Solange neben der Gravitation keine weitere Kraft wirkt, bleibt die Bahnbewegung insgesamt unverändert bestehen.
Damit haben wir aber noch keine Erklärung für die Eigendrehung der Erde. Da sich die Sonne und die meisten Planeten und Monde in die gleiche Richtung drehen, liegt die Vermutung nahe, dass die Rotation der Himmelskörper etwas mit der Entstehungsgeschichte des Sonnensystems zu tun hat. Unser Sonnensystem ist vor etwa 4,6 Milliarden Jahren aus einer großen Gas- und Staubwolke entstanden, die sich langsam zusammengezogen hat. Wie bei einer Eiskunstläuferin, die bei einer Pirouette langsam die Arme anzieht, hat auch bei dieser Gaswolke die Eigendrehung bei der Kontraktion zugenommen. „Drehimpulserhaltung“ nennen die Physiker dieses Phänomen.
Allerdings war der Drehimpuls der Wolke viel zu groß für einen Stern – die bei der schnellen Rotation auftretende Fliehkraft hätte die Entstehung unserer Sonne von vorn herein verhindert. Deshalb bildete sich um die entstehende Sonne eine flache rotierende Gas- und Staubscheibe heraus, die einen großen Teil des Drehimpulses aufgenommen hat. Aus dieser Scheibe sind dann die Planeten und Monde entstanden. Tatsächlich enthält unsere Sonne zwar 99,9 Prozent der Masse des Sonnensystems, aber nur 0,5 Prozent des Drehimpulses! Der Löwenanteil des Drehimpulses liegt in der Bahnbewegung, ein kleinerer Teil davon in der Eigendrehung der Planeten und Monde.
Gerade in der Frühzeit des Sonnensystems haben aber auch Zusammenstöße von Himmelskörpern die Rotation der Planeten beeinflusst. So verdankt die Venus ihre retrograde – also der vorherrschenden Richtung entgegen gerichtete - Eigendrehung vermutlich dem Aufprall eines Asteroiden. Und die Entstehung des Mondes durch den Zusammenprall der Ur-Erde mit einem etwa marsgroßen Körper hat wohl auch die Rotation der Erde erheblich geändert.
Nach heutigen Erkenntnissen hat dieses Ereignis die Drehung der Erde so beschleunigt, dass der Tag auf unserem Planeten zunächst lediglich rund 14 Stunden lang war. Und damit kommen wir noch einmal zur Reibung zurück. Die vom Mond auf der Erde erzeugten Gezeiten wirken nämlich wie eine gewaltige Bremse und haben so die Drehung der Erde auf den heutigen Wert verlangsamt. Derzeit nimmt die Länge des Tages durch die Gezeitenreibung um etwa 23 Mikrosekunden pro Jahr zu. Zugleich entfernt sich dabei der Mond pro Jahr um 3,8 Zentimeter von der Erde – auch dies ist wieder eine Folge der Drehimpulserhaltung.
Die Gezeitenreibung hat außerdem dazu geführt, dass der Mond heute eine so genannte gebundene Rotation besitzt, also der Erde immer die gleiche Seite zuwendet. Die Gezeitenreibung spielt auch bei anderen Planeten-Mond-Systemen, bei Planeten auf engen Umlaufbahnen und bei engen Doppelsternen eine wichtige Rolle.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/erddrehung/