Warum bilden sich Wellenmuster im Sand?
Irena Kampa
Die wellenartigen Muster, die sich im Flachwasser am Meeresufer bilden, sind ein schönes Beispiel für das Zusammenwirken der einzelnen Sandkörnchen. Auch wenn die Sandmuster den Seegang des Meeres widerspiegeln, ist ihre Entstehung doch einem gänzlich anderen physikalischen Prinzip geschuldet.
Und während Fußspuren schnell „herausgewaschen“ werden, bleiben die Sandwellen über längere Zeit bestehen. In Fachkreisen werden diese Wellenmuster Rippelmarken oder kurz Rippel genannt, nach dem englischen Wort „ripple“, das soviel wie „kleine Welle“ oder „Kräuselung“ bedeutet. Sie treten nicht nur am Meeresboden, sondern auch in Flussbetten oder Wüsten auf. Für die Entstehung der Rippel können entweder Wasserströmungen (aquatische Rippel) oder Windströmungen (äolische Rippel) verantwortlich sein.
Zum ersten Mal wissenschaftlich untersucht wurden die Rippelmarken von der britischen Physikerin Hertha Ayrton („The Origin and Growth of Ripple-mark“). Anfang des 20. Jahrhunderts schüttete sie auf den Boden eines mit Wasser gefüllten Gefäßes eine dünne Schicht Sand. Dann brachte sie das Gefäß zum Schwingen, sodass sich künstliche Wellen bildeten. Schon bald trat die erste Rippel auf und kurz darauf war die gesamte Fläche mit dem Rippelmuster bedeckt. Danach machte sie mithilfe von gemahlenem Pfeffer, der aufgrund seiner geringen Dichte der Bewegung des Wassers besser folgt als Sandkörner, die Verwirbelungen der Strömung sichtbar. So konnte sie das Grundprinzip der Rippelbildung erklären.
Rippel treten auf, sobald eine Strömung eine kritische Geschwindigkeit übersteigt, ab der Sandkörner mitgerissen werden. Außerdem muss eine minimale Wassertiefe vorhanden sein, damit sich Rippel bilden können. Sie beträgt das Dreifache der späteren Rippelhöhe. Eine Begrenzung der Maximaltiefe gibt es nicht. Wichtig ist nur, dass eine Strömung an der Grenzfläche vorhanden ist.
Den Ausgangspunkt bildet eine zufällige Unebenheit, ein kleiner Stein, eine Muschel oder eine kleine Sandanhäufung. An diesem Hindernis bleiben andere Sandkörner hängen. So vergrößert sich der Hügel stetig und ein selbstverstärkender Prozess wird in Gang gesetzt. Je größer das Hindernis wird, desto mehr Sandkörner lagern sich an. Oder genauer: Wenn Wasser auf den Hügel zuströmt, liegen die Stromlinien an seiner Spitze näher beieinander und die Strömungsgeschwindigkeit nimmt zu, wodurch weitere Körner rollend oder springend auf die Spitze transportiert werden. Auf der strömungsabgewandten, der Leeseite, herrscht ein niedrigerer Druck. Dort bildet sich ein kleiner Wirbel, der zu einer Vertiefung im Sand führt. Seine Bewegungsrichtung ist in Bodennähe der Strömung entgegengesetzt und so treibt er weitere Körner die Leeseite hinauf.
Die Strömung sorgt also dafür, dass sich eine Rippel formt. Ab einer gewissen Höhe wird die Strömung an der Spitze des Hügels so stark, dass Sandkörner gleich wieder weiterbewegt werden und die Rippel nicht mehr wächst. Hat sich die erste Rippel erst einmal gebildet, wachsen die nächsten in gewissem Abstand dazu senkrecht zur Strömungsrichtung. Die Strömung reißt von der Kuppe einzelne Sandkörner mit, die sich dann in kurzer Entfernung ablagern und der Rippelbildungsprozess beginnt von Neuem. Wenn sich die Strömungsgeschwindigkeit nicht ändert, ist auch der Abstand zwischen den Rippeln ungefähr konstant, sodass sich ein großflächiges symmetrisches Muster mit einheitlicher „Wellenlänge“ formt.
Die Entstehung von Rippeln durch Windströmungen folgt prinzipiell denselben Gesetzmäßigkeiten. Gewisse Unterschiede sind natürlich durch die verschiedenen Eigenschaften von Luft und Wasser bedingt. In der Luft erbringt der Prozess der sogenannten Saltation einen wichtigen Beitrag zum Sandtransport: Sandkörner werden von kleinen Luftwirbeln zum „Springen“ gebracht. Wenn sie wieder auf der Oberfläche aufprallen, schlagen sie weitere Körner in die Luft und eine Kaskade entsteht. Das Ergebnis ist das gleiche wie beim Transport in Wasser. So sehen die gewaltigen Dünenlandschaften, aus einem Flugzeug betrachtet, den kleinen Rippeln am Strand verblüffend ähnlich. Die Höhe von Sandrippeln im Wasser liegt im Durchschnitt bei drei bis fünf Zentimetern und ihre Wellenlänge, die mit Korngröße und Strömungsgeschwindigkeit zunimmt, bei vier bis 60 Zentimetern. Die Rippel im Großformat, also die Dünen, sind einige Meter hoch. Die größten Dünen können über 300 Meter emporragen. Ihre Hänge sind oft wieder mit einem Rippelmuster überzogen.
Weder Rippel noch Dünen sind stationär. Da die Sandkörnchen ständig in Bewegung sind, wandern sie langsam in Richtung der Strömung. Besonders deutlich wird dieser Effekt bei Wanderdünen, die ganze Ortschaften unter sich begraben können: Ein Sandkorn wird die Luvböschung hinaufgetrieben und fällt dann den Leehang hinab. Dort wird es von nachfolgenden Körnern begraben und gerät mit der Zeit ins Innere der Düne. Die Düne wandert.
Wenn die Wasserströmung oder der Wind kontinuierlich aus einer Richtung kommt, entstehen asymmetrische Rippel. Auf der Luvseite, also zur Strömung hin gerichtet, besitzen sie einen flach ansteigenden Hang, während die Leeseite relativ steil abfällt. So ist es möglich, durch die Dünenform die vorherrschende Windrichtung zu erkennen. Das ist besonders interessant, wenn eine direkte Messung der Windrichtung nicht oder nur schwer möglich ist, was bei den Dünen auf dem Mars oder dem Saturnmond Titan der Fall ist, aber auch für Ablagerungen aus längst vergangenen geologischen Zeiten gilt. Im Gegensatz zu diesen Strömungsrippeln sind Oszillationsrippel symmetrisch. Sie entstehen, wenn die Strömung immer wieder ihre Richtung ändert. Die Rippel am Strand gehören in diese Kategorie. Das Wasser bewegt sich über dem Meeresboden hin und her und der Sand wird abwechselnd von der einen und dann von der anderen Seite aufgehäuft.
Zwar ist das Grundprinzip der Rippelbildung verstanden, aber eine genaue mathematische Modellierung fällt den Wissenschaftlern immer noch schwer. Dafür sind die Bedingungen in der Natur zu komplex. Die Bewegung eines einzelnen Sandkörnchens ist chaotisch und damit nicht berechenbar, es handelt sich um ein nichtlineares System. Mit Computersimulationen kann man aber schon vorhersagen, wie sich unter bestimmten Voraussetzungen welche Art und Größe von Rippeln ausbilden, was beispielsweise die Prognose der Versandung von Flüssen verbessern kann.
Quelle: https://www.weltderphysik.de/thema/hinter-den-dingen/wellenmuster/