Wie entstehen Gewitterblitze?
Sven Titz
Ein Gewitter mit Blitz und Donner erschreckt und fasziniert uns zugleich. Die wichtigsten Zutaten für Gewitterwolken sind aufsteigende Luft und Wasserdampf. Doch wodurch entstehen Gewitterblitze und wie finden sie ihren Weg zur Erde?
Gewitter können sich bilden, wenn feuchte Luftmassen, die wärmer sind als ihre Umgebung, zusammenströmen und aufsteigen. Kondensiert der Wasserdampf in der Luft, so entwickelt sich zunächst eine Haufenwolke, die Meteorologen als „Cumulus“ bezeichnen. Falls die äußeren Bedingungen günstig sind, strömt die feuchte Luft weiter in die Höhe und der Wolke wächst ein ambossförmiges „Dach“, das aus winzigen Eiskristallen besteht. Die Cumuluswolke wird zum „Cumulonimbus“ – zur Gewitterwolke.
Je nachdem, ob man sich in den mittleren Breiten oder in den Tropen befindet, kann die Höhe eines Cumulonimbus zwischen 10 und 20 Kilometer erreichen. Während sich die Gewitterwolke auftürmt, trennen sich in ihrem Innern die Ladungen durch Reibung, Stöße und Zerstäuben der Wasserteilchen: Die Eiskristalle laden sich positiv auf, die Tropfen negativ. Dadurch entsteht im kalten oberen Teil der Wolke ein Gebiet positiver Ladung, während nahe dem Erdboden negative Ladung überwiegt.
Dazwischen bildet sich ein elektrisches Feld aus, das schließlich bis zur kritischen Schwelle von ungefähr 170 000 Volt pro Meter ansteigt. Ein gigantischer Kurzschluss kündigt sich an: der Blitz. Er kann sich innerhalb der Wolke oder zwischen Wolke und Boden entladen.
Der Blitz wird „gefangen“
Es gibt verschiedene Blitztypen, doch einer von ihnen tritt am häufigsten auf – der „negative Wolke-Boden-Blitz“. Dabei wandern zunächst negative Ladungsträger im sogenannten Leitblitz ruckartig in Richtung Boden und bereiten einen ionisierten Kanal vor. Ionisiert bedeutet, dass die Atome und Moleküle der Luft Elektronen freisetzen, sodass ein elektrischer Strom fließen kann. Der Boden unter dem Gewitter lädt sich währenddessen positiv auf. Diesen elektrostatischen Effekt der Ladungsverschiebung durch ein elektrisches Feld bezeichnet man auch als Influenz.
An exponierten Orten ist das elektrische Feld besonders groß, zum Beispiel auf Kirchtürmen. Von solchen Stellen geht dem Leitblitz eine positive Ladung entgegen – die sogenannte Fangentladung. Sie stellt die Verbindung zwischen Wolke und Boden her und schließt somit den Blitzkanal. Jetzt folgt die Hauptentladung, die oft aus mehreren Einzelentladungen besteht. Die Stromstärke kann dabei 100 000 Ampere erreichen.
Im Blitzkanal wird es innerhalb von zehn bis hundert millionstel Sekunden bis zu 30 000 Grad Celsius heiß. Dabei wird die Luft zum Plasma – dem Aggregatzustand der Materie, in welchem Atomkerne und Elektronen nicht mehr aneinander gebunden sind. Außerdem entsteht ein enormer Überdruck, aufgrund dessen sich die Luft explosionsartig ausdehnt und Stoßwellen in der Luft hervorruft: Es donnert. Aus der Zeit, die zwischen Blitz und Donner verstreicht, lässt sich berechnen, wie weit der Blitz entfernt war. Denn der Schall bewegt sich durch die Luft mit etwa 340 Metern pro Sekunde viel langsamer als das Licht mit 300 000 Kilometern pro Sekunde: Die Zahl der Sekunden durch drei dividiert ergibt ungefähr die Distanz in Kilometern.
Anders als intuitiv erwartet wird die durchschnittliche elektrische Spannung zwischen Atmosphäre und Erdboden durch Gewitter nicht verringert, sondern vergrößert: Denn in ihrer Summe wirken Gewitter wie elektrostatische Generatoren. Die Blitze transportieren im Mittel negative Ladung aus der Luft zur Erde. Lokal entlädt sich zwar die Spannung zwischen Wolke und Erde – von dem globalen elektrischen Feld „spürt“ das Gewitter aber nichts. Global betrachtet handelt es sich daher um eine Aufladung. Sie führt dazu, dass die Atmosphäre positiv geladen ist und der Boden negativ. Bei Wetterlagen ohne Gewitter wird diese Spannung durch den Transport von Ionen, also elektrisch geladenen Atomen oder Molekülen, langsam wieder abgebaut.
Gewitterblitze in der Forschung
Die meisten Blitze treten über tropischen Landmassen auf, denn dort sind die Bedingungen für Gewitter – feuchte, aufsteigende Luft – besonders günstig. Die höchste Blitzdichte des Planeten herrscht über dem Maracaibo-See in Venezuela, wo es im Jahresmittel nahezu jede zweite Nacht gewittert.
Blitze werden vor allem für die Wettervorhersage und den Schutz vor Blitzschäden erforscht. In Hochspannungslabors erzeugt man zu diesem Zweck auch künstliche Blitze. Mit Sensornetzen wie BLIDS wird dagegen die Zahl und den Ort von Blitzen in Echtzeit bestimmt. Dies soll auch die kurzfristige Vorhersage von den mit Gewittern verbundenen Gefahren verbessern. Außerdem beobachten Satelliten Blitze, um die Gewitteraktivität über großen Gebieten der Erde zu erfassen.
Anmerkung der Redaktion: Die erste Version dieses Artikels erschien 2006 auf Welt der Physik. Im Mai 2021 wurde der Text überarbeitet und aktualisiert.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/gewitterblitze/