Warum ist der Mond am Horizont so groß?

Rainer Kayser

Mond am Horizont hinter Teleskopen auf einer Bergkuppe

G.Gillet/ESO

Wohl jeder hat schon darüber gestaunt: Der Vollmond geht auf – und erscheint uns von ungewöhnlicher Größe. Für diese Erscheinung kursieren verschiedene Erklärungen. Tatsächlich handelt es sich schlicht um eine optische Täuschung.

Der Erdtrabant wirkt am Horizont viel größer, als wenn er hoch am Nachthimmel steht. Ein nahe liegender physikalischer Grund könnte lauten, dass das Licht des Mondes am Horizont einen größeren Weg durch die irdische Atmosphäre zurücklegen muss: Das Licht wird in der Luft gebrochen und dadurch vergrößert sich das Bild des Mondes. Diese Erklärung vertrat Aristoteles schon vor über 2000 Jahren und sie kursiert noch heute – doch sie ist falsch.

Foto: Detaillierte Grossaufnahme des Mondes.

Der Mond

Zwar verfärbt sich das Mondlicht am Horizont aufgrund des längeren Weges durch die Atmosphäre rötlich – wie es auch das Sonnenlicht tut. Vergrößert wird der Mond davon jedoch nicht. Vielmehr handelt es sich schlicht um eine optische Täuschung. Genaue Winkelmessungen zeigen, dass der Monddurchmesser am Horizont denselben Wert besitzt wie anderswo am Himmel, nämlich etwa einen halben Grad. Die Mondvergrößerung ist also kein physikalisches Phänomen, sondern erfolgt in unserem Gehirn.

Die Ponzo-Illusion?

Eine mögliche Erklärung für die scheinbare Größe des Mondes am Horizont bietet die so genannte Ponzo-Illusion, benannt nach dem italienischen Psychologen Mario Ponzo (1882–1960). Unser Gehirn konstruiert nämlich die Größe eines Objekts durch den Vergleich mit anderen Objekten. Zeichnet man etwa in zwei zusammenlaufende Linien (wie zum Horizont verlaufende Eisenbahnschienen) oben und unten je einen waagerechten Strich hinein, so erscheint uns der obere Strich länger, auch wenn beide exakt gleich lang sind.

Bei der Mond-Illusion könnten Objekte am Horizont – Häuser und Bäume – die Rolle der Schienen spielen. Durch den Vergleich mit den Objekten konstruiert unser Gehirn, so die These, einen größeren Mond, als wenn der Mond einsam und allein am Himmel steht.

Unser Bild vom Himmelsgewölbe ist flach

Im Extremfall zieht der Mond nahezu auf einer Kreisbahn über uns als Beobachter hinweg. Wir Menschen nehmen das Himmelsgewölbe nicht als perfekte Halbkugel, sondern als abgeflachte Kuppel wahr. Unser Gehirn lässt dadurch ein Objekt am Horizont größer erscheinen als ein gleich großes im Zenit.
Die Infografik zeigt einen Mond auf einer Kreisbahn und Projektionen des Mondes auf ein abgeflachtes Himmelsgewölbe. Die Projektion des Mondes am Horizont ist größer als die Projektion des Mondes im Zenit.

Das abgeflachte Himmelsgewölbe

Doch es gibt ein Problem mit dieser Erklärung. Auch Piloten und Flugpassagiere berichten nämlich, dass ihnen der Mond in Horizontnähe größer erscheint - doch aus großer Höhe sind keine Vergleichsobjekte am Horizont mehr zu erkennen. Hier liegt also keine Ponzo-Illusion vor.

Deshalb gehen die meisten Forscher heute von einer anderen Erklärung aus. Die Menschen, so lautet diese, nehmen das Himmelsgewölbe nicht als perfekte Halbkugel wahr, sondern als eine abgeflachte Kuppel. Der Zenit über uns scheint uns also näher zu sein als der Horizont. Tatsächlich rechtfertigt sich diese Vorstellung durch Wolken, Flugzeuge und Vögel: Fliegende Objekte über uns sind uns im Allgemeinen tatsächlich näher als fliegende Objekte am Horizont. Unser Gehirn zieht daraus den Umkehrschluss, dass ein Objekt am Horizont weiter entfernt und somit tatsächlich größer ist als ein Objekt scheinbar gleicher Größe über uns. Das bedeutet, dass unser Gehirn ein Objekt am Horizont größer erscheinen lässt als ein gleich großes Objekt im Zenit.

Neuer Aufbruch zum Mond in der Forschung

Obwohl sich der Mond seit Jahrhunderten im Visier der Astronomen befindet und schon von zahlreichen Raumsonden und Astronauten besucht wurde, sind keineswegs alle Rätsel des Erdtrabanten gelöst. Deshalb rückt der Mond derzeit wieder verstärkt ins Zentrum der Weltraumforschung. Die USA, die Europäer, China und auch Indien planen neue Mondsonden – und am Ende des kommenden Jahrzehnts will die NASA eine bemannte Mondstation errichten.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/mond-am-horizont/