Warum ist Glas durchsichtig?
Rainer Kayser und Redaktion
Gase und Flüssigkeiten sind häufig durchsichtig, während wir durch feste Stoffe meistens nicht hindurchsehen können. Eine bemerkenswerte Ausnahme ist Glas. Die Oberfläche dieses Materials kann außerordentlich glatt sein, was es von vielen anderen Feststoffen – wie etwa Holz oder Beton – abhebt. Diese Eigenschaft bildet eine wichtige Grundlage für die Lichtdurchlässigkeit.
Sobald man eine Fensterscheibe anraut, ist es nämlich vorbei mit dem Durchblick: Die unebene Oberfläche streut sowohl in das Glas eindringende als auch reflektierte Lichtstrahlen in alle Richtungen. Das Ergebnis ist ein diffuses Leuchten, das allenfalls noch Konturen hinter der Scheibe erahnen lässt. Eine glatte Oberfläche streut das Licht dagegen nicht und es kann in das Glas eindringen. Nur ein kleiner Anteil wird an der Oberfläche reflektiert – deshalb spiegeln wir uns in Fensterscheiben. Die Lichtdurchlässigkeit von handelsüblichen Fensterscheiben liegt bei etwa 80 bis 90 Prozent.
Grenzflächen und Elektronenwolken
Doch auch weitere Effekte spielen eine Rolle. Schließlich gibt es neben Glasscheiben unzählige andere Materialien mit glatten Oberflächen, polierten Marmor oder Keramikfliesen etwa. Licht kommt durch diese Materialien allerdings nicht hindurch. Der Unterschied liegt in der inneren Beschaffenheit – Fliesen besitzen beispielsweise eine körnige, poröse Struktur. Unmittelbar unter der glatten Oberfläche befinden sich unzählige Grenzflächen, die das Licht wieder in alle Richtungen streuen.
Im Gegensatz dazu ist Fensterglas homogen, es besteht hauptsächlich aus unregelmäßig angeordneten Siliziumdioxidmolekülen ohne reflektierende Grenzflächen im Inneren. So kann Licht, wenn es erst einmal in das Glas eingedrungen ist, dieses nahezu ungehindert durchqueren. Auf den ersten Blick scheint damit die Frage beantwortet, warum wir durch Fenster, aber nicht durch Wände hindurchsehen können. Demzufolge müssten aber auch andere homogen aufgebaute Festkörper mit glatten Oberflächen, beispielsweise Metallplatten, transparent sein. Und das ist offensichtlich nicht der Fall. Es muss also eine weitere Besonderheit von Glas geben – und die zeigt sich erst bei einem tiefen Blick ins Innere der Materie.
Jeder Stoff ist aus Atomen aufgebaut. Diese Materiebausteine setzen sich jeweils aus einem positiv geladenen Atomkern und einer Wolke negativ geladener Elektronen zusammen, die den Kern umgibt. In festen Körpern liegen die Atome sehr eng beieinander, wodurch sich die Elektronenwolken gegenseitig beeinflussen. Je nach Material hat das unterschiedliche Folgen. So können die Atome beispielsweise einzelne Elektronen verlieren, die sich dann frei im Festkörper bewegen können – genau das geschieht in Metallen.
Die freien Ladungsträger machen Metalle nicht nur zu elektrischen Leitern, sondern auch zu einem blickdichten Material. Denn bei Licht handelt es sich um Schwingungen des elektrischen und des magnetischen Feldes, die sich im Raum ausbreiten. Das schwingende elektrische Feld versetzt die freien Elektronen in Schwingungen – und schwingende elektrische Ladungen erzeugen ihrerseits wieder schwingende elektromagnetische Felder.
Dieses Wechselspiel führt einerseits dazu, dass bei Metallen ein großer Teil des Lichts bereits an der Oberfläche reflektiert wird, also gar nicht erst tief eindringt. Andererseits werden die elektromagnetischen Wellen des Lichts dadurch früher oder später im Metall absorbiert. Denn die freien Elektronen können die hinzugewonnene Energie auch in Form von Wärme an ihre Umgebung abgeben. Damit geht sie für die Wechselwirkung mit dem Licht verloren. In Glas gibt es dagegen keine freien Ladungsträger, weshalb Licht nur geringfügig reflektiert und auf seinem Weg durch dieses Material nicht absorbiert wird.
Quantenphysik im Glas
Dieser Freifahrtschein gilt allerdings nicht für Licht jeder Wellenlänge. Denn auch an Atomkerne gebundene Elektronen können elektromagnetische Wellen absorbieren – vorausgesetzt, diese besitzen die passende Energie. Anders als freie Elektronen nehmen gebundene Elektronen nämlich nur ausgewählte Energieportionen auf. Wie klein oder groß diese Portionen jeweils sein müssen, hängt von der chemischen Zusammensetzung eines Materials aber auch von der Anordnung der einzelnen Atome zueinander ab.
Sind die Atome vergleichsweise weit voneinander entfernt, wie beispielsweise in der Luft und anderen Gasgemischen, dürfen die an sie gebundenen Elektronen nur ganz bestimmte Energiewerte annehmen. Und ausgehend vom Grundzustand mit der niedrigsten möglichen Energie sind „Sprünge“ in höhere Energieniveaus gemäß der Quantenmechanik nur möglich, wenn die zugeführte Energie exakt der Energiedifferenz entspricht. Infolgedessen absorbieren gebundene Elektronen nur Licht mit spezifischen Wellenlängen.
Liegen die Atome aber dicht zusammen und interagieren miteinander – wie in Festkörpern –, fächern sich die diskreten Energiewerte zu breiteren Energiebereichen oder Energiebändern auf. Dieses Verhalten lässt sich auch in Glas beobachten. Um die Elektronen in ein höheres Energieband zu befördern, muss das Licht auch hier eine gewisse Energie mitbringen. Und das liefert den finalen Grund, warum Fensterscheiben durchsichtig sind: Die Energie von sichtbarem Licht reicht nicht aus, um die Bandlücke – also die Energiedifferenz zum nächsthöheren Band – zu überwinden.
Daher können die in den Molekülen des Siliziumdioxids gebundenen Elektronen die Wellenlängen im sichtbaren Bereich, der sich von etwa 380 bis 780 Nanometern erstreckt, nicht absorbieren. Erst ultraviolette Strahlung besitzt ausreichend Energie, um mit den Elektronen im Glas in Wechselwirkung zu treten. Deshalb blockieren Fensterscheiben die kurzwellige UV-B- und UV-C-Strahlung fast vollständig. Tatsächlich ist Glas also nicht für das gesamte elektromagnetische Spektrum durchsichtig.
Glas mit Farbe und Funktion
Die optischen Eigenschaften von Glas lassen sich gezielt beeinflussen. Verschiedene Glasfarben entstehen beispielsweise, wenn dem Siliziumdioxid verschiedene Metallverbindungen beigemengt werden. Das klassische Grün von Weinflaschen beruht beispielsweise auf der Zugabe von Eisenoxid. Die eingebrachten Partikel absorbieren rote Wellenlängen – und da dieser Anteil des Lichts nach einer Passage durch das Glas fehlt, erscheint uns die Flasche nicht mehr farblos, sondern grün.
Durch ein ähnliches Prinzip lassen sich auch selbsttönende Brillengläser herstellen. Möglich machen das spezielle Moleküle im Glas, die auf UV-Strahlung reagieren. In der Sonne ändern die photoaktiven Verbindungen innerhalb von Sekunden ihre Struktur und verdunkeln dadurch die Sicht. Im Schatten kehren die Moleküle wieder in ihren Ursprungszustand zurück und die Gläser hellen sich auf.
Auch maßgeschneiderte Beschichtungen verbessern die optischen Eigenschaften von Gläsern, etwa wenn es um unerwünschte Reflexionen auf Brillengläsern und anderen optischen Linsen geht. Eine hauchdünne Schicht auf dem Glas sorgt dafür, dass das Licht auf zwei spiegelnde Grenzschichten trifft – eine zwischen Luft und Beschichtung und eine zwischen Beschichtung und Glas. Das Licht spaltet sich dadurch in mehrere Teilstrahlen auf, die sich überlagern. Auf diese Weise lässt sich eine nahezu reflexfreie Oberfläche erzeugen.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/warum-ist-glas-durchsichtig/