Warum wir einen „gewischt“ bekommen

Wenn uns beim Kämmen die Haare zu Berge stehen, unser Pulli seltsam knistert und förmlich am Körper klebt oder wir beim Anfassen der Türklinke einen Stromschlag spüren, steckt meist ein und dasselbe Phänomen dahinter – statische Elektrizität.

Rainer Kayser und Redaktion

Das Foto zeigt eine Hand, die eine Türklinke berührt.

olhakozachenko/iStock

Kurz gefasst

  • Berühren sich zwei Oberflächen, tauschen sie Elektronen untereinander aus und können sich dadurch elektrisch aufladen
  • Reibung verstärkt das Phänomen zwar, Ursache für das Ungleichgewicht in der Ladungsverteilung ist aber allein der Kontakt zwischen den Materialien
  • Die elektrostatische Aufladung kann so stark sein, dass es zu einem spontanen Ladungsausgleich kommt – den nehmen wir dann beispielsweise als Stromschlag wahr oder hören ein Knistern
  • Für einen Menschen sind solche Entladungen völlig ungefährlich, aber beim Umgang mit Dämpfen oder Stäuben ist Vorsicht geboten

Das hat vermutlich jeder schon einmal erlebt: Beim Kämmen verhalten sich die Haare plötzlich seltsam widerborstig – sie stehen vom Kopf ab und werden vom Kamm angezogen. Das Phänomen tritt nicht immer auf. Die Haare müssen frisch gewaschen und trocken sein, die Luftfeuchtigkeit gering und der Kamm aus Kunststoff. Denn die Ursache ist Elektrizität, genauer: statische Elektrizität. „Statisch“ bedeutet dabei „ruhend“, es fließen also keine elektrischen Ladungen wie in einem Stromkabel, sondern es handelt sich um ruhende Ladungen, die sich gegenseitig anziehen oder abstoßen.

Beim Kämmen nämlich geraten Elektronen aus den Haaren in den Kamm. Der Kamm ist dadurch elektrisch negativ geladen und die Haare positiv. Deshalb zieht der Kamm die entgegengesetzt geladenen Haare an – während sich die Haare untereinander aufgrund ihrer gleichen Ladung abstoßen.


Luftballon an der Decke

Die Grafik zeigt einen Luftballon, der unter der Decke klebt. Auf dem Luftballon ist die negative Ladung in Form von drei Minuszeichen dargestellt, die positive Ladung der Decke durch drei Pluszeichen.

Elektrisch aufgeladener Ballon

Der Effekt lässt sich noch ein wenig spektakulärer mit einem aufgeblasenen Luftballon demonstrieren. Reibt man diesen an seinen Haaren, so entzieht er den Haaren – genau wie ein Kamm – Elektronen, lädt sich so negativ auf und zieht die positiv geladenen Haare an. Hält man den elektrisch aufgeladenen Ballon nun an die Zimmerdecke, bleibt er dort eine ganze Weile kleben. Mit seiner negativen Ladung nämlich stößt der Ballon an der Oberfläche der Zimmerdecke die Elektronen ab und es bildet sich so eine leicht positive Schicht, die den Ballon anzieht. Mit der Zeit wandern allerdings Elektronen vom Ballon in die Oberfläche der Zimmerdecke und sorgen so für einen Ladungsausgleich. In der Folge schwebt der Ballon schließlich wieder herab.

Triboelektrizität – kein neues Phänomen

Erstmals beschrieben hat solche elektrostatischen Phänomene der griechische Naturforscher Thales von Milet. Thales beschreibt bereits um 550 vor Christus, dass sich Bernstein durch das Reiben an einem Tierfell elektrisch auflädt. Kleine Federn und Strohstückchen, so Thales, bleiben nach der Prozedur an dem Bernstein kleben. Aus seiner Sicht war die Ursache dafür Reibung, weshalb das Phänomen noch heute als Reibungselektrizität oder – abgeleitet vom altgriechischen Wort für „Reiben“ – als Triboelektrizität bezeichnet wird. Doch hier irrte der Forscher: Zwar kann Reibung das Phänomen erheblich verstärken, doch der eigentliche Grund liegt allein im Kontakt zwischen zwei elektrisch nichtleitenden Materialien.

Während elektrische Leiter eine Vielzahl freier Elektronen enthalten, die beim Anlegen einer Spannung zu einem elektrischen Strom führen, kreisen in nichtleitenden Materialien nahezu alle Elektronen fest um ihre Atomkerne. Aber keineswegs alle: Auch hier gibt es, wenn auch wenige, freie Elektronen. Durch die thermische Bewegung der Atome kann an der Oberfläche eines Materials hin und wieder ein Elektron einen Stoß erhalten, der es kurzzeitig ein winziges Stück aus dem Material herausbefördert. Die dazu nötige Energie wird als „Austrittsarbeit“ bezeichnet.

In der Illustration sind Haar und Kamm stark vergrößert dargestellt – die Oberflächen sind nicht glatt, sondern zeigen im Querschnitt viele Erhöhungen und Vertiefungen. Elektronen sind in Form kleiner Kreise dargestellt, wobei Pfeile die Richtung anzeigen, in die sie wandern.

Elektronenaustausch zwischen Haar und Kamm

Wie viele Elektronen aus einer Oberfläche austreten können, hängt vom Material und dessen charakteristischen Austrittsarbeit ab. Dieser Umstand führt beim Kontakt zwischen zwei unterschiedlichen Stoffen zur elektrostatischen Aufladung: Aus dem Material mit der niedrigeren Austrittsarbeit, etwa menschlichem Haar, treten an der Oberfläche mehr Elektronen aus als aus dem Stoff mit der höheren Austrittsarbeit, etwa einem Kamm aus Kunststoff. In der Konsequenz wandern mehr Elektronen in die eine als in die andere Richtung, wodurch sich in unserem Beispiel das Haar positiv und der Kamm entsprechend negativ aufladen.


Welche Rolle spielt Reibung bei der statischen Aufladung?

Für den Übergang der Elektronen von einem Material in das andere ist ein direkter Kontakt notwendig – und zwar auf atomarer Ebene. Allerdings sind selbst die Oberflächen glatter Stoffe auf dieser Skala uneben und unregelmäßig, sodass sich die Materialien auch bei augenscheinlich engem Kontakt nur an wenigen Stellen tatsächlich nahe genug kommen. Indem man die Oberflächen gegeneinander reibt, kann der Elektronenaustausch an deutlich mehr Stellen stattfinden. Das verstärkt den triboelektrischen Effekt.

Mithilfe der Austrittsarbeit lassen sich viele triboelektrische Phänomene erklären – aber keineswegs alle. So sollte sich jeder Stoff in eine „triboelektrische Reihe“ sortieren lassen: Ganz oben steht das Material mit der niedrigsten Austrittsarbeit, ganz unten jenes mit der höchsten. Doch tatsächlich sträuben sich manche Kombinationen von Materialien dagegen und bilden „triboelektrische Zyklen“. Ein Beispiel ist die Reihe Seide, Papier, Baumwolle, Glas und Zink. Hier ist jeweils das nachfolgende Element gegenüber dem vorherigen beim Kontakt negativ geladen. Doch bringt man Zink wieder in Kontakt mit Seide, so ist auch diese negativ geladen und der Kreis schließt sich.

Zweiteilige Grafik. Links: Neben einem senkrechten Pfeil mit einem Pluspol (oben) und einem Minuspol (unten) sind verschiedene Materialien in folgender Reihenfolge angeordnet: Ganz oben steht Leder, es folgen Glas, Haar, Wolle, Fell, Papier, Baumwolle, Holz, Bernstein, Polyester und PVC. Rechts: In einem Kreis sind die Materialien Seide, Papier, Baumwolle, Glas und Zink angeordnet – verbunden durch Pfeile.

Triboelektrische Reihen und Zyklen

Auch das Auftreten von Triboelektrizität zwischen zwei Gegenständen aus ein und demselben Material zeigt, dass allein die Erklärung über die Austrittsarbeit unvollständig und unzuverlässig ist. Es gibt eine Vielzahl weiterer Eigenschaften, die das Phänomen beeinflussen. Im Fall von kristallinen Materialien zählt beispielsweise die Orientierung des Kristallgitters dazu, was sich bei einigen thermoplastischen Kunststoffen beobachten lässt. Aber auch innere Spannungen durch Streckung, Stauchung oder Verbiegen haben einen Einfluss. Tatsächlich kann ein gebogenes Material sich auf der konkaven Seite elektrostatisch anders verhalten als auf der konvexen.

Bislang gibt es keine vollständige Theorie des triboelektrischen Effekts, die alle damit verbundenen Phänomene korrekt beschreibt. Doch für die meisten Situationen, in denen es im Alltag zu einer elektrostatischen Aufladung kommt, reicht die einfache Beschreibung über die Austrittsarbeit völlig aus.

Knistern und Blitzen

Neben dem eher amüsanten Effekt der abstehenden Haare zeigt sich Triboelektrizität auch häufig bei Kleidung: Manche Stoffe – insbesondere solche aus Polyester – können aufgrund ihrer elektrostatischen Aufladung förmlich an der Haut kleben. Und Textilien aus unterschiedlichem Material lassen sich mitunter nur mühsam voneinander trennen. Die Aufladung kann so stark sein, dass es beim Ablösen stellenweise zu einem spontanen Ladungsausgleich kommt. Das hören wir dann als Knistern – und im Dunkeln lassen sich dabei sogar kleine Blitze beobachten.

Findet der Ladungsausgleich direkt mit der Haut statt, spüren wir einen unangenehmen Stromschlag. Förmlich „einen gewischt bekommen“ wir, wenn unser Körper über längere Zeit Elektronen abgegeben hat, etwa weil wir mit Ledersohlen über einen Wollteppich gelaufen sind oder weil unsere Kleidung in Kontakt mit dem Kunststoffmaterial eines Sitzes war. Berühren wir dann mit der Hand ein elektrisch leitendes Material, eine Türklinke oder einen Wasserhahn beispielsweise, so kommt es schlagartig zum Ladungsausgleich – mit den bekannten Folgen.

Im Winter passiert das häufiger als im Sommer, weil die Luftfeuchtigkeit – und damit auch die elektrische Leitfähigkeit der Luft – im Winter zumeist wesentlich niedriger ist. Bei einer Luftfeuchtigkeit von unter 20 Prozent kann die elektrische Spannung zwischen einem Menschen und seiner Umgebung auf bis zu 35 000 Volt anwachsen. Bei einer Luftfeuchtigkeit von 65 Prozent ist dagegen maximal eine Spannung von 1500 Volt möglich.


Spannung und Stromstärke

35 000 Volt – das klingt zunächst einmal gefährlich. Doch die Stromstärke ist mit wenigen Milliampere sehr niedrig und die Dauer des Stromschlags liegt im Bereich von Milli- bis Nanosekunden. Das ist für einen Menschen zwar mitunter unangenehm, aber völlig ungefährlich. Und auch moderne Herzschrittmacher und implantierte Defibrillatoren sind so konstruiert, dass sie unempfindlich gegen diese Effekte sind.

Auf der Haut spürbar sind die Entladungen ab etwa 3000 Volt, ab 5000 Volt hören wir das charakteristische Knistern und oberhalb von etwa 10 000 Volt kommt es zur Funkenbildung. Und diese Funken können unter bestimmten Umständen tatsächlich gefährlich sein: Sie können die Dämpfe brennbarer Flüssigkeiten entzünden oder zu Staubexplosionen führen.

Deshalb muss in allen Situationen, wo solche Dämpfe oder Stäube entstehen, sorgfältig jede elektrostatische Aufladung vermieden werden. Vorsicht ist auch beim Umgang mit elektronischen Bauteilen geboten: Hier können bereits elektrostatische Spannungen ab 100 Volt zu Schäden führen – also lange bevor die Aufladung spürbare Auswirkungen für einen Menschen hat.

Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/warum-wir-einen-gewischt-bekommen/