Physik der Weihnachtsbäckerei
Sebastian Hollstein
Kurz gefasst
- Verschiedene Teigarten unterscheiden sich sehr in ihren physikalischen Eigenschaften
- Die einzelnen Zutaten können sich auf unterschiedliche Weise miteinander verbinden, was die Konsistenz und Textur des späteren Backwerks maßgeblich beeinflusst
- Etwas andere Gewürze und ein paar chemische Tricks verleihen altbekannten Weihnachtsplätzchen einen ganz neuen Geschmack
Welt der Physik: Egal ob Plätzchen, Lebkuchen oder Stollen – Ausgangspunkt für jedes leckere Backwerk an Weihnachten ist ein Teig. Was ist das eigentlich aus physikalischer Sicht?
Thomas Vilgis: „Es gibt sehr verschiedene Teigarten mit unterschiedlichen Eigenschaften – von einem sehr elastischen Hefeteig für den klassischen Christstollen über Mürbeteig, der beispielsweise die Grundlage für Vanillekipferl ist, bis hin zu Sauerteig vor allem für Brote. Verallgemeinert gesagt ist ein Teig eine Mischung verschiedener Materialien, die je nach dem Verhältnis von Mehl, Wasser und Fett verschiedene physikalische Zustände einnehmen kann.
Verrührt man Wasser und Mehl im passenden Verhältnis miteinander, dann entsteht etwas Elastisches. Das ist schon ein kleines physikalisches Wunder. Denn wenn Sie beispielsweise zu Sand, einem ähnlich granularen Medium wie Mehl, Wasser geben, dann passiert das nicht – auch wenn sich beide Komponenten leicht miteinander verbinden, wie man beim Sandkuchenbacken am Strand sehen kann.“
Wie kommt es zu diesem kleinen Wunder? Warum verbinden sich die Zutaten zu einem Teig?
„Das kommt auf den Teig an. Mehl besteht im Wesentlichen aus zwei physikalisch relevanten Komponenten: Protein und Stärke. Die Stärke ist verpackt in harten Körnern, die sich im Kontakt mit Wasser nicht auflösen. Zwei der Proteine dagegen – im Weizenmehl heißen sie Gliadin und Glutenin – haben hydrophile Aminosäuren. Das heißt, sie binden Wasser.
Die Proteine quellen dadurch auf, entwickeln sich zu langen gummiartigen Fäden und verbinden sich während des Knetens schließlich zu einem sogenannten Glutennetzwerk. Dieser Prozess verklebt alle Zutaten zu einem elastischen Teiggerüst. Das gilt in erster Linie für einen Hefeteig, der mit viel Flüssigkeit zubereitet wird. Das Glutennetzwerk fängt auch das CO2, das während der Hefegärung entsteht, gut ein. So geht der Hefeteig auf.“
Zur Person
Wie ist das beim Mürbeteig, der seine Feuchtigkeit nicht aus Wasser, sondern aus Fett bezieht?
„In der Regel verknetet man hier Mehl mit kalter Butter zu einer kompakten Kugel. Dabei werden die Glutenproteine im Fett eingesperrt – die hydrophilen Aminosäuren haben also keine Chance, sich mit Wasser zu verbinden und ein Netzwerk zu bilden. Die Bindungen zwischen den einzelnen Granulaten bestehen nur aus erstarrtem Fett. Die elastischen Eigenschaften des Hefeteigs sind hier nicht vorhanden, weder beim Teig noch später beim Gebäck: Es lässt sich also nicht wie ein Hefezopf auseinanderziehen, sondern ist eher brüchig wie etwa ein Vanillekipferl.“
Wenn alle Zutaten vermengt und gut durchgeknetet sind, landet jeder Teig früher oder später im Ofen. Was passiert beim Backen?
„Auch hier geschehen je nach Teigart völlig unterschiedliche Dinge. Beim Mürbeteig sorgt das wenige Wasser der Butter dafür, dass die Stärke innerhalb der einzelnen Körner schmilzt. Das heißt, das Amylopektin – der Hauptbestandteil der Stärke, der unter Zimmertemperatur kristallin ist und kein Wasser aufnehmen kann – fächert sich zu einem verzweigten Biopolymer auf. In den Verästelungen wird nun Wasser eingeschlossen und die Stärke so verkleistert.
Die Proteine haben aufgrund ihrer Fettummantelung dagegen auch beim Erhitzen keine Chance, sich miteinander zu verbinden. In der Folge wird das Gebäck letztlich mürbe und bricht immer irgendwo durch. Deswegen sind Plätzchen aus Mürbeteig knusprig. Das Fett beziehungsweise die Butter wird während des Abkühlens übrigens wieder kristallin, also fest, was für den angenehmen Schmelz im Mundraum sorgt.“
Und wie reagiert ein Hefeteig auf Hitze, also beispielsweise ein Hefestollen?
„Aufgrund des höheren Wassergehalts, der bei etwa 40 bis 50 Prozent liegt, gelatinisiert während des Backens die Stärke im Hefeteig. Das heißt, sie schmilzt und nimmt nahezu das komplette Wasser auf. Gleichzeitig dehnt sich das Glutennetzwerk aufgrund der gesteigerten Gärung zunächst noch einmal aus, bis ungefähr 50 Grad Celsius.
Erhöht sich die Temperatur des Teigs, dann erstarren die Glutenproteine und das Gerüst härtet aus. Im ungebackenen Zustand konnte man den Teig sehr weit dehnen – das geht jetzt nicht mehr. Hefegebäck verhält sich nun wie eine Art Schaum, der elastisch bricht, wenn man ihn auseinanderreißt, während beim Mürbegebäck fast schon ein nahezu unelastischer glasartiger Bruch vorliegt.“
Auch geschmacklich gibt es beim Weihnachtsgebäck große Unterschiede. Wie kommen die verschiedenen Aromen in Keks, Stollen und Co?
„Da das Mehl selbst nicht viel Geschmack mitbringt – außer die Röstaromen, die beim Backen entstehen –, muss etwas nachgeholfen werden. Hauptgeschmacksträger ist Zucker, der an der Oberfläche teilweise karamellisiert. Daneben spielen – gerade an Weihnachten – natürlich Gewürze wie Zimt, Vanille, Kardamom oder Gewürznelken eine große Rolle. Im Mürbeteig werden deren Aromen so gut im Fett gelöst, dass sie während des Backens auch nicht wieder verschwinden. Beim Hefeteig heften sich die Aromastoffe an die hydrophoben Bestandteile der Aminosäuren oder an den geringen Fettanteil im Mehl.“
Sie experimentieren gern mit Geschmack – haben Sie einen Tipp für ein etwas anderes Weihnachtsplätzchen?
„Man kennt ja Zimtsterne, in denen überhaupt kein Getreidemehl enthalten ist. Stattdessen besteht dieses Gebäck vor allem aus Mandelgranulat, Zucker und Eischnee. Probieren Sie hier als Ausgangsstoff mal eine Mischung aus Mandeln und Walnüssen. Die Nüsse bringen eine Adstringenz mit wie beim Rotwein, das heißt, sie sorgen für ein gewisses Reibungsgefühl auf der Zunge. Und wenn Sie dann noch etwas Tonkabohne, Gewürznelken und Muskat hinzufügen, dann haben Sie auf der Basis des Zimtsterns mit ein paar chemischen Tricks und ein paar anderen Aromaten ein ganz neues Weihnachtsplätzchen.“
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/physik-der-weihnachtsbaeckerei/